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Rangnick-Interview
"Theoretisch können wir Meister werden!"

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Rangnick-Interview: "Theoretisch können wir Meister werden!"
Foto: Firo

Sportdirektor Ralf Rangnick erklärt im exklusiven Interview den Erfolgsweg des Aufsteigers RB Leipzig - und spricht über Schalke und Dortmund.

Wer bei RB Leipzig Fußball spielt, dem fehlt es an nichts. Das neue Trainingszentrum des vom Getränke-Unternehmen Red Bull gegründeten und deshalb umstrittenen Bundesliga-Aufsteigers ist eine prächtige, hochmoderne Klubzentrale, in der jeder Spieler sogar ein eigenes Zimmer hat. Der Sportdirektor allerdings beschränkt sich auf ein normales, eher kleines Büro. Dort spricht Ralf Rangnick über den sensationellen Weg des jungen Teams an die Bundesligaspitze. Nur über das Top-Spiel am Mittwoch beim FC Bayern will der 58-Jährige noch nicht reden – nach der ersten Saison-Niederlage, dem 0:1 in Ingolstadt, sollen die Spieler ihren Fokus ausschließlich auf diesen Samstag richten, auf das Heimspiel gegen Hertha BSC.

Herr Rangnick, eine einfache Frage zu Beginn: Wie geht es Ihnen? Ralf Rangnick: Mir geht es sehr gut - privat, gesundheitlich und beruflich.

Sie mussten 2011 als Schalke-Trainer wegen eines Erschöpfungssyndroms zurücktreten. Jetzt sitzen Sie wieder am Steuer eines Rennwagens, der immer schneller fährt. Haben Sie persönliche Strategien entwickelt, die verhindern, dass Ihnen so etwas wie damals noch einmal passieren könnte? Damals hatte ich gerade fünf Jahre in Hoffenheim hinter mir, wo ich Trainer und im Prinzip auch Manager war, weil ich die meisten Personalentscheidungen getroffen habe. Zudem war mein Vater monatelang sehr krank. Das alles ging an die Substanz. Ich wollte nach Hoffenheim ein paar Monate pausieren, aber dann kam Schalke dazwischen. Schalke war für mich nach der ersten Amtszeit emotional unvollendet und deshalb schwer abzulehnen. Ich habe in vielerlei Hinsicht zu wenig auf mich geachtet. Ich war immer für andere da, selten für mich selbst. Ich hatte bis dahin eher zu viel Energie als zu wenig. Rudi Assauer hat mich auf Schalke mal Brummkreisel genannt, darüber hat sich meine Frau amüsiert, weil sie es so treffend fand. Heute achte ich mehr auf mich.

Ralf Rangnick (rechts) mit unserem Reporter Peter Müller.

Man sagt Ihnen nach, Sie seien detailverliebt. Welcher Topmanager in einem großen Unternehmen überlässt gerne irgendetwas dem Zufall? Ich finde den Begriff detailverliebt zu negativ belegt. Wenn wir in ein Trainingslager fahren, kann es mir nicht egal sein, wie hoch da das Gras auf dem Platz ist. Auf Schalke sind wir mal gegen Köln zu spät gekommen - zu einem Heimspiel! Wir waren im Hotel in Duisburg, und der Busfahrer hatte nicht mitbekommen, dass auf der Autobahn ein Vollstau war. Wenn über mich gesagt wird, dass ich am liebsten auch noch den Bus selbst fahren würde, sage ich: Dann wären wir damals garantiert pünktlich gewesen, denn ich hätte mich vorher nach den Verkehrsverhältnissen erkundigt. Hier bei RB habe ich aber gelernt zu delegieren, schon allein, weil ich in den ersten drei Jahren zwischen den beiden Standorten Leipzig und Salzburg pendeln musste.

Sie waren ein leidenschaftlicher Trainer - wie viele Freiheiten lässt denn der Sportdirektor Ralf Rangnick dem Trainer Ralph Hasenhüttl? Alle Freiheiten, die ein Trainer braucht. Das Einzige, was vorgegeben war, ist die Art, wie wir Fußball spielen wollen. Aber das passte bei ihm auch, und genau deshalb wollten wir ihn ja unbedingt zu uns holen.

Können Sie es im Alltag genießen, dass Ihre Arbeit in Leipzig so schnell so große Früchte trägt? Das ist so eine Sache. Ein Beispiel: Nach dem Spiel gegen Schalke wollten wir den Sieg auf dem Rasen mal zehn Minuten genießen - aber um uns herum gab es längst die Schwalbendiskussion nach der Szene mit Timo Werner in der ersten Minute.

Sie haben zwei Tage lang behauptet, es sei keine Schwalbe gewesen. Haben Sie die Kritik von außen auf sich gezogen, um nach innen Stärke zu erzeugen und den Spielern zu zeigen, dass Sie zu ihnen halten? Das war nullkommanull Berechnung. Ich stand unter dem Eindruck eines etwa zwanzigminütigen Gesprächs, das ich mit Timo nach dem Spiel geführt habe. Der Junge war völlig bedröppelt. Er hat mir versichert, dass er niemals vorhatte, sich etwas zu erschleichen. Timo hat seine Wahrnehmung authentisch formuliert, war auch in Bezug auf eine mögliche Sperre gut beraten. Ich habe mich deshalb schützend vor ihn gestellt.

