Startseite

Hans Walitza im Gespräch
"Ich habe alles gehabt und alles verspielt!"

Hans Walitza im Gespräch
Borussia Dortmund II
Borussia Dortmund II Logo
14:00
Erzgebirge Aue Logo
Erzgebirge Aue
18+ | Erlaubt (Whitelist) | Suchtrisiko | buwei.de

Scheinbar unendlich zieht sich die Hattinger Straße in Richtung Bochum-Linden, und es geht nur stockend voran. Gas geben, wieder eine Ampel auf rot, stehen bleiben. Ich bin nervös, denn ich komme zu spät zu einem Interview: Hans Walitza. Für mich aus einem kleinen niedersächsischen Dorf kommend stand dieser Name lange Zeit stellvertretend für eine ganze Mannschaft: den VfL Bochum.

Linden begrüßt den Besucher weihnachtlich dekoriert. Lichterketten allenthalben. Schnell finde ich das Haus neben der Spielothek. Ich klingle und schlängle mich an leeren Wasserkästen vorbei eine Treppe hinauf. Fast stolpere ich über ein abgetretenes Stück PVC. An der Wohnungstür schält sich eine massige Gestalt aus dem Gegenlicht und begrüßt mich. Das erste Zimmer ist mit Zeitungen, Videos und Aktenordnern zugestellt. Alles fein säuberlich geordnet und nummeriert. Ich entschuldige mich für die Verspätung und bekomme einen Kaffee angeboten. „Nur schwarz“, sagt Hans Walitza, „was anderes habe ich nicht.“ In Ordnung.

Sie haben in den Aktenordern scheinbar ihre ganze Karriere dokumentiert?

Ja, mein Vater hat fein säuberlich die ganzen Fotos und Spielberichte gesammelt und ich musste das später nur sortieren. Manchmal blättere ich die Sachen durch und wenn ich so in Ruhe nachdenke, kann ich mich noch an unglaublich viel erinnern. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich die Spielszenen richtig vor mir ablaufen.

Sind sie noch im Fußballgeschäft tätig?

Nein. Es ist auch nicht mehr meine Welt. Der Fußball an sich schon, aber das ganze Drumherum gefällt mir nicht mehr. Allein das Jubeln beim Tor: der eine wiegt sein Baby, der andere küsst seinen Ring. Dieser ganze Zirkus heute. Auf meinen Bildern damals: Das war Jubel. Der musste raus und da war nichts gestellt. Heute ist alles gekünstelt und nicht mehr echt. Ein Gerd Müller wird das Reden nie lernen, aber er war ein fantastischer Kerl mit einem großen Herz. Aber die Zeit der Originale ist vorbei. Stattdessen haben die Spieler heute alle zig Rhetorik-Kurse belegt und klingen wie Handelsvertreter. Ist Fußball zu viel Show-Business geworden?

War es auch früher schon. Nur viel kleiner. Unser Präsident Ottokar Wüst bestellte mich mal vor und sagte: „Hans, uns fehlen 2.000 Zuschauer im Schnitt.“ Ich fragte ihn: „Ja, was sollen wir machen?“ Und er antwortete: „Ihr müsst einfach attraktiver spielen!“ Und heute sind selbst die Zuschauer nur noch Randfiguren, denn die Medien machen doch längst alles. Es ist okay, dass sich die Dinge ändern. Wenn man vom Finanziellen ausgeht, wäre ich auch gerne noch mal vierzig Jahre jünger. Das ist doch klar. Was ich allein mit meinen Verträgen an Geld verschenkt habe. Wenn Ottokar Wüst gesagt hat: „Hans, so, so und so“. Punkt. Dann war die Sache erledigt. Kamen Angebote von anderen Vereinen, dann gab es halt ein Gespräch und vielleicht ein paar Mark mehr drauf. Aber sie sind dann trotzdem im Sommer 1974 zum 1. FC Nürnberg gegangen.

Gegangen worden. Der VfL bangte um seine Lizenz und es kam ein Anruf von Wüst: „Hans, wir müssen sie verkaufen!“ Für 660.000 Mark. Das war eine Unsumme. Nürnberg lief damals schon mit Werbung auf der Brust auf: AEG – und die haben auch die Ablöse bezahlt. Die Kohle war dort weit besser als in Bochum, und das Umfeld war wirklich professionell. In Bochum musste meine Frau noch die Schuhe putzen, während ich dort nur mit meinem Shampoo zum Training ging. Um alles andere kümmerte sich der Verein. Mein großer Fehler war allerdings, dass ich einen Vertrag ohne Ausstiegsklausel für den Fall des Nichtaufstieges unterschrieb. Der Club stand in der Aufstiegsrunde und scheitert schließlich mit einem Tor an Eintracht Braunschweig. Das hieß für mich: 2. Liga Süd und da wollte ich wirklich nicht hin.

Nach anfänglichen Ladehemmungen haben Sie sich aber auch in Franken durchgebissen.

