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Fanfreundschaft: Ausgediente Tradition oder wiederkehrender Trend?

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Harald Lange ist Fanforscher, Dozent für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg und Gründer des "Instituts für Fankultur" (Frankfurt und Würzburg). Im Gespräch mit RevierSport widmet er sich dem Phänomen Fanfreundschaft und gewährt Einblicke in eine alte Tradition.

Harald Lange, wie schätzen Sie die gegenwertige Lage in punkto Fanfreundschaft ein? Wenn man das klassische Verständnis von Fanfreundschaften als Beispiel nimmt, wie wir es noch bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts beobachten konnten, dann ist es aus meiner Sicht etwas ruhiger darum geworden. Wohingegen sich auf einer anderen Ebene ein ähnliches Phänomen auftut, nämlich, dass Fans aller Vereine und aller Farben sich zunehmend solidarisieren und merken, dass sie im selben Boot sitzen. Die Solidarisierungseffekte, beispielsweise in der Causa Hopp, in denen sich Fangruppen aus ganz Deutschland bis runter in die vierte Liga mit anderen Fans gegen die Führungsspitze des DFB und Kollektivstrafen solidarisieren, kannte man in den 80er und 90er Jahren so nicht. Das ist etwas, was den klassischen Fanfreundschaften aber sehr nah kommt. Der Umstand, dass man verbunden und befreundet ist, hat sich gegenüber alten Fanfreundschaften erweitert. Auf der anderen Seite sind traditionelle Fanfreundschaften abgekühlt. Beispielsweise, weil bestimmte Personen und Akteure aus der aktiven Fanszene der Kurve entwachsen und erwachsen geworden sind, Familien gegründet haben und sich mehr und mehr aus der Fanszene zurückziehen.

Die meisten Fanfreundschaften haben eine jahrelange Tradition. Werden in Zukunft überhaupt noch neue Freundschaften geschlossen? Sicher, aber mein Eindruck ist, dass die Hochzeit für das Schließen von Fanfreundschaften vorbei ist. Ich vermute, leicht humoristisch aber durchaus mit ernsten Gedanken, dass es mittlerweile auch Klubs gibt, zu denen wollen die meisten Fans gar keine Freundschaften aufbauen. Wie beispielsweise zu Hoffenheim oder Leipzig.

Was sind die Gründe für eine Fanfreundschaft, wie entstehen sie? Wodurch Fanfreundschaften entstanden sind, lässt sich nicht immer leicht rekonstruieren. Oftmals sind es gemeinsame Spiele, in denen etwas Besonderes passiert ist. Manchmal ist es auch ein ganzer Saisonverlauf, in dem sich gemeinsam gegen einen Dritten solidarisiert wurde und dadurch Gemeinsamkeiten erkannt wurden. Das Wesentliche daran ist, dass persönliche Bezüge ausgewählter Akteure aus der jeweiligen Fanszene aufeinandertreffen, indem man sich beispielsweise zufällig im Zug oder in der Kneipe trifft. Dadurch merkt man, dass man zwar aus verschiedenen Städten kommt, aber trotzdem zueinander passt. Vor allem im Moment des Feierns wird diese Verbundenheit gestärkt und mündet oft darin, dass gemeinsame Schals und T-Shirts produziert werden und man sich gegenseitig zu Vereinsfeiern oder Klubjubiläen einlädt. Dort tauscht man sich aus, und so entstehen private Freundschaften, die dann mit der jeweiligen Fanszene korrespondieren.

Woran liegt es, dass sich Fanfreundschaften auseinanderentwickeln?

Das verhält sich wie mit Beziehungen im echten Leben. Je älter man wird, desto mehr merkt man, dass sich diese oder jene Freundschaft auseinanderentwickelt hat oder zumindest abgekühlt ist. Es ist eher selten der Fall, dass man sagt ´Mit dem will ich jetzt nichts mehr zu tun haben´, als dass es viel mehr ein schleichender Prozess ist. Durch den Prozess des gegenseitigen Vergessens schläft so eine Fanfreundschaft im wahrsten Sinne des Wortes ein. Das wiederum hängt damit zusammen, dass wichtige Akteure der Fanszene entwachsen und so der Kontakt verloren geht. In seltenen Fällen ist auch ein bestimmtes Ereignis für das Abkühlen von Fanfreundschaften verantwortlich. Beispielsweise wenn zwei Vereine im Rennen um die Meisterschaft oder gegen den Abstieg zu Konkurrenten werden. Wenn diese Vereine dann aufeinandertreffen, muss nur von einer Seite der falsche Fangesang angestimmt werden und schon ist Häme in der ganzen Sache. Das wird dann von der anderen Partei zu ernst genommen und führt dazu, dass die Freundschaft beendet wird. Es ist ebenfalls so, dass nicht alle Fans gleichermaßen an einer Freundschaft interessiert sind. Es gibt viele die mitmachen, viele die sich aktiv beteiligen und auch viele denen das alles vollkommen egal ist.

