Marco Reus und Niklas Süle radelten lachend mit quietschgrünen Mountainbikes zum Training, Edin Terzic kickte bei fast unerträglicher Hitze selbst ein paar Bälle. Zwei Tage nach dem Tumor-Fund bei Sebastien Haller legt sich bei Borussia Dortmund langsam der unmittelbare Schrecken. Die Verantwortlichen müssen sich bei aller Anteilnahme nun auch den sportlichen Folgen stellen: Es besteht akuter Handlungsbedarf.
„Ich bin nur ein Mensch und war natürlich total schockiert“, sagte der neue Trainer Terzic, er mahnte jedoch: „Auf der anderen Seite bin ich Anführer dieser Gruppe und mir sicher, dass ab nächster Woche Freitag niemand mehr auf diese Geschichte Rücksicht nehmen wird.“
Denn dann hat der BVB seinen Pflichtspiel-Auftakt im Pokal beim Drittligisten 1860 München. Es folgt der knifflige Ligastart gegen Bayer Leverkusen (6. August) und beim SC Freiburg. „Wir werden ein paar Dinge im Training umsetzen, um uns auf alles vorzubereiten“, kündigte Terzic an. Dafür holte er U23-Stürmer Bradley Fink in die Schweiz nach, am Mittwoch diskutierte Terzic in der stechenden Sonne angeregt mit seinen Assistenten Peter Hermann und Sebastian Geppert.
Klub-Chef Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Sebastian Kehl ließen sich nicht beim Training blicken: Sie hatten womöglich Besseres zu tun. Der Transfer-Jubel um ihren Verein, von Julian Brandt im SID-Interview noch als „diese elektrisierende Euphorie“ umschrieben, ist dahin. Plötzlich steht der BVB ohne Nachfolger für seinen Topstar Erling Haaland da.
Youssoufa Moukoko ist diese Last kaum aufzubürden. Der 17-Jährige, einziger zentraler Stürmer im Kader neben Haller, ist jung, verletzungsanfällig. Steffen Tigges, der einzige vom Typ Brecher, aber ein sportliches Leichtgewicht, wurde für kleines Geld an den 1. FC Köln abgegeben. Karim Adeyemi ist eine wuselige Alternative, Donyell Malen bisher ein Flop, Thorgan Hazard ein Verkaufskandidat.
Watzke und Terzic werben dafür, alleine aus Anstand abzuwarten. „Nun haben wir durch seine Erkrankung eine Situation, in der Fußball nebensächlich ist“, sagte auch Brandt. Doch es hilft nichts: Gesucht werden muss einer wie der Typ Sandro Wagner damals bei Bayern München.
Treffsicher, erfahren, nicht zu jung, nicht zu ambitioniert, am besten als Ein-Jahres-Leihe, später bereit zur Einordnung in die zweite Reihe, das ist das wahrscheinlichste Profil für eine Übergangslösung, bis Sebastien Haller (28) hoffentlich geheilt ist. „Über die sportlichen Folgen haben wir uns noch keine großen Gedanken gemacht“, sagte Terzic am Dienstag.
Geboten ist es nun. „Wir werden sehr, sehr schnell gefordert sein, wir werden schnell zusammenwachsen müssen“, sagte Terzic selbst. Zumal der Haller-Transfer eine vereinsphilosophische Wende einleiten sollte: weg vom ständigen Talentekauf und Durchlauferhitzertum, hin zum gestandenen Spieler auf der Höhe seines Könnens.
Ohne Haller, der nach weiteren Untersuchungen erfahren wird, ob eine Krebserkrankung vorliegt, ist schwer denkbar, dass der BVB sich auf Augenhöhe mit den Bayern ziehen kann. Süle formulierte den Titel aber offensiv als Ziel: „Ich glaube fest daran, dass wir das schaffen können.“
Jedoch haben die Bayern die Dortmunder Transfer-Offensive mit Sadio Mane und Mathijs de Ligt spektakulär übertroffen. Immerhin soll die BVB-Abwehr stehen: Am Mittwoch wurden die DFB-Innenverteidiger Süle und Nico Schlotterbeck im Doppelpack vorgestellt. Süle bekräftigte dabei: „Ausfälle sind uns egal, wir vermissen den Menschen Sebastien Haller.“