„Wir sind nur noch sechs Zehntel auseinander“, sagt David Behre über den Südafrikaner Oscar Pistorius. Der Moerser ist sich sicher, schon bald den König der Behindertenleichtathleten attackieren, wenn nicht gar entthronen zu können. Theoretisch könnte es schon in fünf Wochen so weit sein, wenn Behre bei der WM in Neuseeland erstmals auf den Mann trifft, der sich im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 unter großer medialer Beachtung eine gerichtliche Starterlaubnis bei den Nichtbehinderten erstritt, dann aber in der Qualifikation scheiterte.
Tatsächlich aber wäre es vermessen, nun schon mit einem Wechsel an der Weltspitze zu rechnen. Zwar liegt Behre aktuell in seinen Disziplinen (100, 200, 400 Meter und Staffel) jeweils zwischen Platz 4 und 6 der Weltbestenliste seiner Wettkampfklasse TF43 der beidseitig Unterschenkelamputierten, doch „erstmal ist es mein Ziel, über die 200 eine 22er-Zeit zu laufen. Aber ich glaube“, ergänzt er, „dass ich ihm bei den Paralympics in London davonlaufen kann.“
Dann wäre er, wie auch sein Konkurrent, erst 25 Jahre alt, hätte aber den „Trainingsrückstand“ aufgeholt. Während Pistorius mit einer Behinderung auf die Welt kam und seit langer Zeit an den Sport auf Prothesen gewöhnt ist, ist Behre erst seit zwei Jahren im Leistungssport dabei, denn sein Unfall liegt erst drei Jahre zurück. „Ich bin im September 2007 mit einem Rad über den Glückauf-Bahnübergang in Moers gefahren. Die Schranken waren oben. 200 Meter wurde ich mitgeschliffen, lag danach in einem Gebüsch, in dem ich nach rund vier Stunden wieder zu mir kam. Ich wollte aufstehen, aber da waren keine Füße mehr. Vor lauter Adrenalin hatte ich noch nicht mal Schmerzen. Eine Frau hat dann meine Rufe gehört und ein Hubschrauber flog mich in die Klinik nach Duisburg.“
Bis zu diesem Tag beschränkten sich Behres sportliche Ambitionen auf das Motocrossfahren. „Das habe ich schon seit dem fünften Lebensjahr gemacht. Ich hatte mir erst kurz vor dem Unfall eine neue Maschine gekauft“, erinnert er sich. „Die will ich aber in Kürze wieder loswerden. Zu gefährlich.“ Generell ist Behre dabei, sich nach zwei Jahren im Leistungszentrum in Leverkusen, „in der hässlichsten Stadt der Welt“, wie er schmunzelnd sagt, neu zu sortieren. Zum einen wird die WG mit Sprinterkollege Heinrich Popow demnächst zugunsten einer mit Freundin Laura gemeinsam genutzten Wohnung aufgegeben, zum anderen soll neben dem aktiven Sport auch der Berufswunsch „Leichtathletiktrainer“ forciert werden.
Kurzfristig gilt aber ein Großteil der Konzentration der WM in Christchurch. Bis zum Abflug am 10. Januar werden nach der gerade erst überstandenen Patellasehnenreizung noch die so genannten Langen Läufe reduziert, dafür an der Spritzigkeit gefeilt. Damit nicht genug: Neben den Einheiten auf der Laufbahn, stand ein weiterer Lauf an, einer über die Bahngleise eines alten Betriebshofs. Ausgerechnet Bahngleise? Trotz der persönlichen Geschichte? Behre: „Das habe ich zusammen mit dem Fotografen Axel Kohring von beautiful-sports.com überlegt. Ich finde das gut!“ Das Ergebnis ist aktuell im Kalender "Beautiful Sports 2011", in dem viele Sportler von Bayer Leverkusen vor die Linse traten, zu sehen.
Gut möglich, dass Pistorius, „The fastest man on no legs“, nicht nur seinen selbst ernannten Untertitel überdenken muss, sondern auch das gelungene Foto auf dem „Oktober-Blatt“ schon bald mit gemischten Gefühlen ansehen wird. Das Modell in Sprinterpose ist nur knapp hinter ihm. Noch!