Was versprechen sich die Fangruppen selbst von solchen Freundschaften? Es herrscht kein Kosten-Nutzen-Rechnen. Es handelt sich viel mehr um emotionale und zufällige Ereignisse. Es herrscht auch kein Opportunismus dahingehend, eine strategische Partnerschaft zu entwickeln. Hinter dem Charakter einer Fanfreundschaft steht etwas Übergeordnetes, wie die Beziehungen zu anderen Menschen und die Bereitschaft diese zu vertiefen und zu verstärken. Es ist ein menschliches Urbedürfnis überall Freundschaften zu schließen und im Fußball ganz besonders. Das ist ein Phänomen, das ich besonders stark seit dem Jahr 2015 beobachten konnte und nichts mit dem tradierten Verständnis von Fanfreundschaften zu tun hat. Die Verbundenheit wird in diesem Fall besonders deutlich, da sich die Fanszenen kollektiv gegen die DFB-Führungsspitze und deren sportpolitischen Entscheidungen verbünden und daraus neue individuelle Freundschaften und Netzwerke entstehen. Die Entwicklung zeigt, dass bei klassischen Fanfreundschaften die Luft raus ist, wohingegen auf Ebene der vereinsübergreifenden Freundschaften im Moment sehr viel passiert.

Bei den größten und längsten Fanfreundschaften sind auffällig viele Vereine aus dem Ruhrgebiet vertreten, woran liegt das? Dahingehend habe ich zwei Vermutungen. Die erste ist, dass die Menschen aus dem Ruhrgebiet besonders affin gegenüber dem Eingehen von Freundschaften sind, gerne Freunde haben und gerne neue Freunde machen. Es sind loyale und treue Menschen, die besonders an der Pflege von Freundschaften interessiert sind. Die zweite Vermutung ist, dass die Fußballfankultur im Ruhrgebiet auf dichtem Raum enorm facettenreich und tiefgehend ist. Anders als in anderen Regionen, in denen es nur vereinzelt Vereine gibt, gibt es im Ruhrgebiet auf engstem Raum richtig viele Topmannschaften von der ersten bis in die vierte Liga, wie sonst nirgendwo in der Republik. Dieser Umstand führt dazu, dass der Fußball einfach viel stärker in die Gesellschaft getragen wird und deshalb auch der Boden zum Schließen von Fanfreundschaften viel fruchtbarer ist. Die Menschen im Ruhrgebiet legen großen Wert auf Tradition und sind sehr fußballverrückt. Das sind gute Bedingungen für derartige Phänomene.

Eine der populärsten Freundschaften besteht zwischen Schalke 04 und dem FC Nürnberg. Warum sind manche Freundschaften präsenter als andere? Das liegt an zweierlei Gründen. Zum einen sind die Fans, die diese Freundschaft gegründet haben, besonders miteinander verbunden und sehr aktiv, was vor allem zu Beginn einer Fanfreundschaft wichtig ist. Zum anderen liegt es auch daran, dass die Leidenschaften und die Hintergründe der Freundschaft von Generation zu Generation weitergetragen werden. Wenn das alles für die nächste Generation plausibel klingt und man sich dazu noch gegenseitig unterstützt und gemeinsame Erlebnisse teilt, vertieft sich diese Freundschaft über Generationen hinaus. Dafür gibt es jedoch kein einheitliches Rezept. Das Salz in der Suppe ist hierbei das Erleben gemeinsamer Erfahrungen und das Weitergeben der Geschichten.

Die Freundschaft zwischen Borussia Dortmund und dem 1. FC Köln ist noch vergleichsweise jung und wurde vor allem über die sozialen Medien vorangetrieben. Was ist Ihre Einschätzung bezüglich dieser Entwicklung? Soziale Medien führen dazu, dass jeder individuell das Heft in die eigene Hand nehmen kann. Es ist relativ einfach, Kontakte und Netzwerke zu knüpfen und diese dann in der echten Welt mit Leben zu füllen. Deshalb entstehen auf dieser individuellen Ebene viele Freundschaften, die nicht immer in kollektive Fanfreundschaften überführt werden müssen. Gleichzeitig entstehen viele Netzwerke von Fans aus der ganzen Republik und auch International, da sie als Fans die gleichen Leidenschaften für den Sport und Abneigungen gegen die sportpolitische Führungsetage teilen, weil diese seit Jahren gegen die Interessen der Fans entscheidet. Diese Netzwerke können sogar sportübergreifend sein. Dabei denke ich an ein Ereignis zurück, indem das Europa-League-Spiel zwischen RB Salzburg und Eintracht Frankfurt um einen Tag verlegt wurde. Die bereits angereisten Frankfurter Fans entschlossen sich kurzerhand dazu, bei einem Zweitliga-Eishockey-Spiel zwischen Salzburg und Klagenfurt die Klagenfurter zu unterstützen. Die Frankfurter sorgten durch ihren Support dafür, dass sich der Underdog Klagenfurt am Ende durchsetzen konnte. Das ist für mich purer Ausdruck von Fankultur und ganz großes Kino gewesen. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke.

Was denken Sie, wie sich Fanfreundschaften in Zukunft entwickelt werden? Das Moment der Verbundenheit im Bereich der Fans wird sich weiterhin vertiefen und mehr und mehr Entfaltung finden. Allerdings nicht in der klassisch-tradierten Form, sondern in einer übergreifenden Form, in der sich Fans nicht nur gegenüber Dritten solidarisieren, sondern auch ihrer eigenen Leidenschaft nachgehen und individuelle Freundschaften pflegen. In manchen Fällen wird das dazu führen, dass größere Gruppen das ebenfalls tun, und dann wird es auch wieder zu einer Belebung der klassischen Fankultur kommen, die ihren Höhepunkt in den 80ern und 90ern hatte und seither abebbt. Dem Gegenüber wird das Individuelle, dass sich Fans über die sozialen Netze kennenlernen, vernetzen und organisieren deutlich zunehmen.

Interview: Lennard Becker

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