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INAS-FID WM 2010
Die "andere" Nationalelf ist wieder da

INAS-FID WM: DBS freut sich auf Turnierstart
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Erinnern Sie sich noch an die geballte Euphorie zweier Fußball-Weltmeisterschaften und der Wiederholung des Sommermärchens mit WM-Platz 3 im Jahr 2006?

Mit der FIFA-WM im Kurzzeitgedächtnis der deutschen Öffentlichkeit, einem „Mentalcoach“ Christoph Daum im Rampenlicht und Live-Übertragungen im WDR-Fernsehen war das Team des Deutschen Behindertensportverbandes bei der INAS-FID WM im Spätsommer 2006 einem medialen Rummel ausgesetzt, der leider nicht nur jäh endete, sondern vor allem einen bitteren Beigeschmack hinterließ: Auf das zweite Sommermärchen mit Platz drei bei der WM im eigenen Land folgte die nachträgliche Disqualifikation wegen falscher Registrierungsunterlagen und der Frage, ob und wie es überhaupt weitergehen kann.

Keine Beanstandungen durch den Weltverband INAS

Hatte keine glückliche Hand: Die Amtszeit von Bundestrainer Dietmar Schacht währte nur ein gutes Jahr.

Auf den Pionier Willi Breuer folgte der schon in aktiven Zeiten als nicht gerade zimperlich geltende Ex-Profi Dietmar Schacht in der Rolle als Bundestrainer. Der in die Öffentlichkeit drängende Ex-Duisburger machte nie einen Hehl daraus, sein DBS-Traineramt als Sprungbrett für eine vermeintliche Karriere nutzen zu wollen. Im Umgang mit der sensiblen Klientel fehlte ihm hingegen das Fingerspitzengefühl. Mit seinem Rücktritt nach Platz sechs bei der EM 2008 in England und Auflösungserscheinungen sowohl in der Mannschaft als auch im Betreuerstab wurde es sehr still rund um den Fußballsport beim DBS. Der vom DFB neu entdeckte Blindenfußball schien stattdessen den Menschen mit einer Lern- oder geistigen Behinderung den Rang abzulaufen.

Der "Neue in alten Strukturen": Jörg Dittwar mit DBS-Sportdirektor Frank-Thomas Hartleb und DBS-Vizepräsident Ludger Elling (v.l.)

Mit Jörg Dittwar als neuem Bundestrainer ist nun wenige Wochen vor der kommenden INAS-FID WM 2010 in Südafrika eine neue deutsche Auswahl aus der Versenkung wieder aufgetaucht. „Nationalmannschaft der Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen“ lautet nun offiziell die etwas sperrige aber politisch korrekte Bezeichnung der Mannschaft. Dass alle IQ-Tests der Spieler diesmal den internationalen Standards entsprechen, bestätigt der neue Fußball-Koordinator des DBS, Robert Voigtsberger, bei der Abschlusspressekonferenz im Hause des Hauptsponsors Provinzial Rheinland in Düsseldorf kurz und knapp: „Die Registrierung des Teams beim Weltverband INAS ist abgeschlossen. Es gab keine Beanstandungen.“

"Ein neues Gefühl der Gemeinschaft"

Spieler auf Verbandsliga-Niveau wie Ahmet Demir, hier im Halbfinale gegen Holland 2006, fehlen im Team.

Der Stachel der Vergangenheit sitzt tief beim DBS und man ist sichtlich bemüht, mit einem professionellen Auftritt vor Medien und Presse zu punkten, was durchaus gelingt. Analog zum zurückhaltenden Auftreten des ehemaligen Profis vom 1.FC Nürnberg wird sie mit einem anderen Gesicht und neuem Image präsentiert. Nur wenige Spieler der EM 2008 oder gar der WM 2006 sind noch im Kader. Diejenigen, die nun am morgigen MIttwoch im Auftaktspiel gegen die Türkei die deutschen Farben in Südafrika vertreten werden, hält man bewusst aus der Öffentlichkeit heraus, hatte man doch gerade hiermit in der Vergangenheit so manchem Spieler zu viel zugemutet.

Der Rekordnationalspieler Andreas Timm aus Essen, hier beim 9:0-Viertelfinal-Erfolg über Frankreich 2006, hat seine Karriere beendet.

„Es war nicht einfach für mich, ein neues Team zusammenzustellen, denn viele sehr gute Spieler wollten entweder nicht mehr in der Nationalmannschaft spielen oder fühlten sich als medial gepushter Star der Truppe. Nach den Erlebnissen in den letzten vier Jahren ist dies einerseits nicht verwunderlich aber andererseits auch sehr tragisch“, skizziert Dittwar im Rückblick die ersten Wochen seiner Trainer-Tätigkeit Anfang 2009. Im siebenköpfigen Trainerteam wird er hinsichtlich der psychologischen Betreuung von Prof. Stefan Voll vom Universitätszentrum Bamberg unterstützt und hatte gerade mit ihm im sonderpädagogischen Bereich einiges aufzuarbeiten: „Wir haben unzählige Einzelgespräche geführt und waren uns danach im Klaren, dass in allererster Linie ein Gefühl der Gemeinschaft völlig neu gebildet werden muss.“

Dittwar mahnt: "Wir sind doch nicht beim Militär"

Neben Holland der Top-Favorit auf den Titel: Saudi-Arabien als amtierener Weltmeister feierte schon 2006 ausgelassen nach dem Finale in der BayArena Leverkusen

Ausgefeiltes Taktik-Training wurde daher bei den monatlich mindestens einmal abgehaltenen Leistungslehrgängen hinten angestellt. „Ich möchte unbedingtes Erfolgsstreben, Leistungsdruck und blinden Gehorsam überhaupt nicht aufkommen lassen. Wir sind doch nicht beim Militär, sondern arbeiten mit äußerst sensiblen Menschen, für die wir eine Verantwortung tragen“, mahnt Dittwar und ist sich bewusst, ob des Scherbenhaufens, den er nach der EM 2008 vorfand, einen längerfristigen Weg der Aufbauarbeit vor sich zu haben. Europameister Niederlande und Weltmeister Saudi-Arabien sieht er im 16er-Teilnehmerfeld ganz vorne. „Die sportpolitischen Strukturen und die regelmäßige Trainingsarbeit in Holland sind vorbildlich. Die spielen perfekt in einer Raute im Mittelfeld oder verschieben je nach Gegner und Spielverlauf mit zwei Viererketten äußerst geschickt. Das Testspiel Anfang des Jahres haben wir mit 0:6 verloren. Das war schon beeindruckend deutlich“, stellt der 118-fache Bundesligaspieler klar.

Die Vorrunde als gesetztes Team in Gruppe D zu überstehen, ist das Ziel der Mannschaft, um möglichst lange im Turnier zu bleiben, denn „wir sind froh, dass trotz der immensen Kosten ein Start bei der WM in Südafrika möglich wurde. Nun können wir ein WM-Erlebnis im Team feiern und der Einzelne kann wichtige Erfahrungen mit nach Hause nehmen. Dies wollen wir als Chance begreifen. Alles andere ist wirklich zweitrangig“, gibt Dittwar die Marschrichtung für Südafrika vor.

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