Mit einem süffisanten Lächeln marschierten die Gewinner dieses Pokalabends in die Kabinen des Stadion Essen. Von trotzigen Schmähgesängen der RWE-Fans hinauskomplimentiert. "2. Liga, keiner weiß warum!" befanden die Anhänger des Viertligisten nach 120 Minuten DFB-Pokal, die Simon Terodde 30 Sekunden vor Ablauf der zweiten Hälfte der Verlängerung so jäh und humorlos beendet hatte. Einige Berliner Spieler ließen sich sogar dazu hinreißen, Küsschen in Richtung der Essener Anhänger zu werfen. So wenig souverän wie der Abgang gestaltete sich auch der Auftritt des Zweitligisten an der Hafenstraße. Doch spätestens nachdem für Union fünfmal in Runde eins des Pokalwettbewerbs Endstation war, haben die Köpenicker das Grundsätzliche verinnerlicht. "Im Pokal geht es darum, weiterzukommen. Das ist uns gelungen", stellte Trainer Uwe Neuhaus fest. Dennoch hatte der Gäste-Coach mehr Komplimente für die Hausherren als für die eigene Mannschaft zu verteilen: "Es war ein Kampf auf Biegen und Brechen. Vor allem in den ersten 70, 75 Minuten hat Rot-Weiss Essen läuferisch sehr viel investiert. Natürlich standen sie sehr tief, aber das ist ja legitim. Wir haben kaum Mittel gefunden, sie auszuspielen und mussten sogar auf der Hut vor Kontern sein."
Mit fortlaufender Uhr hätten ihm daher auch "ein wenig die Knie geschlottert. Wenn man an sich das Ausscheiden im letzten Jahr erinnert und einem dasselbe wieder bevorsteht, versucht man das natürlich mit allen Mitteln zu vermeiden. Deshalb habe ich die Mannschaft auch immer wieder nach vorne getrieben. Das ist uns Gott sei Dank gelungen. In der Phase sicherlich ein wenig glücklich, aber trotzdem nicht unverdient."
Waldemar Wrobel tat sich indes sichtlich schwer, sich in das so grausame Schicksal zu fügen. Nur 30 Sekunden hatten gefehlt, um die große Chance des Elfmeterschießens zu bekommen. "Dabei haben wir die letzten zehn Minuten eigentlich minus drei gespielt." Wie zur Demonstration quälte sich Kevin Pires-Rodrigues, der bis zum Ende durchgehalten hatte, im Hintergrund die Treppen in Richtung Kabine herunter. Mit Gehen hatte diese Art der Fortbewegung nicht mehr viel zu tun. Holger Lemke musste nach einem Kurzeinsatz schon vorher wieder vom Feld - der Kreislauf hatte versagt. Daher wurde Wrobel auch nicht müde, seine Mannschaft zu loben. "Ich habe keinen Klassenunterschied erkennen können. Essen hat über 120 Minuten ein tolles Spiel gemacht. Union hatte zwar mehr Ballbesitz und Aktionen, hat uns spielerisch aber nicht dominiert. Letztendlich hatten wir hinten raus nicht mehr die Fähigkeiten. Wenn du so spät das Tor bekommst, ist es natürlich bitter. Aber auch das gehört dazu."
Dieses letzte, das einzige Tor des Abends war natürlich das Gesprächsthema. Auch bei Vincent Wagner, der - noch immer voller Adrenalin - mit dem Schlussakt haderte. "Aus meiner Perspektive war das vorher klar Abseits. Wenn Union vorher das Tor macht, als ich über den Ball haue, gebe ich denen die Hand und sage: Herzlichen Glückwunsch. Aber so ist es mir auch scheißegal, ob wir gut gespielt haben. Es ist egal, ob du dann 0:1 oder 0:6 verlierst. Ich hätte lieber 120 Minuten scheiße gespielt und gewonnen. So ist es einfach nur enttäuschend. Für die Komplimente können wir uns nichts kaufen. Darüber spricht doch in einer Woche keiner mehr."
Der möglicherweise verhinderte Pokalheld Dennis Lamczyk indes hatte die Temperatur nach einem über weite Strecken erstaunlich beschäftigungsarmen Abend schon wieder heruntergefahren. "Wenn es bis kurz vor Schluss 0:0 steht, denkt man schon mal ans Elfmeterschießen. Man muss aber fairerweise sagen, dass Union vorher schon zweimal den Pfosten getroffen hat. Wenn einer davon reingeht, steht es auch 1:0. Aber wir haben über 120 Minuten Gas gegeben. Dem muss man auch Respekt zollen. Union spielt in der zweiten Liga, wir in der vierten. Dennoch hat man über lange, lange Zeit keinen Unterschied gesehen. Daher möchte ich der gesamten Mannschaft ein Kompliment aussprechen." Wagner war ja gerade zum Glück nicht in Hörweite.