In einem Interview mit der FAZ haben Sie zum Saisonstart gesagt: Was den Aufsteigern Hoffenheim vor sieben Jahren mit der Herbstmeisterschaft und Kaiserslautern 1998 mit dem Titelgewinn gelungen ist, sei für Sie heute kaum noch vorstellbar. Und nun passiert etwas Ähnliches gerade mit RB Leipzig. Dass wir jetzt so viele Punkte haben würden, konnte selbst ich nicht erwarten, und ich bin in unserem Verein einer der größten Optimisten und Visionäre. Aber die Situation zeigt, wie viel Qualität und Mentalität in unserer Mannschaft stecken. Es war schon in der ersten Woche nach dem Ende der Transferperiode spürbar, dass die Neuen das Trainingsniveau noch einmal deutlich angehoben haben. Wenn du auf einer Uni von vielen Hochbegabten umgeben bist, macht dich das noch ein Stück besser.

Einen Emil Forsberg hätten damals auch andere Klubs für drei Millionen Euro aus Malmö holen können

Ralf Rangnick

In England ist Leicester in der vergangenen Saison Meister geworden. Kann Leipzig das deutsche Leicester werden? Theoretisch kann das natürlich passieren. Es ist nicht völlig unmöglich, aber es ist auch nicht sehr wahrscheinlich. Im Normalfall werden die Bayern Meister. Sie sind Lichtjahre von uns entfernt. Aber wir stehen auch nicht zu Unrecht da, wo wir im Moment stehen.

Sie holen Spieler mit Perspektive, die nicht älter als 23 sind, und Sie haben eine Gehaltsobergrenze von drei Millionen Euro jährlich festgelegt. Da dürfte es doch immer schwerer werden, solche Spieler zu finden, oder? Dadurch, dass wir jetzt in der Bundesliga spielen, ist es sogar leichter geworden. Das Thema Geld war für unsere Neuen nachrangig. Und wenn wir nach dem Aufstieg einem Neuzugang doppelt so viel wie unseren Bestverdienern gezahlt hätten, hätten wir den Teamspirit gefährdet. Wir werden nicht umhin kommen, in den nächsten fünf Jahren das Gehaltsniveau anzuheben, aber dann sollten alle davon profitieren können. Unsere Zielgruppe bleiben junge Spieler, die Bock darauf haben, über den Karriereschritt Leipzig besser zu werden. Einen Emil Forsberg hätten damals auch andere Klubs für drei Millionen Euro aus Malmö holen können.

Die jüngste Bundesliga-Mannschaft, ein Aufsteiger, hochattraktiver Fußball: Wäre es nicht das Konstrukt RB Leipzig, würde Ihnen ganz Deutschland zujubeln. Ich kenne das ja schon aus Hoffenheim. Ich habe aber schon länger das Gefühl, dass immer mehr Menschen unseren Erfolg anerkennen und ihn uns auch gönnen. Wir haben als Verein jedenfalls viele positive Attribute.

Traditionalisten nennen RB Leipzig seelenlos, weil der Klub von einem Sponsor gegründet und durch sein Geld nach oben gebracht wurde. Ich war auf Schalke, in Stuttgart, Hannover, Ulm - überall gab es enorm viel Tradition. Ich weiß, wie viele Probleme das mit sich bringt. Ob nun Dortmund und Schalke mehr als 100.000 Mitglieder haben oder wir knapp 800 - die Zahl ist für mich nicht entscheidend. Sondern die Frage: Haben sie Mitspracherecht, und wenn ja, wie viel? Genau das nehmen ja viele Hardcore-Fans für sich in Anspruch, und das halte ich nicht mehr für zeitgemäß. Wichtig ist es, nah bei den Fans zu sein. Unsere Jungs leben hier, kapseln sich nicht ab, sind Teil dieser Stadt, auch dadurch entsteht Identifikation. Wir sind ein Verein zum Anfassen. Auf Schalke gab es im letzten Jahr eine öffentliche Diskussion, ob die Spieler nicht mehr in Düsseldorf wohnen sollten - und das bei einem der größten Traditionsvereine Deutschlands.

In Leipzig wird RB zunehmend angenommen. Wir haben einen hohen Familienanteil unter unseren Stadionbesuchern. Vor der Saison haben wir 42 Prozent der 20.000 Dauerkarten außerhalb Sachsens verkauft. Wir sind nicht nur in Leipzig, sondern weit darüber hinaus angenommen und akzeptiert. Vor sieben Jahren konnte es noch keinen RB-Leipzig-Fan geben, da gab es den Verein noch nicht. Wir sind neu, und alles was neu ist, ist im Fußball zunächst einmal ein Reizthema. Viele sehen in uns auch eine sportliche Bedrohung.

BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke hat gesagt, bei RB werde Fußball gespielt, um eine Getränkedose zu performen. Schmerzt Sie das? Wir glauben eher das, was er uns in persönlichen Gesprächen sagt. Gerade der BVB hat ja auch schon bewiesen, dass man strategisch wichtige sportliche Entscheidungen nicht von der Meinung der Mitglieder abhängig machen darf. Jürgen Klopp durfte sich damals von den bei den Fans total beliebten Torjägern Alex Frei und Mladen Petric trennen, weil sie nicht zu seiner Spielweise passten. Das ging nur, weil Aki Watzke und Michael Zorc starke Führungskräfte sind.

Stehen sich also einige andere Traditionsklubs selbst im Weg? Am Ende des Tages kommt es immer auf die handelnden Personen an. Überall, wo gute Leute arbeiten, ist nachhaltiger Erfolg möglich - unabhängig von der Tradition.

Uli Hoeneß hat RB Leipzig zuerst als Feind und dann korrigierend als Rivalen des FC Bayern bezeichnet. Fühlen Sie sich geehrt? Es ist schon ein Zeichen der Anerkennung. Ernst genommen werden wir aber inzwischen von fast allen. Manche Mannschaften stellen inzwischen in Spielen gegen uns ihre komplette Grundordnung und Spielweise um.

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