Rückblende: 2. Juli 2017. Drittligist Preußen Münster ist für ein Testspiel bei der SG Wattenscheid 09 zu Gast. Auffällig bei den Schwarz-Weißen ist der 1,94 Meter große – und bis dato unbekannte – Torhüter, der bei seinem Gastspiel vor allem eines ausstrahlt: große Unsicherheit. Nur acht Tage später sticht der junge Mann erneut hervor. Auf einem Foto, für das Wattenscheids Neue gemeinsam mit Trainer Farat Toku posieren.
Acht Monate sind diese Ereignisse schon her – und dennoch sind sie wichtig, um die bemerkenswerte Entwicklung jenes jungen Mannes einordnen zu können, den die Nullneuner einst trotz des wackeligen Auftritts verpflichtet haben. Unter anderem dieser mutigen Entscheidung ist zu verdanken, dass Steffen Scharbaum wohl auch heute (14 Uhr) im Auswärtsspiel beim SC Wiedenbrück das Tor des Regionalligisten hüten wird.
In Gladbach musste ich mich um sehr wenige Dinge kümmern. Das war bei meinem neuen Verein ganz anders. Ich denke, dass das auch etwas bei mir bewirkt hat
Steffen Scharbaum
Er könne sich „nicht beklagen“, lässt der 20-Jährige ausrichten. Natürlich kann er das nicht. Für den Moment hat er den Schmerz über die langwierige Krankheits-Geschichte von Stamm-Torhüter Edin Sancaktar nicht nur gemildert, sondern teils sogar vergessen lassen. Aus dem einst schüchternen jungen Mann, der im Sommer von Borussia Mönchengladbach II kam, ist ein Leistungsträger gereift. Einer, dessen Können und Selbstsicherheit sich ausgerechnet in einer Phase entfalteten, über die man später wohl sagen wird, dass sie die entscheidende in einer brutal schwierigen Wattenscheider Saison war.
„Die Mannschaft tut mir gut“, sagt Scharbaum. Und er lässt keinen Zweifel daran, dass er das auch wirklich ernst meint und nicht als hohle Phrase versteht. Selbstverständlich weiß er um sein Talent. Doch dem Blondschopf, der sich selbst als „eher zurückhaltend“ beschreibt, als einer, der „eher abwartend“ an eine Aufgabe herangeht, ist klar, dass er ein funktionierendes Umfeld braucht.
Das in Wattenscheid passt offenbar zu ihm: „In Gladbach musste ich mich um sehr wenige Dinge kümmern. Das war bei meinem neuen Verein ganz anders. Ich denke, dass das auch etwas bei mir bewirkt hat.“
Sein Trainer formuliert es etwas anders: „Steffen tut es gut, dass er aus seiner Komfortzone gegangen ist“, betont Farat Toku. Er selbst sei „stolz, dass ich ihn bei dieser Entwicklung begleiten durfte“. Und auf einem Weg, der in einen Kampf um den Platz im Wattenscheider Tor führte.
Wenn Steffen Scharbaum erklärt, dass ihm die Mannschaft guttue, dann schließt er auch seinen Konkurrenten Edin Sancaktar mit in diese Feststellung ein. „Wir pushen uns gegenseitig im Training“, stellt der 20-Jährige fest. Das Ergebnis sehe man schließlich im Spiel. „Wenn ich sehe, dass mein Konkurrent im Training alles gibt, dann motiviert mich das noch mehr.“
Wenngleich ein Gespräch mit Steffen Scharbaum einem Lehrstück über angemessene Bescheidenheit und Demut gleichkommt – auch der junge Torhüter möchte noch etwas erreichen. „Ich weiß ja, was ich kann“, sagt er, „aber es bringt mir nichts, wenn ich sage, dass ich in so und so vielen Jahren in der zweiten Bundesliga spielen muss. Ich muss realistisch bleiben.“ Zudem, erklärt er, fühle er sich an der Lohrheide ohnehin sehr wohl.
Denn dort habe man sich schließlich nicht blenden lassen, als er im Juli des vergangenen Jahres einen schlechten Tag hatte.