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Darum spielt die Premier League auch an Weihnachten

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Jürgen Klopp, England, FC Liverpool, Premier League, Saison 2017/18, Jürgen Klopp, England, FC Liverpool, Premier League, Saison 2017/18
Jürgen Klopp, England, FC Liverpool, Premier League, Saison 2017/18, Jürgen Klopp, England, FC Liverpool, Premier League, Saison 2017/18 Foto: Getty Images
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Weihnachten mit der Familie ist für englische Fußballprofis seit mehr als hundert Jahren kein stressfreies Vergnügen.

Aus der Not an Spielterminen ist eine weltweit bekannte Tradition erwachsen, die mittlerweile 129 Jahre Bestand hat: der Boxing Day mit Fußballspielen und vollen Tribünen an den Weihnachtstagen. Nicht nur in der Premier League, sondern auch in den weiteren drei Profiligen darunter sowie in zahlreichen Halbprofi- und Amateurklassen der Britischen Insel. Jürgen Klopps Liverpooler kommen ebenso wenig drumherum wie David Wagners Team von Huddersfield Town, Mesut Özils FC Arsenal oder Leroy Sanés Manchester City.

Die viktorianische Tradition des Weihnachtsfußballs datiert aus den Liga-Anfängen in England. Der britische Journalist Paul Brown stöberte für einen Artikel im Fußball-Monatsjournal „FourFourTwo”, dem britischen „11Freunde“, die Anfänge und Besonderheiten des Weihnachtssports auf. Der steht auf der Britischen Insel zwar im Zeichen des Fußballs. Rugby-Ligaspiele und Pferderennen machen sich die Feiertage aber ebenso zunutze, um zahlende Zuschauer von der Couch auf die Tribünen zu ziehen.

Ursprung des Namen "Boxing Day"

Der Fußball allerdings begründete den Boxing Day in seiner heutigen Form. Einst wurden die Bediensteten in den Commonwealth-Ländern von ihrem Arbeitgeber am Tag nach dem 1. Weihnachtstag traditionell beschenkt, mit Hilfe einer Geschenkschachtel oder auch Box. Deshalb heißt der 2. Weihnachtstag im allgemeinen britischen Sprachgebrauch Boxing Day. Das gilt auch in Australien, Neuseeland oder ehemaligen britischen Kolonien in Afrika und der Karibik.

Der FC Everton bestritt einst 1888 am Weihnachtsmorgen ein Pokalspiel gegen Blackburn Park Road, am Nachmittag ein Freundschaftsspiel gegen die Nordiren von Ulster FC, am Tag darauf noch eine Partie gegen Bootle FC. Der damals noch neugierige Liverpooler Fußballinteressierte war so entzückt über die willkommene Abwechslung zum Truthahnessen und Biertrinken mit der Familie, dass ein Jahr später das erste Punktspiel der First Division an einem 25. Dezember ausgetragen wurde. Meister Preston North End besiegte Aston Villa vor 9000 Zuschauern mit 3:0. Dachdecker Nick Ross, der seine Gegner gern mit pfeifendem Grinsen durch seine verfaulten Schneidezähne irritierte, erzielte alle drei Treffer.

Die Weihnachtstage wurden fortan pragmatisch genutzt. Unter der Woche hatte das Publikum, damals die Arbeiterklasse, schlicht keine Zeit zum Stadionbesuch. Flutlicht gab es noch nicht. Am Sonntag war Liga-Fußball aus religiösen Gründen verboten. Blieben neben dem Samstagnachmittag kaum Ausweichtermine übrig – außer die Weihnachtstage.

Aber selbst hier zogen nicht alle Teams mit. Der FC Arsenal musste bis 1925 stets auswärts ran, weil der Grund und Boden des Stadions Highbury im Norden Londons der Kirche gehörte und laut Vertrag partout nicht an Feiertagen genutzt werden durfte. Lange stand der 25. Dezember im Fußball-Fokus, der familiäre Geschenketag, ehe der Verband ab 1966 komplett auf den 26. Dezember umschwenkte. Wirklich populär war der Spieltermin früher bei den Profis nicht. Viele Fußballer konnten einer gehörigen Portion Alkohol nicht widerstehen. Und die Weihnachtstage zählten auch zur Periode des stressfreien Genusses.

Heute kommt es nicht mehr vor, dass eine komplette Elf im Vollrausch zum Ligaspiel aufläuft – wie einst 1931 Clapton Orient (heute Leyton Orient) beim AFC Bournemouth. Die Spieler hatten das vom Trainer gesponserte Fässchen Weihnachtsbier unmittelbar vor dem Anpfiff in der Kabine geleert. Da überrascht es sehr, dass die Partie nur mit 1:2 verloren wurde. Das Rückspiel am Tag darauf gewann der kleine Konkurrent der Nord-Londoner Schwergewichte Arsenal und Tottenham übrigens, offenbar wieder mit nüchternem Personal, tatsächlich 1:0.

In modernen Zeiten schlagen die Profis höchstens noch bei der eigenen internen Weihnachtsfeier über die Strenge. Auch wenn sicher nicht alle Exzesse junger Männer im kleinen Kreis öffentlich werden. Manche schaffen es dann doch in die britische Boulevardpresse, die die verrücktesten Einlagen der Fußball-Millionäre alljährlich kurz vor Weihnachten hervorkramt.

Dass West Ham Uniteds einstiger australischer Nationalspieler Hayden Foxe 2001 die Theke der ausgesuchten Kneipe mit der Toilette verwechselt hatte, ist ebenso legendär wie das Tänzchen des früheren Liverpooler Ersatzkapitäns Jamie Carragher. Der Nationalspieler war 1998 am Ende, mit Hilfe assistierender Damen, angeblich nur noch mit etwas Sprühsahne an einer besonders heiklen Körperpartie bekleidet. Auch das Geschenk an Dietmar Hamann, als der ebenfalls 1998 für Newcastle United unterwegs war, fällt in die Kategorie besonders derber Scherz: Der Nationalspieler erhielt auf der Weihnachtsfeier als Bettlektüre eine Ausgabe von „Mein Kampf”.

Sportlich geht der Weihnachtsspieltag von 1963 in die englische Fußballgeschichte ein. In elf Partien fielen 66 Treffer. Beispiele: Fulham – Ipswich 10:1, West Ham – Blackburn 2:8, Liverpool – Stoke 6:1, Burnley – Manchester United 6:1. Letzteres Treffen gibt es am 2. Weihnachtstag im Stadion Turf Moor wieder zu sehen. Sicher aber nicht mit dem Ergebnis von vor 54 Jahren.

Es sei denn, es kommt ein solch heftiger Nebel auf wie beim Londoner Derby zwischen Chelsea und Charlton 1937. Im dichten Fog über der Stamford Bridge kam es zum Spielabbruch. In der Kabine der Gäste fehlte anschließend von Torhüter Sam Bartram jede Spur. Ein Polizist wurde ins Stadion geschickt. Der fand den Torhüter an seinem Arbeitsplatz in Alarmbereitschaft. Der hatte den Spielabbruch bei einer Sicht von kaum zehn Metern gar nicht mitbekommen und sein Terrain gegen einen unsichtbaren Gegner verteidigt.

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