Für seine Mission „Sommermärchen 2.0“ nimmt Julian Nagelsmann eine Anleihe bei Altkanzlerin Angela Merkel. „Wir wuppen das!“, rief der neue Bundestrainer der darbenden Fußball-Nation zu, die er endlich wieder begeistern will - ganz im Stile von Fanliebling Rudi Völler und mit Happy End bei der Heim-EM 2024.
„Ich habe große Lust“, sagte Nagelsmann bei seiner „Regierungserklärung“ als oberster deutscher Fußballlehrer am Freitag in Frankfurt, „es ist für mich ein großes Privileg, ein extremer Anreiz und eine große Herausforderung.“ Er versprach: „Wir gehen es an mit viel Enthusiasmus, großer Vorfreude und dem nötigen Verantwortungsgefühl.“ Schließlich, das betonte der mit 36 Jahren jüngste Bundestrainer der Nachkriegsgeschichte, stehe „eine Nation“ hinter seinem Auftrag.
Dieser muss mit der EURO übrigens nicht abgeschlossen sein: Der frühere Münchner unterschrieb bis 31. Juli 2024, das Heimturnier stehe „über allem“, stellte er klar. Aber: Im Erfolgsfall „ist von meiner Seite nichts ausgeschlossen ...“
Vorher soll der „Glücksfall“ und „Wunschkandidat“ Nagelsmann aber erst einmal „unsere Landsleute glücklich machen“, wie Völler ankündigte. Wie genau? „Sein Feuer für den Fußball“, sagte der DFB-Sportdirektor, „ist spürbar und ansteckend“. Das strahlte Nagelsmann bei seinem ersten Auftritt am DFB-Campus mit jeder Faser aus.
Ein halbes Jahr nach seinem plötzlichen Aus beim FC Bayern zeigte er sich voller Eifer, aber nicht übereifrig. Er feuerte seine Sätze im gewohnten Stakkato-Stil in den Saal, verzichtete aber auf Witzchen oder billige Sprüche. Nagelsmann brennt - und ist doch spürbar gereift. Das legendäre Longboard, mit dem er einst publikumswirksam am Münchner Trainingsgelände vorgefahren war, werde zu Hause bleiben, sagte er.
Seit seiner Freistellung hat er „ein paar Urlaube“ und viel Zeit mit der Familie hinter sich. Vor allem aber eine innere Einkehr, bei der er seine kurze Bayern-Ära „reflektiert“ hat. „Ich bin froh“, sagte er demütig, „dass ich die Chance habe, mich verbessert zu zeigen“.
Und zwar gleich im wichtigsten Amt des deutschen Fußballs. „Bammel habe ich nicht“, sagte Nagelsmann selbstbewusst. Neben seinen ebenso jungen Assistenten Sandro Wagner (35) und Benjamin Glück (37) soll ihm Völler zur Seite stehen. „Ich werde nah dran sein“, versprach dieser.
Dann kann Völler überprüfen, wie eng sich der einstige Konzepttrainer Nagelsmann an seine Vorgabe der Einfachheit halten wird. „Es wird nichts verkompliziert“, umschrieb er seinen Ansatz, der schon bei seinem Debüt auf der US-Reise (9. bis 18. Oktober) und Spielen gegen die USA und Mexiko zu sehen sein soll.
Eine erste Personalie räumte er schon jetzt ab. Ilkay Gündogan, stellte Nagelsmann nach einem Gespräch mit dem Kapitän klar, werde die Binde behalten. Zu einem Comeback von Manuel Neuer äußerte er sich ausweichend, der langjährige Spielführer müsse erstmal gesunden.
Konkreter wurde er bei seinem fußballerischen Plan. „Wir brauchen eine gesunde Aktivität zum gegnerischen Tor und wollen Stress erzeugen beim Gegner, dass es ihm weh tut, gegen uns zu spielen“, sagte er. Dann werde es gelingen, den von Kurzzeit-Trainer Völler nach dem Aus von Hansi Flick gegen Frankreich (2:1) „zurückgewonnenen Enthusiasmus und Glauben weiterzutragen“. Bald schon, spätestens aber bei der EM, soll die Fußball-Nation unter Nagelsmann wieder gemeinsam „draußen sitzen und das Handy laufen lassen, wenn Länderspiele sind. Das ist die Idealvorstellung.“
Viel Zeit hat er nicht, zuerst mal brauchte er aber Geduld. Völler und DFB-Präsident Bernd Neuendorf feierten sich 13 Minuten lang für ihren Coup, den die Verbandsgremien einstimmig absegneten. Auch die Bayern, bei denen Nagelsmann noch bis 2026 gebunden war, hätten „gut mitgespielt“, sagte Völler, und seien dem klammen Verband finanziell entgegengekommen. Beim ersten Treffen mit Nagelsmann am Dienstag „hatten wir dann das Gefühl: Das geht auf, das ist eine wunderbare Kombination“, ergänzte Neuendorf selig.
Als „ganz toll“ empfand er, dass sich Nagelsmann den Funktionären nach der Vertragsunterschrift in Neuendorfs Büro persönlich vorstellte. Sein erster offizieller Termin nach der knapp einstündigen Präsentation führte ihn zum Amateurfußballkongress mit 400 Teilnehmern, zur Basis.
Wie er die Gesamtlage sieht? „Ganz so düster wie damals in Hoffenheim“, meinte Nagelsmann im Rückblick auf seinen ersten Retter-Posten, den er im Februar 2016 angetreten hatte, „sieht es nicht aus.“ Oder, ganz nach Angela Merkel: Wir schaffen das!