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BVB-"Kilometerfresser" im RS-Interview
Tinga über Motivation, Familie und einen großen Irrtum

BVB: Tinga im RS-Interview
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Seit drei Jahren kickt Paulo César Fonseca do Nascimento - oder kurz Tinga - nun schon für Borussia Dortmund.

Doch weil der Brasilianer, anders als auf dem Feld, privat eher schüchtern und ruhig seine Arbeit verrichtet, las man in dieser Zeit nur selten etwas über den mittlerweile 31-Jährigen, der aus dem Mittelfeld des BVB nur noch schwer wegzudenken ist.

Auch, weil sich der Brasilianer nicht zu schade ist, die Drecksarbeit zu übernehmen, wie er zuletzt gegen Bremen bewies. Obwohl schon mit vier Gelben Karten vorbelastet, klammerte er sich kurz vor Schluss an seinem Gegenspieler fest, um die Bremer am Kontern zu hindern. Eine Selbstverständlichkeit für den 1,70 Meter kleinen Kämpfer, der lieber ein Spiel aussetzt als zu verlieren.


RevierSport sprach mit dem vierfachen Nationalspieler über den Fußball als Mannschaftssport, offene Vertragsfragen und Heimatgefühle, und lernte dabei einen Profi kennen, der genau zu wissen scheint, was er will - selbst, wenn es Zuhause dann einmal Ärger geben sollte.

Tinga, war die Szene am Samstag, als Sie Ihre fünfte Gelbe Karte kassierten, damit aber Ihrem Klub den Sieg retteten, charakteristisch für Ihre Art, Fußball zu interpretieren?

Ja, die Interessen der Mannschaft stehen nun mal an erster Stelle. In diesem Moment denkt man nicht darüber nach, wie viele Gelbe Karten man hat und ob man vielleicht gesperrt wird. Ich wollte nur den Gegner stoppen und den Angriff aufhalten, egal wie. Denn sonst hätten wir vielleicht wieder ein Tor kassiert und wären am Ende die Doofen gewesen.

Wie wichtig war denn der Erfolg gegen Werder nach acht sieglosen Spielen in Serie?

Natürlich war er wichtig, aber die acht Partien, in denen wir zuvor sieglos geblieben sind, waren ja nicht davon gekennzeichnet, dass wir schlecht Fußball gespielt haben oder dass wir nicht mithalten konnten. Auch bei den Niederlagen gegen München und Stuttgart waren wir nah dran. Wir haben die ganze Zeit versucht, zurückzukommen. Gegen Werder hat es jetzt geklappt.

Was bedeuten die drei Punkte mit Blick auf die Tabelle? Wollen Sie jetzt noch einmal oben angreifen?

Foto: firo.

Ich gehe davon aus, dass uns der Sieg einen enormen Schub für die restlichen Spiele gibt. Mein Ziel ist es natürlich, die internationalen Plätze zu erreichen. Der BVB hat bislang erst vier Niederlagen kassiert. Wie erklären Sie es sich, dass Ihr Team - anders als in den Vorjahren - in dieser Spielzeit so schwer zu schlagen ist.

Ein Grund ist sicherlich Jürgen Klopp. Denn er konnte sein Vorhaben, die Defensive zu stabilisieren, umsetzen. Ein anderer Grund ist, dass wir mittlerweile ganz anders motiviert sind. Als ich vor knapp drei Jahren nach Dortmund kam, hatten wir ein großes Motivationsproblem. Lagen wir mit einem oder zwei Toren zurück, haben wir uns aufgegeben. Heute ist das anders, heute kämpfen wir bis zum Ende. Und das zahlt sich aus, denn wir konnten schon einige Partie, in denen wir zurücklagen, umdrehen.

Stimmt folglich die Chemie im Team?

Ja, wir kommunizieren mittlerweile mehr als früher. Spieler wie unser Kapitän Sebastian Kehl oder auch Roman Weidenfeller und Florian Kringe pushen und motivieren uns permanent. Sei es vor dem Spiel, in der Pause oder auf dem Platz. Das war lange nicht so.

Man darf auch die negativen Seiten der Bilanz nicht außer Acht lassen. 13 Remis stehen auch für wenig Siege, oder?

Ich bin der Meinung, dass da einige Spiele dabei waren, die wir hätten gewinnen müssen. Ich denke da an beide Partien gegen Hannover oder auch das Rückspiel gegen Leverkusen. Es lag häufig an Kleinigkeiten. Wenn wir gegen Hannover zum Beispiel in der Endphase das Match häufiger unterbrechen und taktisch cleverer agieren, gehen wir als Sieger vom Platz.

