Die Bierfässer stapeln sich bis zur Kneipendecke, die riesige Meisterparty am Borsigplatz ist bis ins Detail geplant, die Fans können kaum noch schlafen. Dortmund ist bereit, so richtig auszurasten - und Hans-Joachim Watzke hat vor dem goldenen Matchball plötzlich sehr viele alte „Freunde“.
Das geht dann so: „Wir haben in der dritten Klasse doch Religionsunterricht zusammen gehabt. Und ach, ich brauch“ unbedingt noch zwei Tickets für Samstag„, berichtete der BVB-Boss vor dem großen Finale einer verrückten Bundesligasaison lachend. Letzte Hotelzimmer an der vier Kilometer langen Meistertruck-Strecke für Sonntag kosten ab 600 Euro aufwärts, mehr als 250.000 Menschen werden erwartet.
Das Problem ist nur: Noch ist Borussia Dortmund nicht deutscher Meister.
90 Minuten und ein Sieg gegen den FSV Mainz 05 (15.30 Uhr/Sky) trennen den ausgehungerten BVB davon, dem wankenden Giganten FC Bayern München nach quälenden zehn Jahren die Schale zu entreißen. Ganz ohne wilde Motivationsriten. „Das Spielfeld ist genauso groß wie letzte Woche, der Ball genauso rund“, sagte Trainer Edin Terzic, der als „Mann aus der Kurve“ einer der Helden des neunten Meistertitels wäre.
Alles soll so normal wie nur möglich ablaufen. „Der Schlüssel ist, in einer besonderen Woche nichts Besonderes zu tun“, betonte Terzic. „Es geht nicht um außergewöhnliche Dinge, es geht darum, auszublenden, wo man steht und wann das Spiel ist. Wir wollen den gemeinsamen Weg krönen.“
Auch die Bayern planen pflichtgemäß Feierlichkeiten auf dem Rathausbalkon, zumal die Frauen am Wochenende wohl den Titel holen werden. Eine Resthoffnung gibt es ja noch, dass der BVB stolpert und den Münchnern, die beim 1. FC Köln antreten, die Schale in den Schoß fallen lässt. Nehme ich so, sagt Thomas Müller: „Das wär“ mir dann auch völlig egal.„
So oder so wird es eine interne Saisonabschlussfeier mit Sponsoren und Honoratioren in der „Motorworld“ in München-Freimann geben. Von Euphorie aber kann vor dem Finale überhaupt keine Rede sein, stattdessen wird diskutiert, ob die Zeit von Vorstandsboss Oliver Kahn schon abgelaufen ist - und wie groß der Umbruch im Luxus-Kader sein wird.
Ganz anders beim BVB. 300.000 Eintrittskarten hätte die Borussia verkaufen können, 800 Journalistinnen und Journalisten haben um Akkreditierung gebeten. Die Aktie ist um 30 Prozent in die Höhe geschossen, das Goldene Buch der Stadt quasi schon aufgeschlagen.
Eine Meisterparty mit der Schale auf dem Borsigplatz zu erleben, stelle ich mir unglaublich vor
Sebastien Haller
Die größte Feier der jüngeren Stadtgeschichte, sie kann also kommen. „Eine Meisterparty mit der Schale auf dem Borsigplatz zu erleben, stelle ich mir unglaublich vor“, sagte Sebastien Haller, der mit seinem Comeback nach Krebserkrankung das Märchen der Saison geschrieben hat.
Seine Rückkehr zu alter Stärke ist eine der vielen kleinen Geschichten, die vor dem Samstag zu erzählen sind. Da ist aber auch noch Terzic, da ist Marco Reus, der schon so lange sehnsüchtig auf den Meistertitel wartet. Jude Bellingham, der Anführer, der wahrscheinlich im Sommer schon wieder weg sein wird. Mats Hummels, zum alten Eisen gezählt, dann aber mit den meisten Ligaspielen aller Dortmunder Innenverteidiger betraut.
Und: ein warmer, weißer Rollkragenpullover. Viel zu kuschelig eigentlich für 20 Grad und Sonnenschein, aber Watzke würde niemals einen anderen anziehen: Es ist sein Glückspulli. Schon „in Augsburg war es hart, aber ich habe ihn angehabt, und das werde ich auch am Samstag“, sagte er: „Egal, wie warm es ist.“