Robert Lewandowski geht nach einem Griff an seine Schulter von Charles Aranguiz zu Boden. Tobias Stieler lässt das Eröffnungsspiel zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen zunächst weiterlaufen, dann bekommt der Schiedsrichter ein Signal aus dem inzwischen gleichermaßen berühmten wie gefürchteten Kölner Keller: Stieler schaut sich die Situation noch einmal an und entscheidet auf Elfmeter - Lewandowski verwandelt sicher.
Am 18. August 2017 wurde im deutschen Fußball erstmals der Videobeweis angewandt. Doch auch fünf Jahre nach seiner Einführung bleibt der Video Assistant Referee (VAR) ein großes Reizthema. Lauter Kaufhaus-Detektive säßen da im Keller, immer auf der Suche nach einem bisher unentdeckten Vergehen, schimpfte Schalkes Sportvorstand Peter Knäbel nach einer Roten Karte gegen Dominick Drexler in der Begegnung beim 1. FC Köln (1:3) am ersten Spieltag.
Tatsächlich bleibt das von Knäbel beschriebene Empfinden die größte Problematik beim VAR, der den Fußball eigentlich gerechter machen soll. Aus dem Keller soll nur bei klaren Fehlentscheidungen eingegriffen werden. Doch wann diese vorliegt, darüber gibt es auch nach fünf Jahren höchst unterschiedliche Ansichten.
So wird jede Woche weiter munter geflucht und diskutiert. Die Befürchtungen von Günter Netzer sind immerhin längst widerlegt. Der frühere Welt- und Europameister prognostizierte einen perfekten und langweiligen Sport durch die Einführung des Videobeweises. Doch die hitzigen Diskussionen im Stadion, am Stammtisch und in Talksendungen sind nicht verstummt.
Die Begeisterung über den VAR hält sich dennoch in Grenzen. Die organisierte Fanszene will ihn sofort abschaffen. Dabei zeigen die Zahlen, dass das Millionengeschäft Fußball durch den VAR tatsächlich gerechter geworden ist. In den Ligen werden pro Saison zwischen 60 und 100 Fehlentscheidungen korrigiert. Die Verantwortlichen sehen sich daher bestätigt. „Es gibt eher die Tendenz, über fehlende Intervention nachzudenken als über übertriebene Intervention“, sagte Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich.
Dabei sind die Fans jetzt schon aufgebracht. Sie beklagen den Verlust von Emotionen durch einen verzögerten Torjubel. Auch die Profis müssen teils eine gefühlte Ewigkeit warten, bis sie ihren Treffer feiern können. Bayern-Trainer Julian Nagelsmann monierte am Sonntag nach dem Spiel gegen den VfL Wolfsburg (2:0), dass eine Abseitsentscheidung gegen Sadio Mane „fünf Stunden und 34 Minuten gedauert“ habe. Ein weiteres Ärgernis ist, dass TV-Zuschauer besser im Bilde sind über strittige Entscheidungen als die Fans in den Stadien.
Trotz aller Kritik: Der Videobeweis wird nicht mehr verschwinden. Bei der umstrittenen Winter-WM in Katar (20. November bis 18. Dezember) plant der Weltverband FIFA mit einer halbautomatischen Abseitstechnik. So soll eine Überprüfung nur noch rund 25 Sekunden dauern.
Urs Meier brachte noch eine weitere Idee ins Spiel. Der ehemalige Schiedsrichter ist kein VAR-Fan, spricht sich aber für eine Optimierung aus. Wäre der Video-Schiri im Stadion und könnte das Spiel mit eigenen Augen verfolgen, würde das „das Wirrwarr verringern, weil man sich um einige Szenen nicht zu kümmern“ bräuchte, sagte der Schweizer in seinem Podcast: „Du siehst gewisse Sachen im Stadion - und weil“s gestimmt hat, musst du das gar nicht mehr anschauen. Da brauchst du nicht drei oder vier Minuten schauen."