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Zwischen den Polen
Lwiw sehen... und sterben?

Zwischen den Polen: Lwiw sehen... und sterben?
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Der Samstagabend war schnell überwunden. Im Mittelosten nichts Neues. Leid, Niederlagen und (Fußball-)Katastrophen sind Polens treueste Begleiter.

Deutschland ist dem Tod in der Todesgruppe von der Schippe gesprungen, E und ich dagegen dürfen die Rolle übernehmen und flirten auf der Rückfahrt wieder mit dem Sensenmann. Wir sind noch unentschieden: Erliegen wir dem Hitzeschlag im sauerstoffarmen Bus? Bricht die Achse vom lauten Hüpfen? Bricht sie ohne Hüpfen? Und warum überholen uns diese Dänen?

Schlafplatz: Fußboden

Inzwischen sind wir mehrfach auf den Geschmack gekommen. Nach einem Absacker (und zugegeben erneuter Kostprobe ukrainischer Küche) halten wir nachts ein Taxi an. Mein Polnisch freut den Fahrer ebenso wie der fehlende Taxameter. Wir düsen durch die Nacht, zwischendurch glaube ich sogar, wir werden verfolgt oder verfolgen wir etwa jemanden?!? Der innere Taxameter des Fahrers ist so sicher wie seine Fahrweise. Wir zahlen dreistellig. Gott sei Dank in Hrywnja.

Im Hotel würfeln wir aus, welcher Fernseher eingeschaltet wird. E will jeden Raum unserer Suite genießen und überrascht mit der Aussage, er wolle auf dem, zugegeben weichen Boden im Esszimmer schlafen. Morgens, nach einer Nacht im Spiegelkabinett namens Schlafzimmer, kann ich seine Entscheidung besser nachvollziehen: seltsames Gefühl, wenn man selbst diejenige Person ist, die man als erstes beim Aufwachen sieht. Bin ich doch tot, habe ich meinen Körper verlassen? Nach einem ukrainischen Frühstück sind wir gut satt und zu wandernden Frittenbuden mutiert. Fett = lecker!

Trikots für 29 Euro

Auf der Fahrt in die Innenstadt sind wir angenehm überrascht. An die Geschwindigkeit haben wir uns gewöhnt, ich plaudere Polnisch mit dem Fahrer, in dem schwarzen Audi mit den dunkel getönten Scheiben sind wir diesmal die „Men in Black“. Er ist mein Jay, ich sein Kay. Und E sitzt auch noch mittendrin. Läuft prima, kaum zu glauben. Wir steigen aus, bedanken uns, tauschen Höflichkeiten aus. Aus neugewonnener Verbundenheit verzeihe ich ihm recht schnell, dass er mich im Anschluss aus Versehen anfährt und auf die schwarze Motorhaube legt. Alle um uns herum sind so herzlich, da gibt es keinen Platz für böses Blut. Schmunzeln, glückliches Schmunzeln.

Daraus wird gar ein Freudelachen: Originaltrikots des einzigen noch verbliebenen Gastgebers gibt es beim Ausrüster bereits für 29 Euro. Blau für mich, gelb für meinen besten Freund – er wäre doch so gerne mitgewesen. Die ukrainischen Panini-Bilder lege ich obendrauf, etwa 49 Cent das Päckchen.

Rundum zufrieden, mit vielen positiven Eindrücken im (Hand-) Gepäck, quatschen wir zum letzten Mal einen Taxifahrer an. Ob es das letzte Mal in Lwiw oder das letzte Mal überhaupt ist, wird sich noch zeigen. Mein Polnisch öffnet sein Herz, auch das ukrainische Trikot und E’s Dialekt beeindrucken ihn. Er ist Deutschland-Fan. Wer braucht schon Taxameter, wenn der Preis bereits ausgehandelt wurde? Learn and adjust! Das Rennen am Berg gewinnen wir ganz klar, niemand hält mit! Parallel bekommen wir eine persönliche Abschiedsstadtführung. Wir lachen viel dabei: Politik, Fußball, Deutschland, Ukraine und Polen bestimmen unsere Gespräche. Mehrfach betont unser Fahrer, die EM möge für immer anhalten, wir müssten wiederkommen.

Für E könnte es recht schnell soweit sein. Er hat ja eigentlich kein Ticket. Es kostet mich jedenfalls einige Überzeugungsarbeit am Check-In, bis wir gemeinsam und beruhigt in diesem schönen, neuen und menschenverlassenen Terminal auf unseren Rückflug warten. Drinnen ist es so groß wie es leer ist. „Walking Dead“ lässt grüßen. Am Zaun zur Fluglandebahn scheint dagegen halb Lwiw Abschied von uns nehmen zu wollen. Sie lachen und winken uns zu. Ja, es fällt schwer. Schwer, Lwiw zu verlassen, diese schöne Stadt mit ihren herzlichen Menschen. Schwer wie unser Handgepäck gefüllt mit den positiven Eindrücken aus der Ukraine. Ich komme wieder und freue mich richtig auf Donezk und Kiew. Mit einem breiten Grinsen. Trotz und wegen der Kamikaze-Taxis.

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