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Interview mit Hannes Wolf und Hermann Gerland über Veränderungen im Training

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Jugendfußball: Interview mit Hannes Wolf und Hermann Gerland über Veränderungen im Training
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Hermann Gerland und Hannes Wolf wollen das Jugendtraining in Deutschland grundlegend verändern. Ein Doppel-Interview.

Die Technik hakt ein wenig, dann wählt sich Hermann Gerland in die Videoschalte ein, in der sich Hannes Wolf schon befindet. Beide haben ein Anliegen, sie sagen: Viele Jugendtrainerinnen und Jugendtrainer machen die falschen Übungen. Der 68 Jahre alte Hermann Gerland hat über zweieinhalb Jahrzehnte beim FC Bayern München mit dem Nachwuchs gearbeitet. Hannes Wolf, 41 Jahre alt, wurde mit dem BVB-Nachwuchs dreimal Deutscher Meister und ist aktuell für die U20 des Deutschen Fußball-Bundes verantwortlich. Zusammen haben sie nun ein Video veröffentlicht, das Handlungsempfehlungen gibt für Trainingseinheiten gibt. Zeit für ein Gespräch.

Herr Wolf, Herr Gerland, bei mir in der Jugend gab es die Killerübung, da musste ich die Knie möglichst lange zur Brust hochziehen. Wir sind Runden gelaufen, es gab Straftraining. Alles Quatsch?

Hermann Gerland: Großer Quatsch, eine Katastrophe. Wir sind früher im Entengang geknechtet worden, dann haben wir noch einen auf den Buckel draufgekriegt. Das hat mit Fußball nichts zu tun.

Bei uns gehörte das aber trotzdem dazu. Warum ist das Quatsch?

Hermann Gerland: Fußballspielen lernt man durch Fußballspielen. Die Kinder müssen den Ball so häufig wie möglich am Fuß haben. Wir müssen den Kindern Spielformen anbieten, die genau das beinhalten.

Was braucht ein gutes Jugendtraining?

Hannes Wolf: Es braucht Wiederholung, Intensität und Freude, das gelingt durch kleine Spielformen. Für Vier- bis Achtjährige ist Vier-gegen-Vier zu groß, da ist es besser, Zwei-gegen-Zwei oder Drei-gegen-Drei zu spielen. Aber wichtig sind die kleinen Spielformen auf Tore mit vielen Ballkontakten, Zweikämpfen, Dribblings, Abschlüssen. Und man muss es oft machen, sechs bis achtmal vier Minuten lang – auf mehreren Spielfeldern, damit die Spielzeiten hoch gehen und die Standzeiten reduziert werden. Wenn die Kinder und Jugendlichen viele Ballkontakte haben und auf Tore spielen, dann haben sie Freude, dann werden sie besser.

Warum wollen Sie die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verändern?

Hannes Wolf: Uns beschäftigen in Deutschland derzeit zwei Themen. Erstens hören Jugendliche an der Basis in der Pubertät auf, Fußball zu spielen. Viele Vereine melden ihre A-Jugend ab. Zweitens schaffen es zu wenige in den Spitzenbereich. England und Frankreich haben drei- bis viermal so viele U21-Spieler, die in Profiligen eingesetzt werden, wie wir. Wir glauben, dass wir den Trainern in Deutschland helfen können, den Kindern und Jugendlichen von der Basis bis zum Spitzenfußball Top-Training anzubieten. Deshalb haben wir die konkrete exemplarische Trainingseinheit und die Anleitung für die Spielformen öffentlich und frei zugänglich gemacht.

Hermann Gerland: Wenn man so trainiert, macht man Spieler automatisch besser. Wir müssen mehr fordern und mehr fördern. Kunst kommt von Können. Geiger, Handballer, Eishockeyspieler haben einen viel größeren Trainingsumfang. Wir brauchen mehr Talente, ansonsten killen wir jeden Bundestrainer.

Viele Jugendvereine sind vor allem froh, wenn sie überhaupt eine Trainerin oder einen Trainer finden.

