Je mehr man fragte, desto diffuser wurde das Bild, desto komplizierter gestaltete sich die Suche nach dem Mann des Spiels bei Borussia Dortmund – denn die Antworten wurden immer vielfältiger. Auch Julian Brandt, sonst oft sehr klar in seinen Aussagen, konnte nicht wirklich weiterhelfen: „Wir hatten heute viele Men-of-the-Match-Kandidaten auf dem Feld.“
Ein souveräner 3:0 (2:0)-Sieg zum Champions-League-Auftakt gegen den FC Kopenhagen eröffnete eben viele Möglichkeiten. Brandt brachte Giovanni Reyna ins Spiel, der nach langer Verletzungspause das 2:0 durch Raphael Guerreiro (42.) und das 3:0 durch Jude Bellingham (83.) aufgelegt hatte. Nico Schlotterbeck nannte Niklas Süle, der nach überwundener Muskelproblematik ein starker Nebenmann in der Innenverteidigung war. Sportdirektor Sebastian Kehl erwähnte Schlotterbeck und den Torhüter Alexander Meyer, der den wegen eines Muskelfaserrisses fehlenden Gregor Kobel fehlerfrei vertrat – allerdings kaum geprüft wurde.
Uefa wählt Brandt zum Spieler des Spiels
Viele Namen kursierten, die Uefa aber musste einen einzelnen Spieler des Spiels bestimmen – und wählte Julian Brandt (26). Eine gute Wahl, eine richtige Wahl, der Mittelfeldspieler war einer von zwei Akteuren, die die Partie in besonderem Maße geprägt hatten. Und der andere hieß Marco Reus (33).
Gemeinsam zauberten beide einige besonders schöne Momente auf den Rasen, zum Beispiel das 1:0: Brandt hatte sich wieder einmal in genau den richtigen Raum bewegt, bekam den Ball und spielte ihn in den Lauf von Reus. Der umkurvte einen Gegenspieler und traf zur Führung (35.). Das Duo der Instinktfußballer drückte dem Spiel seinen Stempel auf, es gab der Partie Struktur – und machte das Fehlen der Hochgeschwindigkeitsdribbler Donyell Malen, Karim Adeyemi und Jamie Bynoe-Gittens vergessen. „Ich kann mit Jule sehr gut harmonieren“, sagte Reus. „Er ist ein sehr intelligenter Spieler, ich stehe gerne mit ihm auf dem Platz.“ Die Wertschätzung ist beidseitig: „Wir verstehen uns extrem gut, lernen uns immer besser kennen, auch auf dem Platz“, sagte Brandt. „Er ist auch in seinem Alter immer noch ein herausragender Spieler.“
Wankelmütige Auftritte in Dortmund
Mit drei Jahren Verspätung ist endlich das zu sehen, was sich die BVB-Bosse erhofft hatten, als sie Brandt für 25 Millionen Euro von Bayer Leverkusen holten: dass die beiden Zauberfüße, die sich aus der Nationalmannschaft gut kannten, ähnlich harmonieren würden wie einst die jungen Überflieger Reus und Mario Götze und das BVB-Spiel auf eine neue Ebene heben könnten. Der Glaube daran allerdings schwand zusehends und ging zum Start dieser Saison gegen Null. Zu wankelmütig präsentierte sich Brandt in all den Jahren in Dortmund, der neue Trainer Edin Terzic bevorzugt außen andere Spielertypen, die vor allem über Dynamik und Tempo kommen.
Erst das Verletzungspech, das vor allem die Flügelspieler traf, spülte Brandt in die Mannschaft, eröffnete ihm wieder einmal eine Chance, sich zu beweisen – und diese Chance nutzte er. Und so mancher Beobachter rieb sich verwundert die Augen, weil da auf dem Platz auf einmal ein Brandt zu sehen war, der geradezu verbissen ackerte, der weite Wege zurück machte, der sich mit Verve in die Zweikämpfe warf und viele davon auch noch gewann. Nichts mehr zu sehen von dem Defensiv-Phlegma, das in den vergangenen Jahren so manchen Trainer zur Verzweiflung getrieben hatte.
„Es ist wieder einmal eine Saison, in der man extrem viel dazulernt“, sagte Brandt, als er nach dem Kopenhagen-Spiel darauf angesprochen wurde. „Der Trainer hat klare Erwartungen und ich weiß, was ich kann – und was ich noch zu lernen habe.“ Aber: „Ich werde trotzdem nicht der neue Rechtsverteidiger, sondern versuche, über Aktionen nach vorne dem Spiel meinen Stempel aufzudrücken.“
Nun geht es wohl gegen Ex-BVB-Trainer Rose
Als nächstes am Samstag (15.30 Uhr/Sky) bei RB Leipzig. Dann könnte Marco Rose an der Seitenlinie stehen, jener Trainer, zu dem Brandt ein besonders gutes Verhältnis hatte. Dessen Entlassung im Sommer war ein Schock für den Offensivspieler, er schien ein großer Verlierer des Trainerwechsels zu werden. Vorerst aber ist es anders gekommen – auch dank der besonderen Chemie mit Marco Reus.