Im Todesfall Manfred Amerell verfolgen die Ermittler bisher keine Selbstmord-Theorie. "Die Auffindesituation war nicht ungewöhnlich und lässt darauf deuten, dass kein Unfallgeschehen, Fremdverschulden oder ein Suizid vorliegt", sagte Kommissar Frank Hellwig von der Münchner Polizei über den Tod des 65 Jahre alten Ex-Fußballschiedsrichters. Amerells Leichnam war am Dienstag in München gefunden worden.
Zwar stand bis zu einer für Mittwochnachmittag angesetzten Obduktion die Identität der in Amerells Münchner Wohnung gefundenen Leiche noch nicht zweifelsfrei fest, doch gingen die Ermittler laut Staatsanwalt Peter Preuß von Amerell als aufgefundene Person aus. Mit Ergebnissen der Untersuchungen zur Todesursache rechnet Hellwig "in zwei Wochen".
Amerells Tod, anscheinend einsam und von seiner Umwelt mehrere Tage lang unbemerkt, beendete das schwerste Spiel im Leben des früheren Schiedsrichter-Sprechers vorzeitig. Die Umstände seines Ablebens ließen vorerst Fragen offen. Eindeutig jedoch bedeutet Amerells Tod den tragischen Schlusspunkt hinter seinen Kampf um Rehabilitierung. Bis zuletzt schien Amerell als Schlüsselfigur des Schiedsrichter-Skandals von 2010 für Beobachter damit beschäftigt, seinen Ruf wiederherzustellen, der durch die Affäre um angebliche Sex-Kontakte zum ehemaligen FIFA-Schiedsrichter Michael Kempter angeschlagen war.
"Das nimmt man mit bis ins Grab"
"Seit dem 1. Februar 2010 lebe ich nicht mehr, ich existiere nur noch", hatte Amerell im vergangenen Frühjahr gesagt und damit die Auswirkungen der öffentlichen Schlammschlacht beschrieben. Auch nach einem zivilrechtlichen Vergleich mit Kempter vor Jahresfrist fand Amerell keine Ruhe: "Meine Lebensqualität geht gegen null. Und das ist bis zum Tod nicht mehr zu korrigieren, das nimmt man mit ins Grab." Wegbegleiter des gebürtigen Münchners berichteten nach dem Fund der Leiche, dass Amerell noch Klagen gegen den früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger sowie ehemalige Schiedsrichter-Kollegen wegen unzutreffender Aussagen bei der Aufklärung der Kempter-Affäre geplant und sich davon beinahe schon verzweifelt weitere Genugtuung versprochen habe.
Zum Zeitpunkt seines Rücktritts als Schiedsrichter-Sprecher im Februar 2010 blickte Amerell auf eine 40-jährige Laufbahn im deutschen Fußball zurück. Seine Karriere begann auf dem Geschäftsführer-Posten bei 1860 München (1970 bis 1975), diese Position bekleidete er auch beim FC Augsburg (1975 bis 1979) und beim Karlsruher SC (1979 bis 1984). Anschließend wechselte der Bayer ins Lager der deutschen Spitzenschiedsrichter, gab in der Saison 1984/85 sein Debüt in der 2. Liga und leitete im März 1987 erstmals eine Begegnung im Oberhaus. Krönender Abschluss seiner Laufbahn war 1994 nach 66 Erstliga-Spielen die Leitung des DFB-Pokal-Finales zwischen Werder Bremen und Rot-Weiss Essen in Berlin.
Kaum noch soziale Kontakte
In seinem Kampf um größtmögliche Wiedergutmachung geriet Amerell jedoch anscheinend auch außerhalb des Fußballs zunehmend in Isolation. "Der letzte Lebendkontakt erfolgte unseren Erkenntnissen zufolge vor einer Woche", berichtete Hellwig am Mittwoch.
Weil Amerell, der von seiner Ehefrau getrennt lebte und zwei Töchter hinterließ, mehrere Tage auf Anrufe nicht reagiert hatte und sein Briefkasten bereits übergequollen war, veranlasste die alarmierte Polizei die gewaltsame Öffnung seiner von innen verriegelten Fünf-Zimmer-Wohnung im vierten Stock eines Wohnhauses im Stadtteil Neuhausen durch die Feuerwehr. Trotz fehlender Anhaltspunkte für einen unnatürlichen Tod bot sich den Einsatzbeamten anscheinend ein unangenehmer Anblick: "Die Heizung lief witterungsbedingt auf vollen Touren. Es war sehr warm in der Wohnung. Dementsprechend ist der Leichnam in einem sehr schlechtem Zustand aufgefunden worden. Eine zweifelsfreie Identifikation war nicht möglich."