Hannes Wolf: Es ist großartig, wenn Mütter und Väter ihre Kinder trainieren, aber wir müssen ihnen helfen. Wer das Video schaut und umsetzt sowie nur offensives und defensives Umschalten coacht, kann sofort gutes Jugendtraining anbieten. Wir brauchen besseres frei zugängliches Wissen über Kinder und Jugendtraining. Ich habe mit Peter Hermann gesprochen…

Zuletzt war dieser Co-Trainer bei Borussia Dortmund.

Hannes Wolf: Peter Hermann sagt über unsere Übungen: ‚Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass in der Jugend anders trainiert wird.‘ Technik und Taktik muss man spielerisch lernen. Der Kern von Training muss das Spielen auf Tore sein. Deswegen geben wir die klare Empfehlung, zweimal die Woche ab der U9 in den Vier-gegen-Vier-Formen zu trainieren. Jeder Jugendleiter kann das zur Vereinsphilosophie erheben, jeder Jugendtrainer muss wissen, dass es nichts Besseres gibt und er damit seinen Spielern hilft.

Sie haben ein Video veröffentlicht. Aber wie soll der Inhalt in alle Klubs in Deutschland gelangen?

Hannes Wolf: Wir setzen Trainer und Vereine, die es ganz anders machen, etwas unter Druck. Es passiert jetzt, dass sich Eltern das Video angucken und fragen: Warum läuft mein Kind beim Training ohne Ball? Warum steht es beim Torschuss in der Schlange? Obwohl Hermann Gerland sagt, dass es den Ball haben muss. Ich habe 15 Leute aus dem deutschen Fußball gefragt, wie sie den deutschen Nachwuchsfußball beurteilen. Die beste Note, die ich gehört habe, war eine 4 Minus. Mit diesen Formen und den angegebenen Spielzeiten kommen wir sofort auf eine 3 Plus. Wir können nicht warten. Die Leidtragenden sind immer die Kinder und Jugendlichen.

Hermann Gerland: Und hinterher der Bundestrainer.

Hannes Wolf: Wir brauchen eine Vision, was ein Kind macht, wenn es anfängt mit dem Fußballspielen, bis ins Erwachsenenalter. Jeder Ballkontakt ist wichtig, wenn man sich plötzlich in der Bundesliga beweisen muss.

Aber spielen die, die sehr gut werden, nicht ohnehin jeden Tag Fußball?

Hannes Wolf: Die Gesellschaft hat sich verändert, früher konnte man über einen nicht so guten Trainer hinweggehen, weil die Kinder eh die ganze Zeit in ihrer Freizeit gespielt haben. Wir haben zwar Kunstrasenplätze, aber die sind abgesperrt. Ein Kind, das neben dem Platz wohnt, muss schon über den Zaun klettern und fürchten, dass die Eltern verklagt wird. Wenn ein talentiertes und ehrgeiziges Kind heute sechsmal pro Woche Fußball spielt, sind davon vier Einheiten im Verein oder in den Förderstrukturen. Die müssen top sein.

Hermann Gerland: Aber heute können die Kinder ja gar nicht mehr über den Zaun klettern – wenn die oben sind, wissen die nicht, wie sie runterkommen. Dann holen sie das Handy raus und rufen ihre Eltern an. Ich musste vom Kirschbaum runterspringen, weil sie mit einem Luftgewehr auf mich geschossen haben.

Ob das jetzt besser ist, weiß ich nicht…

Hermann Gerland: Aber den normalen Sport des Lebens, den wir früher alle gemacht haben, den machen viele nicht mehr.

Hannes Wolf: Deswegen ist die Abhängigkeit vom organisierten Sport brutal gestiegen. Das kriegen wir nicht zurückgedreht.

Jamal Musial hat gesagt, dass er froh ist, in England ausgebildet worden zu sein, weil er dort mehr Freiheiten hatte. Verhindert Deutschland Dribbler wie Musiala?

