Als das erlösende 2:0 in Wattenscheid fiel, musste der Druck einfach raus: RWE-Sportdirektor Jürgen Lucas schnappte sich den Kopf von Karsten Neitzel, als wäre er eine Bowlingkugel und schüttelte den Trainer heftig: „Das war eine Befreiung, die Situation hatte uns schon genervt, wir waren total unzufrieden, weil wir punktemäßig weit hinter den Erwartungen waren“, bekannte Lucas hinterher seinen Gefühlsausbruch.
Später, als alle wieder klar denken konnten, wurde gewohnt kühl analysiert: „Wir haben einen klaren Fahrplan gehabt, und über 90 Minuten haben wir es gut gemacht“, so Neitzel, der sich aber hütete, von einem perfekten Nachmittag in der Lohrheide zu sprechen: „Wir waren schon in der ersten Halbzeit oft in der Box, wo die Box nicht besetzt war“, sah er auch Kritikpunkte. Mehr wollte er nicht ins Detail gehen, auch wenn er gekonnt hätte: „Dieses Mal bleiben die Dinge wirklich in den vier Wänden“, hoffte er. Dabei war es ein offenes Geheimnis, wo die Knackpunkte lauern. Wieder ging nach motivierter Anfangsphase das Selbstvertrauen ein wenig in den Keller, als die Wattenscheider ihre erste lukrative Chance nach 23 Minuten bekamen. Und es diente auch nicht dem angeknacksten Selbstvertrauen, dass der sonst so coole Lukas Raeder nach 68 Minuten einmal durch den Strafraum irrte, worauf Kevin Grund auf der Linie für seinen geschlagenen Keeper retten musste. Eine Spielszene aus der Abteilung „was wäre geschehen, wenn...“ SG-Coach Farat Toku war sich sicher: „Machen wir da das 1:1, holen wir ein verdientes Remis.“
War aber nicht, weil Kai Pröger den Unterschied ausmachte. In Daniel-Düsentrieb-Manier lief er wieder einmal, beim ersten Tor bestens bedient von Timo Becker, allen mit Ball auf und davon und erzielte die eminent wichtige Führung nach der Pause. Stilecht vollendet mit seinem berühmten doppelten Salto, kritisch beäugt vom Trainerteam: „Er steht ihn ja sicher, aber sollte Prögi sich dabei einmal das Knie verdrehen, dann haue ich ihm auf den Kopf“, stellt Neitzel schmerzhafte Sanktionen in Aussicht. Aber die Freude war beim Schützen nur zu verständlich: „Da war schon viel Frust mit drin, meine Rote Karte, die wenigen Punkte, die wir zuletzt geholt haben – das war pure Erleichterung“, bekannte der Bodenturn-Experte.
Und beim alles entscheidenden 2:0 lieferte er die 95prozentige Vorarbeit nach einem erneuten Spurt über zwei Drittel des Spielfeldes, woraufhin Lukas Scepanik nur noch das Füßchen reinstellen musste. Denn diesmal hatte Pröger beim Pass auch den Kopf hochgenommen, was nicht immer der Fall ist. „Das ist etwas, wo sich Spieler unterscheiden in der Liga-Zugehörigkeit. Wenn Prögi dass noch öfter macht, dann ist es gut für ihn und gut für uns“, so sein Coach.
Am Montag wurde regeneriert, ab Dienstag gilt die volle Konzentration wieder dem nächsten Spiel Samstag gegen RWO. „Wir wissen, wie wichtig das Spiel für das Umfeld und für die Tabelle ist“, redet Neitzel nicht drumherum. Bei einem Sieg über den Reviernachbarn meldet man sich in der Spitze zurück. Da kommt die Nachricht wie gerufen, dass Marcel Platzek nach seinem frenetisch gefeierten 25-Minuten-Auftritt das Comeback ohne Probleme überstanden hat. Erleichterung auch beim Stürmer, der so etwas aus seiner Karriere gar nicht kennt: „Ich war noch nie länger verletzt, jetzt war ich zwei Monate raus, klar, dass ich da noch nicht wieder bei 100 Prozent bin“, so der Torjäger, der aber bis Samstag wieder Boden gutmachen will. Schließlich ist da mit RWO noch eine Pokalrechnung offen.
Autor: Ralf Wilhelm