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Schiedsrichter und Journalisten trafen sich zum Austausch
„Wenn Töpperwien vor der Kabine steht“

Dortmund: Schiedsrichter und Journalisten trafen sich zum Austausch
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Wenn Journalisten mit Schiedsrichtern sprechen, dann meist, weil in den 90 Minuten vorher etwas schief gelaufen ist. „Sobald Rolf Töpperwien vor meiner Kabine steht und etwas von mir möchte, weiß ich, dass ich Murks gemacht habe“, kann Thorsten Kinhöfer, Bundesliga-Schiedsrichter aus Herne, diesen Eindruck aus eigener Erfahrung bestätigen.

„Denn wenn ich gut gepfiffen habe, interessiert sich niemand für ein Interview mit mir.“

Am vergangenen Mittwoch war jedoch alles ein wenig anders. Satte drei Stunden trafen sich Medienvertreter aus Print, TV und Hörfunk mit Kinhöfer und seinem Schiedsrichter-Kollegen Florian Meyer im Dortmunder Signal-Iduna-Park zu einem Lehrgang der besonderen Art.

Denn es ist schon lange Usus, dass sich die Bundesliga-Referees am Ende der Hinrunde treffen, strittige Szenen Revue passieren lassen und eine einheitliche Linie für das zweite Halbjahr festlegen. Aber dass den Journalisten diese Linie vorgestellt und mit ihnen darüber diskutiert wird, das ist relativ neu.

Kinhöfer, seit 2002 in der Bundesliga an der Pfeife, ist ein Freund dieser „Öffnung“. Er ist ein kommunikativer Ruhrpottler, dessen Seriosität nicht darunter leidet, wenn er mal einen flapsigen Spruch vom Stapel lässt. Zusammen mit Meyer, „im echten Leben“ Leiter einer Kanzlei in Braunschweig, bildet er ein perfektes Duo, um für Verständnis für seine Berufsgruppe zu werben.

Gemeinsam dröselten sie einzelne Spielszenen aus der Hinrunde auf und schreckten nicht davor zurück, eigene Fehlentscheidungen vorzuführen. Die anwesenden Journalisten, etwa 30 waren dem Ruf des Verbands Deutscher Sportjournalisten (VDS) gefolgt, waren dazu angehalten, ihrerseits Gelbe und Rote Karten zu verteilen – was sie in der Folge auch fleißig taten.

Schon nach wenigen Szenen wurde allerdings deutlich, was Kinhöfer im Vorfeld andeutete: „Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, es ist auch viel Grau dazwischen.“

Strittige Szene, "nicht nur schwarz und weiß" (RS-Foto: Redemann).

Freistoß? Verwarnung, Gelb oder Rot? Das ist keineswegs immer so eindeutig, wie es einem die Fernsehbilder weismachen wollen. Wenn etwa Kölns Geromel, bereits mit Gelb verwarnt, unglücklich seinen Bochumer Gegenspieler trifft, muss das nicht zwangsläufig Gelb-Rot zur Folge haben. Es kommt auf die Spielsituation, aber auch auf die Vorgeschichte des Kickers an. „In diesem Fall bekam der Spieler Gelb-Rot, was anhand der hier gezeigten Szene sicherlich zu hart erscheint“, rechtfertigte Meyer den in diesem Fall ausgesprochenen Platzverweis, in dem er darauf verwies, dass „Geromel aber schon vorher vier Mal ermahnt wurde“. Und Kinhöfer ergänzte: „Natürlich ist ein Foul ein Foul, aber dennoch hat der Schiedsrichter einen Ermessensspielraum, den er an den Spielverlauf anlegen kann.“

Ein Referee dürfe ein Spiel nicht nur verwalten, sondern müsse es leiten. Ein wichtiger Unterschied, den Kinhöfer kurz und knackig umschrieb: „Wir sind Spielleiter, keine Regelpäpste.“ Und so brachte der hauptberufliche Controller der Herner Stadtwerke auch Verständnis für seinen Kollegen Lutz Wagner auf, der beim denkwürdigen Revierderby zwischen Dortmund und Schalke die Partie ohne Nachspielzeit abpfiff: „Laut Regel hätte man die Partie sicherlich länger laufen lassen müssen, aber stellen sie sich vor, was los gewesen wäre, wenn eine Mannschaft dann noch das 4:3 erzielt hätte?“ Man müsse immer bedenken: Auch Schiedsrichter sind Menschen.

Die Spielleitung sei, pflichtete ihm Meyer bei, immer auch Menschenführung: „Wir sind in gewisser Weise Psychologen, was in der Hektik des Spiels nicht immer einfach ist.“ Jeder Kicker reagiere anders auf Entscheidungen. Kinhöfer: „Wenn ich Spieler A die Gelbe Karte zeige, fährt er seine Aggression sichtlich herunter. Spieler B schaltet nach einer Verwarnung jedoch hoch. Helm auf, Attacke! Da muss man dann deutlich machen, dass die Endstufe erreicht ist.“

Florian Meyer erklärt die Arbeit seine Schützlinge (RS-Foto: Redemann).

Nicht immer wirkt allerdings die „Deadline“ als Drohkulisse, dann müssen Taten her. Wie in der Partie zwischen Hamburg und Wolfsburg, bei der Kinhöfer vier Platzverweise aussprach: „Butter bei die Fische, hieß es damals. Bei neun gegen neun haben sie auch wieder Fußball gespielt. Aber sie hatten dann ja auch richtig viel Platz.“

Bei allem Spaß, den die beiden am ihrem Job vermittelten, wurden jedoch auch die unschönen Themen nicht ausgespart. „Ich möchte die Chancen nutzen, um ein kleines Abschluss-Plädoyer zu halten“, verkündete Meyer am Ende der spannenden Begegnung: „Als Schiedsrichter macht man Erfahrungen, die man im Leben gebrauchen kann, an denen man wächst. Wir müssen deshalb auch an die jungen Referees denken, die sich durch die unteren Ligen nach oben kämpfen müssen. Sie gilt es zu schützen, sonst fehlt uns irgendwann der Nachwuchs.“ In Zeiten, in denen nahezu wöchentlich Schiedsrichter über den Platz gejagt werden, hänge viel von der Berichterstattung in den Medien ab.

Und auch ein zweites gewichtiges Problem wollte Meyer nicht verschweigen: den schlechter werdenden Umgang der Spieler untereinander. „Ich habe das Gefühl, dass der Respekt stark gelitten hat.“ Schläge ins Gesicht des Gegners, der massive Einsatz der Ellenbogen – Dinge, die es in der aktuellen Häufigkeit früher nicht gegeben habe.

Am Ende der drei ebenso spannenden wie lehrreichen Stunden, denen BVB-Pressesprecher Josef Schneck mit der liebevollen Darreichung einer Erbsensuppe zusätzliche Würze verliehen hatte, war das Verständnis zwischen Medienvertretern und Schiedsrichtern spürbar gewachsen. Ob die Liebe hält, muss in der Rückrunde jedoch zunächst noch bewiesen werden…

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