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Interview: Wie Heinz van Haaren Rudi Gutendorf nach Schalke holte
"Ich bin nicht aus Schalke geflohen!"

Abschied von Schalke: Präsident Günter Siebert muss Stan Libuda und Heinz van Haaren nach Straßburg ziehen lassen (Foto: privat).
Abschied von Schalke: Präsident Günter Siebert muss Stan Libuda und Heinz van Haaren nach Straßburg ziehen lassen (Foto: privat).
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Es ist das dunkelste Kapitel der abwechslungsreichen Schalker Fußball-Geschichte.

Wie war es mit Libuda in Frankreich?

Stan blühte im Herbst seiner Karriere noch mal richtig auf. In den ersten Spielen vernaschte er seine Gegenspieler wie in besten Zeiten. Nach drei Begegnungen verletzte er sich und wurde von Racing zu einer viel zu frühen Rückkehr ins Team gedrängt. Denn er hatte den Verein, der so dahindümpelte, wach geküsst. Wegen ihm war das Stadion plötzlich ausverkauft. Aber er fand danach nicht mehr zu seiner Form. Als sich dann noch ein Geldgeber zurückzog, war Racing froh, ihn und auch mich nach einem Jahr wieder los zu sein. Auch ich bin dann, trotz eines Zweijahresvertrages, nach einer Saison wegen Schwierigkeiten beim Bau meines Mehrfamilienhauses im Gelsenkirchener Stadtteil Bulmke, in dem wir auch heute noch leben, aus Straßburg zurückgekehrt. Der Bauträger glaubte, mich wegen der Entfernung hintergehen zu können. Als ich an Weihnachten zu Besuch kam, lag die angeblich schon Wochen vorher eingebaute Heizung immer noch vor der Tür. Daher wollte ich wieder vor Ort sein und habe meine Profikarriere dann wegen der noch laufenden Sperre beendet.

Abschied aus Schalke: Heinz van Haaren (Zweiter von rechts) mit Erwin Kremers (rechts), Reinhard "Stan" Libuda und S04-Präsident Günter "Oscar" Siebert (links)

Eine ähnliche Situation erlebten Sie 1968 bereits beim MSV Duisburg!

In Duisburg stand schon immer wenig Geld zur Verfügung. Da ich ein gutgläubiger Mensch bin, für den Vereinbarungen gelten, habe ich dem MSV Zahlungen gestundet. Mir wurde versprochen, dass ich das Geld nach einem Verkauf von Erwin Kostedde zu Standard Lüttich bekommen sollte. Als ich den Verantwortlichen gesagt habe, dass ich nach Schalke wechseln wollte, wollten sie mich erpressen. Ein Mitglied der Geschäftsführung kam zu mir nach Hause und sagte, wenn du gehst, wirst du das Geld, es handelte sich um eine fünfstellige Summe, nicht sehen. Bleibst du, bekommst du es. Daraufhin habe ich ihm gesagt, er soll sofort meine Wohnung verlassen. Ich wollte unbedingt wechseln, denn ich hatte in meiner Karriere bislang noch nicht viel verdient. Und es wurde langsam Zeit, denn ich hatte meinen Berufswunsch Technischer Zeichner für den Fußball fallen gelassen. Dennoch war die Zeit in Duisburg vom Zusammenhalt der Mannschaft her die schönste in meiner Karriere. Wir treffen uns noch heute regelmäßig.

Vor ihrem Wechsel nach Schalke soll es auch ein Angebot aus Dortmund gegeben haben?

Ja, der BVB hat mir in letzter Sekunde doppelt so viel Gehalt geboten wie Schalke. Und die Borussen haben mir ein Haus gezeigt, das im Rohbau schon fertig war. Das sollte ich bekommen. Aber ich hatte in Schalke bereits zugesagt, auch wenn der Vertrag noch nicht unterschrieben war.

Gab es Nachverhandlungen?

Nein, ich hatte mein Wort gegeben.

War der Fußballberuf ein Traum für Sie?

Ich habe nie geplant, da oben hinzukommen. Aber dann ergab es sich, dass der TSV Marl-Hüls in die Oberliga aufgestiegen war und einen Linksaußen gesucht hat. Obwohl ich vorher kaum Linksaußen gespielt habe und eher im Mittelfeld zu Hause war, haben sie mich dann verpflichtet.