Hermann Gerland: Florian Wirtz ist in Deutschland ausgebildet worden und hat ähnliche Anlagen. Die Topleute werden immer entstehen, aber es gibt welche, die schwächer sind. Die können top werden durch ein herausragendes Training. Wir müssen üben, üben, üben. Bei Bayern habe ich mit Robert Lewandowski und Thomas Müller die besten Spieler der Welt trainiert, vor jedem Training haben die zehn Minuten Flanken bekommen und Kopfbälle gemacht. Auch einer wie Gerd Müller hat immer wieder Abschlüsse ausprobiert. Man kann fragen: Warum Hannes und ich das machen?

Das hätte ich jetzt gemacht.

Hermann Gerland: Es gibt auch Gegenstimmen. Manche sagen: ,Die sind bekloppt.‘ Aber ich bin bekloppt, weil ich dem Fußball so viel zu verdanken habe. Und ich bin von diesen Einheiten überzeugt.

Wolf: Hermann hat genauso als Jugendtrainer beim FC Bayern trainiert und Weltklassespieler entwickelt.

Hermann Gerland: Mitentwickelt, die hatten auch noch andere gute Trainer. Aber die Vier-gegen-Vier-Varianten sind als Spielform unabdingbar. In 90 Minuten Training haben wir 80 Minuten gespielt, am Ende mussten sie beißen. Das war kräftezehrend, aber der Körper passt sich an, der toleriert dann eine höhere Belastung. Einmal, als der Erich Ribbeck noch Bayern-Trainer war, hat der den Cooper-Test durchgeführt.

Dabei geht es darum, wie viele Runden man in zwölf Minuten läuft.

Hermann Gerland: Und sein fittester Spieler war Bruno Labbadia. Aber Christian Nerlinger, der noch bei mir trainiert hat und damals oben mitgemacht hat, hat den sogar überrundet. Wir haben Montag, Dienstag und Donnerstag hart Fußball gespielt, Freitag etwas weniger, Samstag war Spiel.

Riskiert man dadurch nicht Muskelverletzungen?

Hannes Wolf: Natürlich darf man die Intensität nicht von heute auf morgen auf einmal ganz hochfahren. Aber ein Kind bekommt keine Muskelverletzungen, mit 13, 14 Jahren eigentlich auch nicht. In der U17 und U19 kann das vielleicht mal passieren. Trotzdem müssen wir davon wegkommen, dass das Spiel im Jugendbereich priorisiert wird und zwei Tage vorher und nachher nicht mehr richtig trainiert wird. Wir müssen hart trainieren.

Herr Gerland, wären Sie durch diese Formen ein besserer Spieler geworden?

Hermann Gerland: Da gehe ich von aus, ich war besessen, ich konnte köpfen, rennen, kämpfen. Wenn mir jetzt noch einer das Dribbeln gezeigt hätte… Das hat mir keiner früher gezeigt. Wenn einer gesagt hätte: ,Spiel mal einen Chip.‘ Dann hätte ich gesagt: ‚Du Osterhase, du musst mir doch zeigen, wie das geht.‘

Sie waren beliebt, Herr Gerland – und Deutschland liebt seine Kämpfer. Soll Fußball hier überhaupt Spaß machen?

Hermann Gerland: Ich bin Bochumer, das ist der Pott. Das kommt auch daher, weil die Leute früher in der Zeche hart arbeiten mussten. Aber ich sehe doch lieber einen Stan Libuda als einen Hermann Gerland. Oder Willi Lippens, das sind Künstler. Ich war ein Malocher.

Hannes Wolf: Ich habe unsere Formen auch mit Sven Bender und Christian Wörns intensiv besprochen, die studieren sie aufgrund ihrer Karriere auch aus der defensiven Perspektive und waren auch begeistert. Denn da drin stecken permanent Defensivaktionen. Sven hat darin lauter Dinge gesehen, die ihm geholfen haben, in Dortmund eine Legende zu werden.

Viele Trainer und Trainerinnen in Deutschland meinen, dass eine Killerübung dazugehört, dass man sich durchbeißen soll. Wie soll man die gewinnen?