Ich war in Bochum Spielführer und wurde es auch in der zweiten Saison in Nürnberg, was als Westdeutscher in Franken wirklich eine Leistung ist. Dabei habe ich dort aufgrund von Verletzungen nie mehr meine alte Form erreicht. In der Saison 1977/78 bekam ich dann Theater mit Horst Buhtz, gab meine Kapitänsbinde ab und setzte mich freiwillig auf die Reservebank, weil nichts mehr lief. Ich wollte meine Schuhe schon an den Nagel hängen, als Werner Kern Trainer wurde. Ein unbekannter Mann und viel zu anständig für das Profi-Geschäft. Er holte mich zurück und machte aus uns eine richtige Mannschaft, so dass wir noch die Relegation gegen Rot-Weiss Essen erreichten. Zu Hause erzielte ich das 1:0 und in Essen das 2:1. Da war ich wieder der liebe Gott in Nürnberg. Wie das halt so funktioniert. In der Bundesliga riss mir dann nach ein paar Spielen die Achillessehne und damit war das Thema erledigt.

Trauern Sie den Fußballzeiten nach?

Was mir am meisten fehlte, war dieses samstägliche Auflaufen vor den Zuschauern. Dieses fiebrige Warten da unten in der Kabine oder in den Katakomben, bist achtmal auf Toilette gerannt und dann raus und los. Das habe ich unheimlich vermisst. Hatten Sie für die Zeit danach ausgesorgt?

Wenn ich nicht so viele Fehler gemacht hätte, dann hätte ich ausgesorgt gehabt. Ich hatte zwei Lotto-Geschäfte in zentraler Lage, die gingen von alleine, da brauchte man nicht viel zu tun. Eine Kneipe an der Nürnberger Burg und ein Café. Wenn alles richtig gelaufen wäre, hätte ich auch eine Trainerlaufbahn, so richtig mit Fußball-Lehrerlizenz in Köln, eingeschlagen. Aber das hat sich alles zerschlagen. Amateure habe ich ja nur deshalb trainiert, weil ich Geld gebraucht hab. Kurz: Ich habe gespielt. Das war’s. Ich war in dem Sog drin und bin da nicht mehr herausgekommen. Das ist keine Entschuldigung, das habe ich mir selbst zuzuschreiben.

Die Spielsucht als Adrenalin-Ersatz für den verlorenen Sport?

Warum auch immer. Ich habe schon zu aktiven Zeiten gezockt, aber lange nicht so viel. Ich habe alles verspielt, was ich mir aufgebaut hatte. Viele Jahre habe ich meine Sucht kaschiert. Als die Bombe platzte und ich meiner Frau alles gebeichtet hatte, war es zu spät, um noch etwas zu reparieren. Sie hat mich "sperren lasen", aber es war nicht mehr aufzuhalten. Ohne meine Frau Marlies und ohne Jürgen Köper weiß ich wirklich nicht, ob ich jetzt hier so mit ihnen reden könnte. Damals zum Fünfzigsten habe ich zu Jürgen gesagt: „Hol mich hier weg, sonst passiert was!“ Und er hat mich zurückgeholt. Aber da wussten wir noch nicht, was ich machen sollte. Jürgen, das habe ich erst im Nachhinein gemerkt, wollte mir keinen Job in seinen Spielhallen anbieten, weil er es für unter meiner Würde hielt. Mir war das so scheißegal. Ich war überhaupt froh, wieder etwas Land zu sehen. Und dann hat er einen Termin mit einem Geschäftsführer von Werner Altegoer, dem Präsidenten des VfL, gemacht. In einem Café. Das vergesse ich nie, weil das habe ich heute noch in meinem Körper. Da haben wir uns unterhalten und dann sagte der zu mir: „Ja, Hans, also, wenn du da was machen willst, hast du so einen weißen Anzug an mit Handschuhen und dann kommt das Förderband und du musst das sortieren.“ Recycling oder was weiß ich. Ich dachte: Mein Gott, was ist bloß aus dir geworden, dass man dir so etwas vorschlägt und habe nur gesagt: „Komm Jürgen, wir gehen!“ Nach diesem Moment war der Verein für mich erledigt. Ich hatte den VfL nie angerufen oder irgendwas und dann so ein entwürdigendes Angebot!? Wenn ich einen Gerd Müller sehe, der ganz unten in der Gosse war, den hat Bayern nicht fallen gelassen und ihn mit Anstand und Respekt behandelt. Nur zehn Prozent davon hätten mir vom VfL schon gereicht. Gut, es gibt im Fußball keine Sentimentalitäten, aber vielleicht ein bisschen Dankbarkeit. Einfach nur, weil der Hans Walitza den Verein mal in die Bundesliga geschossen hat. Aber nichts. Kein Anruf zum Fünfzigsten, gar nichts.

Das ist jetzt zehn Jahre her. Wie geht es Ihnen heute?

Es ist okay. Ich müsste sogar dankbar sein, denn selbst nach dem ganzen Mist, den ich verzapft habe, haben meine Frau Marlies und meine Töchter zu mir gehalten. Ich weiß nicht, wo ich heute ohne sie wäre und das ist keine Floskel. Mit Jürgen Köper habe ich einen unglaublichen Freund. Aber manchmal denke ich: Meine Güte, für dich standen alle Wege offen und du hast wirklich alles weggeworfen. Diese Einsicht frustriert. Dabei geht es mir weniger um das finanzielle, sondern eher um all das andere wunderbare und spannende, was es rund um den Fußball immer noch gibt, was ich einfach verspielt habe.

Das Gespräch führte Ralf Piorr.

Deine Reaktion zum Thema
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
Neueste Artikel