Wie wurde Hüls auf Sie aufmerksam?

Ich kam ja aus Marl und hatte bei den Chemischen Werken Maschinenschlosser gelernt. Eigentlich wollte ich 1960 zur Ingenieursschule gehen. Meine Eltern haben mir auch dazu geraten. Denn wir haben als Fußballer in Hüls nicht viel verdient. Das erste Gehalt betrug 40 Mark und steigerte sich dann auf 120 und 400 DM. Das habe ich als Maschinenschlosser auch verdient. Und die Trainer verlangten damals schon den vollen zeitlichen Einsatz. Die Ausübung eines Berufes nebenher war nicht möglich. Dennoch wollte ich es unbedingt für zwei Jahre probieren. Und dann kam Rudi Gutendorf nach Hüls. Kaum vorstellbar, aber Gutendorf war Trainer in Marl.

Gutendorf und Sie, das war eine ganz besondere Beziehung, oder?

Rudi Gutendorf kam mit völlig neuen Methoden in die fußballerische Provinz und wollte Hüls aus der Oberliga in die Bundesliga führen. Als er sah, dass das nicht möglich war, ging er zum MSV Duisburg und wurde auf Anhieb in der ersten Bundesligasaison Vize-Meister. Eigentlich wollte er mich damals zum MSV mitnehmen, aber Marl hatte mich nicht frei gegeben. Ein Jahr später bin ich ihm dann nach Meiderich gefolgt. Gutendorf war ein Trainer, der an die Grenzen ging. Das kam mir entgegen. Unsere Wege kreuzten sich dann wieder, als wir in der Saison 1968/1969 mit Schalke im Abstiegskampf standen. Siebert fragte uns, wen wir uns nach der Entlassung von Günter Brocker als Trainer vorstellen könnten. Ich habe Gutendorf vorgeschlagen, das war unsere Rettung. Wir standen an zweitletzter Stelle und dann ging es sofort aufwärts. Wir waren dann die beste Rückrundenmannschaft und kamen als Pokalfinalist sogar in den Europapokal.

Mit welchen Mitteln arbeitete 'Riegel-Rudi'?

Gutendorf war damals bereits ein Weltmann. Er hat anders trainiert, als alle anderen Trainer. Knallhart, er hat immer ein paar Übungen gehabt, bei denen man bis an seine Grenze gehen musste. Das vermisse ich heute manchmal. Da wird zwei Stunden trainiert, aber keiner geht an seine Grenzen. Wie soll man das dann im Spiel können?

Sie konnten es?

Wir konnten es. In seinem ersten Spiel als Schalker Trainer spielten wir gegen Frankfurt. Gutendorf sagte uns, wir sollten den Frankfurter Spielern nicht die Hand geben und ja nicht freundlich gucken. Die sollten sofort sehen, dass wir gewinnen wollen. So hat er uns motiviert. Ich habe in diesem Spiel zum ersten Mal in meinem Leben gegrätscht. Wir haben die Partie mit 2:0 für uns entschieden. Mal wurden Trikots verbrannt, mal mussten wir in der Trabrennbahn gegen Pferde antreten. Alles hat funktioniert, wir haben ihm nachher fast alles geglaubt. Aber er war auch ein bisschen verrückt. Weil ich mich wegen einer Verletzung im Pokalendspiel 1969 gegen die Bayern auswechseln lies, redete er auf der ganzen Rückfahrt und eine Woche danach kein Wort mehr mit mir. Er gab mir die Schuld an der Niederlage.

Bereits Legende ist sein Training vor den Toren der Zeche Consol!

Es war inhaltlich nichts besonders. Aber er hat uns um fünf Uhr morgens aus dem Bett gescheucht und wir haben zu Beginn der Frühschicht vor den Zechentoren Gymnastik gemacht. Er hat uns Spielern gezeigt, dass wir genauso hart arbeiten müssen, wie die anderen Menschen, die tagtäglich zur Arbeit gehen. Und die sollten auch sehen, dass wir bereit sind, das letzte für Schalke zu geben. Wir haben dann noch einen kleinen Kanallauf absolviert und waren dann nach einer Stunde wieder in der Kabine. Aber das Ziel war erreicht.

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