Hannes Wolf: Das wird total schwer. Umlernen ist immer schwer, wenn man etwas 20 Jahre anders gemacht hat. Aber wir brauchen die Bereitschaft, es zuzulassen. Wir brauchen Jugendleiter, wir brauchen die Eltern. Damit wir leichten Druck aufbauen und das Know-how an die Leute bringen.

Und wenn die Basis sagt, so etwas können nur die Hochtalentierten?

Hannes Wolf: Wir haben das in ganz vielen Vereinen ausprobiert. Für uns war entscheidend, dass diese Übungen auf jedem Niveau und jedem Sportplatz umsetzbar sind. Zuletzt war ich bei einer C-Jugend in Ascheberg. Die haben in dieser Saison kein Spiel gewonnen, kein Tor geschossen, trotzdem haben die diese Übungen angenommen, hatten Freude und haben schnell Fortschritte gezeigt.

Toni Kroos hat erzählt, dass er so gut wurde, weil er immer wieder Pässe geübt hat. Fällt das dann nicht weg?

Hermann Gerland: Toni Kroos ist weltklasse geworden, obwohl ich ihm das erst nicht getraut habe. Er wusste mit 17 Jahren nicht, wie „nach hinten“ geschrieben wird. Er war nicht schnell genug, um zu dribbeln, aber er wusste immer, wo der Ball hinmusste.

Wolf: Insgesamt fordern wir eine Nettospielzeit in den Formen von circa 60 Minuten pro Spieler. Bei dreimal 90 Minuten Training pro Woche ist noch sehr viel Raum für andere wichtige Inhalte. Zudem haben wir mehrere Formen, die das Passspiel fördern, etwa wenn Tore nur direkt erzielt werden dürfen. Umso herausragende Pässe zu spielen wie Toni Kroos, muss man üben, dafür lassen wir die Zeit, das wollen wir nicht nehmen. Aber ohne die Fähigkeiten, die man in kleinen Spielformen lernt, ist alles andere nichts.

Lassen sich Pässe und taktisches Verhalten erst im Nachhinein lernen?

Hannes Wolf: Profis in die richtigen Räume zu stellen, schafft man in wenigen Tagen. Aber die individuelle Qualität entsteht über das ganze Leben. Wir haben in unseren Formen Zweikämpfe, Dribblings, kurze Pässe, Abschlüsse, Spielverständnis. Ganz viele Themen sind abgedeckt. Was nicht drin steckt, sind Flanken, Kopfbälle, Flugbälle, das muss man üben.

Herr Wolf, Sie würden hier aber vermutlich nicht sitzen, wenn Sie als Jugendtrainer nicht erfolgreich gewesen wären. Wie sollen Trainer diesen Spagat meistern?

Hannes Wolf: Das schließt sich nicht aus, wir haben damals im Training schon sehr viel gespielt. Uns war immer klar, dass wir die Spieler in erster Linie durch unser Training entwickeln und sie mit unseren Worten begleiten.

Gibt es Widerstände beim Deutschen Fußball-Bund?

Hannes Wolf: Alle stehen dahinter, keiner sagt, dass das falsch ist.

Wie lange soll der Prozess gehen?

Hannes Wolf: Wir dürfen auf keinen Fall in drei Monaten das nächste Video rausgeben, in dem wir wieder ganz andere Inhalte behandeln. Wir wollen die Trainer nicht erdrücken. Wir müssen dranbleiben, umlernen ist anstrengend. Wir appellieren an die Offenheit der Menschen, es mal zehnmal auszuprobieren.

Hermann Gerland: Dann kommen die Spieler und sagen: Wir wollen so trainieren.

Kann Deutschland so wieder in die Weltspitze vordringen?

Hermann Gerland: Deswegen machen wir das doch. Natürlich wollen wir wieder Europameister werden. Oder Weltmeister. Heute haben die Kinder viel mehr Möglichkeiten. Wir müssen das Training so gestalten, dass sie sich morgens schon in der Schule darauf freuen. Ich habe Enkelkinder, die wollen keine Hügel rauf und runter laufen. Die freuen sich, wenn sie einen umgrätschen. Und natürlich auch, wenn sie ein Tor schießen.

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