Sie gelten mit Ihrer Kampfkraft und Ihrer Ausdauer als Idealtypus für das Klopp‘sche System. Woher kommen beispielsweise Ihre guten Laktatwerte? Trainieren Sie mehr als Ihre Kollegen?

Foto: firo.

Nein, ich bin eher der Überzeugung, dass es eine gewisse Veranlagung ist. Ich habe schon immer sehr auf meinen Körper geachtet, und kann inzwischen gut einschätzen, wann ich mehr und wann ich weniger tun muss. Das ist auch ein Grund dafür, weshalb ich in meiner Karriere schon häufiger Ärger mit meinen Trainern hatte.

Das müssen Sie erklären.

Ein bis zwei Tage vor einer Partie nehme ich mich meist zurück und hänge mich nicht mehr voll rein. Die meisten Trainer mögen das natürlich nicht und hatten so lange Probleme mit mir, bis sie mich kennengelernt haben. Aber ich weiß eben am Besten, was gut für mich ist.

Weiß Jürgen Klopp das inzwischen auch?

Natürlich gab es anfangs einige Gespräche zwischen uns, in denen er mich auch auf meinen Trainingseifer angesprochen hat. Er hat mir beigebracht, dass man auch in meinem Alter noch etwas lernen und besser werden kann. Ich mache mittlerweile mehr als früher.

Ihr Vertrag beim BVB läuft noch bis zum Sommer 2010. Bleiben Sie dem BVB danach erhalten?

Es ist schwer, auf so eine Frage zu antworten. Denn wenn ich sage, dass ich sehr gerne hier bleiben würde, hört es sich so an, als würde ich um einen Vertrag betteln. Natürlich steht der BVB an erster Stelle. Ich fühle mich hier wohl, meine Familie auch. Aber man sollte immer zwei, drei Alternativen im Hinterkopf haben.

Können Sie Dortmund denn mittlerweile schon als „Heimat“ bezeichnen?

Auch das ist schwierig. Einerseits habe es noch nie so lange außerhalb Brasiliens ausgehalten wie jetzt in Dortmund. Andererseits weiß ich jetzt schon, dass diese Frage in ein paar Jahren ein Problem sein wird. Speziell meine Frau und meine Kinder, der Älteste geht ja schon zur Schule, fühlen sich hier sehr wohl. Und immer wenn ich damit anfange, dass ich irgendwann zurück möchte, gibt es Ärger, weil sie gerne in Deutschland bleiben würden.

Sie gelten als großer Familienmensch und sprechen viel über Ihre Heimat. Wie wichtig war es damals, als Sie zum BVB kamen, dass Sie mit Dede einen Landsmann an der Seite hatten?

Sehr wichtig. Denn wir haben schon einen Monat, bevor ich nach Dortmund kam, oft miteinander telefoniert. Man kann eigentlich sagen, dass ich das Team schon kannte, bevor ich es überhaupt gesehen habe. Ich denke, Dede hat 50 Prozent meiner Integration ausgemacht. Bei Felipe Santana haben wir beide jetzt eine ähnliche Rolle übernommen. Auch mit ihm haben wir, bevor er hierher kam, viel telefoniert und ihm erklärt, wie in Dortmund Fußball gespielt wird. Von Ihnen ist folgender Satz überliefert: „Wenn es gut läuft, bin ich nicht der Beste, und wenn es schlecht läuft, bin ich nicht der Schlechteste. Ist das Ihr Lebensmotto?

Ja, und dafür gibt es einen speziellen Grund. Wenn ich mir einreden würde, ich wäre der Beste, wäre ich arrogant und hochnäsig. Wenn ich mir einreden würde, ich sei schlecht, würde meine Motivation leiden. Beides ist nicht gut. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Zwei Tage bevor ich zum BVB gekommen bin, hatte ich das entscheidende Tor im Finale um die südamerikanische Champions League geschossen. Wenn ich mit der Einstellung hierher gekommen wäre, mehr wert zu sein als der Rest, hätte ich es nie so weit gebracht wie jetzt.

Lassen Sie uns zum Schluss über Werders Spielmacher Diego reden. Es gibt da einen großen Irrtum, oder?

Ja, er ist ein spezieller Fall. Denn selbst Mannschaftskollegen sprechen mich manchmal auf unsere Beziehung an und sagen, wir könnten uns überhaupt nicht leiden. Aber das ist totaler Quatsch. Wir sind sehr gut befreundet, unsere Eltern kennen sich schon sehr lange. Er war auch schon mit seiner Familie bei uns in Brasilien zu Gast. Nur auf dem Platz trenne ich. Da kenne ich ihn nicht und verteidige die Interessen meines Vereins.

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