Jubelschreie hallten bei jedem Tor über den Trainingsplatz, nach gelungenen Aktion wurde gelacht und geherzt: Die Profis des VfL Bochum schienen nach der Entlassung von Trainer Heiko Herrlich in der ersten Übungseinheit unter Interimscoach Dariusz Wosz wie von einer Zentnerlast befreit. Dass sie das Ende von Herrlichs nur 184-tägiger Amtszeit beim VfL mit zu verantworten hatten, war ihnen quasi anzusehen. Auch Herrlich glaubt an eine Verschwörung. "Offenbar haben sich wirklich Spieler beschwert. Genaues weiß ich nicht. Ich hatte den Vorstand von Anfang an gesagt, dass ich nur so stark bin, wie der Vorstand mich macht", sagte Herrlich der Süddeutschen Zeitung: "Aber wenn Spieler in Bochum offenbar die Gelegenheit haben, sich bei Leuten aus der Führungsebene zu beklagen, dann hast du als Trainer keine Chance."
Kapitän Marcel Maltritz hatte am Donnerstag Differenzen zwischen Trainer und Team bestätigt. "Ich habe schon vor Wochen beim Vorstand vorgesprochen, aber nichts ist passiert. In den letzten Tagen gab es zunehmend Unstimmigkeiten zwischen Mannschaft und Trainerteam", sagte der Abwehrspieler dem TV-Sender Sport1.
Für Herrlich war es der Anfang vom Ende, das ist ihm auch selbst klar. "Wenn Spieler eine Chance wittern, zwischen Trainer und Vorstand zu grätschen, dann wird es für den Klub schwer. Wenn Spieler wissen, zwischen Trainer und Vorstand passt kein Blatt Papier, dann ist die Situation eindeutig. Der Klub wurde nervös, als es nicht so gut lief", sagte Herrlich. Das Fass zum Überlaufen brachten offenbar zwei Zwischenfälle. Am Dienstag schoss Herrlich mit einer überdeutlichen Ansprache an die Profis anscheinend übers Ziel hinaus. "Es gab am Dienstag eine Wutrede", erklärte Herrlich zu, "aber ich wollte die Spieler damit wachrütteln". Am Mittwoch schloss er Joel Epalle vom Training aus, weil er mal wieder keine Schienbeinschoner trug - es war nicht das erste Mal, dass Herrlich Führungsspieler demontierte.
Zehn Spiele in Folge ist der VfL mittlerweile sieglos, und Sportvorstand Thoms Ernst gab sich große Mühe, Herrlichs Entlassung mit der sportlichen Misere zu begründen. So ganz gelang ihm das nicht. "Wir sind nach vielen Analysen und Gesprächen zu dem Entschluss gekommen, dass wir mit Dariusz Wosz größere Chancen haben, unser Ziel Klassenerhalt zu erreichen." Ausschlaggebend für die Trennung sei laut Ernst gewesen, "mit einem anderen Stimmungsbild in die letzten Spiele zu gehen". Am Ende der Saison werde man wissen, "ob wir zwei Wochen zu spät reagiert haben". Die Gerüchte über eine Eskalation der Situation nach dem 0:2 gegen den VfB Stuttgart am vergangenen Freitag wollte Ernst nicht kommentieren. "Wir halten es weiterhin so, dass wir Dinge intern besprechen", sagte Ernst, der gemeinsam mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Altegoer und Finanzvorstand Ansgar Schwenken Herrlich am Donnerstagmorgen über die Entlassung informiert hatte.
Nun soll VfL-Idol Wosz, zuletzt Coach der Bochumer A-Junioren, als "Feuerwehrmann" in den letzten beiden Spielen beim Champions-League-Finalisten Bayern München am Samstag (15.30 Uhr/live bei Sky und Liga total) und im möglichen "Endspiel" gegen Hannover 96 die Bochumer vor dem sechsten Absturz in die 2. Liga bewahren. Als VfL-Profi war Wosz an 3 der 5 Bochumer Abstiege beteiligt.
"Ich war schon überrascht, dass es jetzt so schnell ging, aber natürlich bin ich bereit", sagte Wosz. Der 17-malige Nationalspieler, der keine Fußballlehrer-Lizenz besitzt, eine Sondergenehmigung erhält und im Umgang mit Profis als Trainer ebenso unerfahren ist wie Herrlich, wird gemeinsam mit U23-Coach Nico Michaty auf Interimsbasis die Verantwortung für die letzten zwei bzw. vier Spiele (inklusive Relegation) übernehmen.
Für das Spiel bei den Bayern kündigte er mutigen Angriffsfußball an: "Wir dürfen keinen Köttel in der Hose haben."