"Ich bin tiefenentspannt", zischte Waldemar Wrobel. Sein angestrengtes Mienenspiel widersprach heftig. Es brodelte. Auch in Maik Walpurgis. Sein Vis-à-vis blickte gleichsam gereizt in die ungewohnt große Journalistenrunde. Es hätte auch die Pressekonferenz zweier Boxer gewesen sein können, so knisterte die Stimmung zwischen beiden Trainern. Gleich als Stadionsprecher Walter Ruege das Prozedere nach dem 1:1 (0:0) zwischen RWE und den Sportfreunden Lotte beendet hatte, gingen Wrobel und Walpurgis auch schon in den Clinch, diskutierten gestenreich. Wenn auch beide angesichts der noch immer versammelten Journalistenschar mit gedämpfter Stimme diskutierten, war leicht zu erahnen, was Inhalt der aufgeregten Diskussion war. Wieder beteuerte Wrobel: "Ich bin entspannt." War er nicht. Genauso wenig wie Walpurgis. Es ist einfach zu viel passiert. Auch an diesem Abend.
Während Wrobel im offiziellen Teil der Pressekonferenz darauf verwies, dass die Lebenserwartung in Deutschland mehr als 70 Jahre betrage und er nicht beabsichtige, bis dahin "alle fünf Minuten etwas dazu zu sagen", sprudelte es aus Walpurgis nur so heraus. Angesprochen auf die Vorgeschichte zwischen beiden Klubs und die Essener Wettaffäre holte er erstmal aus: "Ich war schon sehr irritiert, als ich das Vorwort des Essener Stadionhefts gelesen habe, in dem man von Legenden und Märchen aus Lotte spricht. Es lag eine Straftat vor und es gab Verurteilungen. Dann zu behaupten, in Lotte würden Leute Märchen erzählen und das zu begründen mit einem Saisonverlauf, der insgesamt vier Punkte überm Schnitt lag, ist schon sehr dreist." Zumindest distanzierte sich der 39-Jährige von den Aussagen seines Fußballobmanns Manfred Wilke, der Wrobel der Lüge bezichtigt hatte. "Ich glaube nicht, dass Manfred Wilke diese Dinge gesagt hat", beteuerte Walpurgis. Im Wiederholungsfall hatte RWE Wilke ja immerhin auch juristische Konsequenzen angedroht.
Bis alle derart auf Touren kamen, brauchte es allerdings seine Zeit. Zur eingangs schnöden Atmosphäre trugen maßgeblich auch die Essener Anhänger bei, die sich dem selbst auferlegten Dekret der Fankurven des Landes unterwarfen und für die ersten 12 Minuten und 12 Sekunden schwiegen. Doch auch mit der verspäteten Unterstützung der 7104 Zuschauer im Stadion Essen fanden beide Mannschaften in einer gutklassigen Partie zunächst nicht recht in die Gänge.
Erst nach dem Wechsel entfaltete das Duell seine ganze Reibungswärme - es wurde hitzig. Rudelbildungen und Freistöße allenthalben. Es gab ja auch viel zu diskutieren - über die beiden Elfmeter beispielsweise. Einen hatte auch Schiedsrichter Stefan Glasmacher nach Foul an Kerim Avci erkannt. Anders als in Wuppertal war mit Benedikt Koep immerhin einer der etatmäßigen Essener Schützen zugegen und verwandelte humorlos zum 1:1 (64.). Zuvor hatte Sofien Chahed die Essener Defensive vernascht und Amir Shapourzadeh die Gäste in Führung gebracht (56.). Dass dies jedoch der einzige Treffer der Gäste bleiben sollte, war für Walpurgis Resultat einer "krassen Fehlentscheidung." Der SFL-Coach versprach: "Das werden die Videobilder zeigen." Aleksandar Kotuljac war im Strafraum zu Fall gekommen. "Wenn wir den bekommen hätten, wären wir als Sieger vom Feld gegangen. Der Schiedsrichter hat Respekt vor der Kulisse gezeigt", fand Waplurgis. Immerhin stellte er aber auch Max Dombrowka nach wiederholtem Foulspiel mit Gelb-Rot vom Feld (81.).
Nicht zuletzt deshalb konnte sich Wrobel mit dem in Unterzahl erkämpften Punkt begnügen: "Vielleicht ist es sogar ein gerechtes Ergebnis. Wir haben uns klasse gewehrt und es zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind." Zumindest zeigte das Remis, dass Rot-Weiss Essen im November 2012 auf Augenhöhe mit Lotte rangiert. War das 1:1 beim letzten Aufeinandertreffen noch mit Blut, Schweiß und Tränen errungen, trafen am Dienstag zwei Spitzenteams aufeinander. Lotte zwar - wen wundert's - ein wenig reifer. Doch auch Walpurgis musste anerkennen, dass RWE "eine fantastische, gewachsene Mannschaft" und "etwas Großartiges aufgebaut" habe.
Zumindest ein wenig wird das auch den Essener Coach versöhnlich gestimmt haben, der betonte: "Ich bin stolz, Trainer dieser Mannschaft zu sein." Das allerdings durfte man ihm vollauf abnehmen. Trotz allen Gefechtseifers führte ihn sein erster Gang nach Abpfiff nicht zu Walpurgis, zu keinem Lotteraner, geschweige denn zu seinen eigenen Spielern. Wrobel war bereits auf dem Weg aufs Feld, machte aber auf dem Absatz kehrt und ermunterte die Tribüne gestenreich, weiter zu applaudieren. Seine Jungs hatten es sich verdient.
Der Liveticker zur Partie: reviersport.de/live/rs-spiel-x2046.html