Der karnevalistische Frohsinn hat ja gerade erst begonnen, doch bei Rot-Weiss Essen ist derzeit schon wieder Aschermittwoch angesagt. Auch wenn noch längst nicht alles vorbei ist, es ist ja erst Saison-Halbzeit, so haben die Rot-Weissen doch ihr Ziel aus den Augen verloren. Sie wollten oben mitmischen – so lange wie möglich. Sie wollten attraktiven und mitreißenden Fußball bieten, ihre Fans begeistern, und das vor allem im eigenen Stadion, wo die Konkurrenz stets mit flauem Gefühl auflaufen sollte. Hehre Vorsätze, die nur anfangs umgesetzt wurden. Die Bilanz zum Ende der Hinrunde ist dagegen eine einzige Enttäuschung.
Dabei war RWE in den Anfängen drei Spieltage lang Spitzenreiter. Der Anhang war euphorisiert, die Hoffnung auf eine gelungene Spielzeit groß und realistisch. Bis zum siebten Spieltag: Von da an ging’s bergab. Rot-Weiss ist Tabellenachter, sieben Zähler hinter den punktgleichen Zweiten BVB II und RWO. Gar 14 Punkte sind es bis zum Gipfel, auf dem Viktoria Köln thront.
Zu Beginn war RWE sogar Spitzenreiter
Die jüngste 1:3-Pleite gegen Fortuna Düsseldorf II hat den Essenern den Rest gegeben. Sechs Heimspielen in Folge haben sie nicht mehr gewonnen: gegen Lippstadt (2:3) verloren, gegen Aachen (0:1) verloren, gegen Viktoria Köln (0:1) und Düsseldorf II (1:3) ebenfalls. Gegen Straelen (2:2) und RWO (1:1) gab’s jeweils einen Zähler. Die Oberhausener sind das einzige Team aus dem oberen Tabellendrittel, gegen das RWE überhaupt etwas geholt hat. „Wir sind aktuell nur Durchschnitt“, sagt Sportdirektor Jürgen Lucas, und die Tabelle belegt es.
Natürlich haben die Verantwortlichen die Hinrunde bereits analysiert, nach den Gründen für den Einbruch geforscht. „Wir müssen uns alle hinterfragen“, sagt Jürgen Lucas. Klar, das Verletzungspech hatte ungewöhnlich hart zugeschlagen und den personellen Handlungsspielraum erheblich eingeschränkt. „Die Gegner haben sich auch besser auf uns eingestellt“, gibt Lucas zu. Gegen tief stehende Teams sei man nicht so zurechtgekommen. Und man habe zu wenig Tore geschossen. „Bis vor kurzem konnten wir uns trotzdem noch mit der Leistung identifizieren, aber die war zuletzt ja auch nicht mehr gut.“
Das gilt vor allem für das Düsseldorf-Spiel. Die Essener lagen mit 1:2 hinten und wirkten angeschlagen, hilflos und verunsichert. Nach einer Stunde wechselte Trainer Karsten Neitzel den jungen Mittelfeldmann Nico Lucas gegen den noch jüngeren Ismail Remmo ein, der noch unerfahrener ist als Lucas und kaum Spielpraxis besitzt. Ein Risiko? Vielleicht, aber zum einen hatte Remmo diese Chance verdient, zum anderen hatte Neitzel keine Alternative zu Auffrischung der Kreativabteilung. Auf der Bank saßen zwei Innenverteidiger (Becker, Tomiak), Mittelstürmer Jansen (lange verletzt), Novize Nicolas Hirschberger und Stürmer Enzo Wirtz, der später für Benjamin Baier kam.
Es fehlen die Führungsspieler
Den Rot-Weissen fehlt es an Leitwölfen
Ausgerechnet Kapitän Baier, der Leader, der Mann, der in brenzligen Situation das Team führen soll, hatte einen schwachen Tag erwischt. Und niemand konnte es kompensieren. Den Rot-Weissen fehlt es an Leitwölfen, die mit Ruhe, Cleverness und Geschick Regie führen. Timo Brauer ist als Spielertyp eher fleißiger Arbeiter als Lenker und Denker. Kevin Grund ist zwar ein Routinier und technisch versiert, doch als Führungsspieler, der seine Nebenleute mitreißt, ist er bisher nicht auffällig geworden. Auch Philipp Zeiger wirkt irgendwie zu brav.
Der Essener Angriff sei für die 4.Liga top, meinen Kritiker, doch beim Spielaufbau, in der Schaltzentrale und Ideenschmiede gäbe es viele Defizite. Im Mittelfeld muss auch die Balance zwischen Offensive und Defensive gefunden werden, was zuletzt ebenfalls nicht funktionierte. Die Verteidigung trägt zur Misere bei. Die ständigen Rückstände, die RWE das Leben erschwerten, kommen nicht von ungefähr.
Dass die Rot-Weissen verunsichert sind, ist nachzuvollziehen. Und der Druck wächst, das sollte jedem klar sein. „Es ist so, dass die Mannschaft einen Rucksack mit sich trägt, der doch schwerer ist, als man das erwartet hat“, glaubt Trainer Neitzel. Jürgen Lucas wiederum nimmt die Spieler in die Pflicht: „Wir müssen die Köpfe nach oben nehmen und brauchen viel mehr Überzeugung als zuletzt.“ Und natürlich müsse die Leistung jedes Einzelnen konstanter werden. Überzeugt ist der Sportdirektor aber nach wie von dem Kader: „Er genießt mein absolutes Vertrauen. Wir haben aus den letzten elf Spielen nur neun Punkt geholt. Mir kann keiner erzählen, dass das dem Potenzial dieser Mannschaft entspricht.“
Autor: Rolf Hantel