Im Hintergrund brüllten Fans „Rose raus!“, als Mats Hummels die BVB-Saison mit einem bemerkenswerten Auftritt für beendet erklärte. „Den Blick nach oben gibt es nicht mehr“, sagte der Abwehrchef von Borussia Dortmund im Sky-Interview nach dem desaströsen 1:4 (0:2) gegen RB Leipzig: „Jetzt geht es um einen Grundstein für das nächste Jahr.“
Die vorab so überschwänglich begrüßte Rückkehr der Gelben Wand auf der Südtribüne, das erste Spiel im voll besetzten Stadion seit 763 Tagen - es wurde zum Sinnbild des BVB-Zustandes im Jahr 2022. Kommt Widerstand, ist es, als werde unten ein tragendes Bauklötzchen aus dem mühsam aufgerichteten Turm gezogen.
Der auch vom Verein selbst aufgeblasen zelebrierten Erwartung der glorreichen Fan-Rückkehr wurde der BVB zu keiner Zeit gerecht. Er wisse, dass es „für meine Aussagen wieder auf den Sack gibt“, sagte Hummels bei Sky, „da wird bei Twitter wieder draufgehauen, aber: Es war ein Sieg der Effektivität und der Chancenverwertung. Es war von den Leistungsverhältnissen kein 4:1.“
Auch das: bezeichnend.
Dass sich Hummels selbst nicht sicher war, ob er für die Abwehr das Wort „Hühnerhaufen“ in den Mund nehmen sollte, zeigt jedoch, dass der Sinn für die Realität generell intakt ist.
Wie schon das 2:5 gegen Bayer Leverkusen, das 0:4 bei Ajax Amsterdam, das Pokal-Aus auf St. Pauli oder das 2:4 gegen die Glasgow Rangers war auch dieses Spiel wieder ein Wink mit dem ganzen Zaun: Diese Mannschaft benötigt einen schnellen, tiefgreifenden Umbruch.
Sebastian Kehl, der als Sport-Verantwortlicher im Sommer Michael Zorc ablösen wird, hat das erkannt. Doch so einfach ist es nicht. „Wir streben Veränderungen an, Gespräche laufen. (...) Aber es wird halt ein bisschen darauf ankommen: Wird uns der eine oder andere Spieler verlassen? Viele haben noch längere Verträge. Welche Möglichkeiten ergeben sich, dass Spieler wechseln können oder wollen?“, sagte Kehl im SZ-Interview.
Übersetzt: Die Dortmunder haben sich Spieler ans Bein gebunden, die für zu viel Geld zu wenig Leistung bringen. Und das im halben Dutzend. „Ich will hier lauter Jungs haben, die aber mal so richtig Bock auf diesen Verein haben, sich zerreißen“, sagte Kehl, er sprach vom Aufbrechen „verkrusteter Strukturen“.
Dazu gehört einerseits der Ausstieg aus dem Durchlauferhitzer-Dasein für große Stars der Zukunft, wie der BVB es derzeit wieder mit Erling Haaland erlebt. Der Norweger scheint sich innerlich verabschiedet zu haben, die Liebe der Fans ist erkaltet. Ohnehin vorhandene Zweifel an Trainer Marco Rose wachsen enorm.
Andererseits steckt der BVB in der Bayern-Falle. Nur er kann irgendwie halbwegs mit dem Rekordmeister mithalten, er formuliert offen Ansprüche, muss sich aber verspotten lassen, wenn - logischerweise - am Ende doch die Münchner die Schale haben.
„Wir müssen raus aus diesem Muster“, fordert Kehl, die Borussia dürfe nicht „wie ein geprügelter Hund aus einer wirklich guten Saison gehen, weil man Zweiter geworden ist“.
Das Gerede von der „wirklich guten Saison“ ist allerdings arg beschönigend. Kein Fan würde dies angesichts der krachenden Niederschläge in Meisterschaft, Pokal und zwei Europacups unterschreiben. Tausende verließen das Stadion am Samstag lange vor dem Abpfiff - das war sie also, die Rückkehr.