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Wittener Ringer löste in Peking ein Versprechen ein
Das Familiensilber des Mirko Englich

Witten: Ringer Mirko Englich über seine Silbermedaille in Peking
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Als Letzter des deutschen Olympia-Trosses hatte sich Mirko Englich für Peking 2008 qualifiziert. Am Ende eines Siegeszuges stand der Wittener Ringer auf dem Podest. Im Finale bis 96 Kg im griechisch-römischen Stil hat er nicht die Goldmedaille verloren, sondern die Silbermedaille gewonnen, lautete das allgemeine Fazit. Ralf Piorr führte das Gespräch mit ihm.

Für Silber jahrelang malocht: Mirko Englich im Kraftraum des KSV Witten.

Mirko Englich, hat sich Ihr Traum von Peking verwirklicht?

Auf jeden Fall. Ich hätte es mir besser kaum erträumen können, obwohl das verlorene Finale natürlich ein kleiner Wehrmutstropfen ist. Jeder Sportler will gewinnen. Deswegen steckt in einer Niederlage auch immer ein Stück Enttäuschung oder der Gedanke: Wie hätte ich es besser machen können.

Zehn Sekunden vor Schluss hat Sie der Russe Chuschtow ausgehoben…

(Englich hebt drei Finger in die Luft.) Drei Sekunden. In dem Augenblick, als er mich in der Luft hatte, dachte ich nur: „Scheiße! Das war es.“ Sonst hätte es eine dritte Runde gegeben. Ich hatte eine Sekunde nicht aufgepasst und meine Chance auf Gold verloren. In einem Olympiafinale stehe ich wahrscheinlich nie wieder und gerade in einer „Randsportart“ wie Ringen denkt ein ambitionierter Sportler nur im olympischen Vier-Jahres-Rhythmus.

Wann überwog die Freude?

Auf dem Treppchen. Als ich da bei der Siegerehrung gestanden und gesehen habe, wie die deutsche Fahne gehisst wurde, da war es vorbei. Da musste ich mir schon die eine oder andere Träne verdrücken und in dem Moment wurde mir auch klar, dass sich das jahrelange Training gelohnt hatte. Als ich von der Siegerehrung kam, warteten die Kamerateams von ARD, ZDF, RTL und Pro Sieben schon auf mich. Im ersten Moment dachte ich: „Die sind hier bestimmt falsch!“ Und dann prasselten die Fragen auf mich ein. Was so eine Medaille doch verändern kann, wenn auch nur für einen Tag oder einen kurzen Zeitraum.

Hinter so einem Stückchen Edelmetall steckt aber viel Schinderei…

Nicht nur das. Ich habe mein Jura-Studium abgebrochen, um ganztags trainieren zu können. Dabei werden wir nicht reich durch unseren Sport. Als ausgebildeter Jurist würde ich heute wohl finanziell besser dastehen. Außerdem bin ich durch die Wettkämpfe ständig unterwegs. Dadurch sind im Lauf der Jahre viele Freunde verloren gegangen, auch weil man einfach immer in der Trainingshalle war, um zu ringen oder stumpfsinnig Gewichte zu stemmen. So ist mein großer Rückhalt vor allem meine Familie.

Tränen der Enttäuschung und der Freude: Yvonne Englich mit den Kindern Lotte und Noah nach dem Finale.(firo)

Die in Peking anwesend war.

Meine Familie inklusive Physiotherapeut fieberten auf der Tribüne mit, was mir einen enormen Rückhalt gegeben hat. Außerdem hatte ich meiner Frau Yvonne die Medaille versprochen, weil sie ihre eigene Ringerkarriere für mich und unsere Kinder unterbrochen hatte. Dann hatte ich das Ding in der Hand und der Familienfriede blieb gewahrt. (Lacht.)

Wie haben Sie die chinesische Gesellschaft erlebt?

Die Politik muss ich außen vor lassen, denn davon haben wir nichts mitbekommen. Als Gastgeber waren die Chinesen überwältigend. Die Sportstätten und das olympische Dorf waren unglaublich eindrucksvoll. Eine Mischung aus traditionellen Elementen und hochmoderner Architektur und Technik wie das „Vogelnest“ oder das Schwimmstadion. Manchmal standen wir nachts davor und schauten nur zu, wie das Stadion die Außenfarbe wechselte.

Und die Menschen?

Man spürte bei ihnen echte Begeisterung und Stolz. Für ein Pressefoto musste ich auf dem Platz des himmlischen Friedens mit meiner Medaille posieren. Danach bin ich eine Stunde nicht weggekommen, weil lauter Menschen auf mich einströmen und ein Foto mit mir machen oder ein Autogramm haben wollten. Dabei war es nicht nur die Medaille, jeder Sportler wurde dort begeistert aufgenommen. In Athen 2004 hatte man dagegen das Gefühl, man war in einer Stadt, in der irgendwo eine Sportveranstaltung stattfand. Auch im Vergleich der Sportstätten war Athen nur Kreisklasse.

Niederlagen gehören zum Sport: Mirko Englich nach dem verlorenen Finale gegen den Russen Chuschtow. (firo)

Lässt sich die Medaille nun vergolden?

Wir Ringer sind wahrscheinlich für die Werbung und die Öffentlichkeit zu große Außenseiter. Adidas zwängt Lukas Podolski in das neue Kompressionsshirt, obwohl andere Sportler darin bestimmt besser ausgesehen hätten. Ich kann mir das Adidas-Shirt noch nicht einmal leisten. Aber so ist das eben. Von den Fußballern trennen uns in jeder Hinsicht Welten. Deswegen kann ich es genießen, einmal in der Öffentlichkeit zu stehen. Auch der Empfang in Witten war für mich ein schönes Geschenk durch meine Heimatstadt.

Welche Ziele hat der KSV Witten in der neuen Bundesligasaison?

Es ist jedes Jahr wieder ein zähes Ringen, den Verein überhaupt auf Bundesliganiveau zu halten. Die Sponsoren fehlen einfach, und ich kenne die Probleme aus familiärer Nähe, da mein Vater als Vorsitzender fungiert. Immerhin gehört der KSV jetzt 45 Jahre in Folge zur Ringer-Bundesliga! Wir setzen verstärkt auf junge Leute, aber ohne „Ausländer“ ist es schwer, auf dem hohen Niveau die Qualität zu finden. Uns kann jeder verletzungsbedingte Ausfall ganz weit zurückwerfen.

Und wie sieht die Zukunft für den Silbermedaillengewinner Mirko Englich aus?

Nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen: Auf dem Treppchen in Peking. (firo)

Die Medaille wird mir in der Bundesliga nur mehr Gegenwind bringen. Meine Gegner werden sich ganz besonders ins Zeug legen, weil sie dann einen Silbermedaillengewinner besiegen würden. Und ich muss im Prinzip bei jedem Kampf aufs Neue, meine Leistung von Peking bestätigen. So funktioniert nun einmal der Sport. Der Wettkampf geht weiter. Aber über die Matte hinaus bin ich gerade dreißig geworden und muss nun schleunigst meine Ausbildung als Brandmeister bei der Feuerwehr in Brandenburg zu Ende bringen. Das kommt jetzt vor dem Sport. Schließlich habe ich eine Familie und die muss auch von etwas leben. Die Medaille allein reicht dafür nicht aus. Wie gesagt: Wir sind keine Fußballer.

Ich danke für das Gespräch.

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