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Ein Ortstermin
Bierhoffs Heimspiel "Mitten im Pott"

Von links: Funke-Reporter Sebastian Weßling, DFB-Direktor Oliver Bierhoff und Funke-Sportchef Peter Müller.
Von links: Funke-Reporter Sebastian Weßling, DFB-Direktor Oliver Bierhoff und Funke-Sportchef Peter Müller. Foto: Stefan Arend.
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Vor dem heutigen Prestigeduell gegen Argentinien (20.45 Uhr/RTL) schaute der mittlerweile mächtigste Mann im deutschen Fußball bei der Basis vorbei. Ein Ortstermin „Mitten im Pott“.

Hans Willemsen ist vorbereitet. Der 79-Jährige sitzt zwei Tage vor dem Länderspiel Deutschlands gegen Argentinien (20.45 Uhr/RTL) auf einer Holzbank und breitet die mitgebrachten Zeitungsartikel und Fotoalben aus. „Der Olli war schon immer groß“, sagt Bierhoffs allererster Fußballtrainer, als er ein Mannschaftsfoto der F-Jugend der ESG 99/06 zeigt, auf dem ein strahlender Junge mit dem Pokal in der Hand herausragt. „Das ist der Olli Bierhoff“, sagt Willemsen stolz, zeigt auf ein Schwarzweißfoto und freut sich, als nur wenige Sekunden später Bierhoff tatsächlich vor ihm steht. Ganz real. Und in Farbe.

Montagabend, 18 Uhr, direkt an der Bundesstraße 224 im Dreieck zwischen Essen, Gelsenkirchen und Bottrop. Oder anders gesagt: „Mitten im Pott“. So heißt passenderweise auch Willi Lippens Restaurant, in dem sich Oliver Bierhoff zwei Tage vor dem Prestigeduell gegen Argentinien in Dortmund den Fragen der Basis stellen will. Leser der Funke-Mediengruppe hatten sich für den Bierhoff-Abend bewerben können, stehen nun in rustikaler Atmosphäre an Stehtischen und können es gar nicht erwarten, mit dem DFB-Direktor, dem derzeit wohl mächtigsten Mann im deutschen Fußball, über die Lage der Nation zu fachsimpeln.

Doch sie müssen sich gedulden. „Mensch, Herr Willemsen, schön, dass Sie auch hier sind“, sagt Bierhoff, der kurz vor der Podiumsdiskussion auch noch Herrn Lehmann begrüßen darf. Hans Lehmann, 89 Jahre alt, früherer Betreuer bei Bierhoffs erstem Fußballverein. „Ich habe dem Olli immer Kaugummis zugesteckt“, sagt der ältere Herr, „mit Torgeschmack“.

Nicht einmal zwei Wochen ist es her, als Bierhoff beim DFB-Bundestag in Frankfurt am Main das „Projekt Zukunft“ vorstellte. Viele Anzugsträger, viele Funktionäre. 17 Minuten hatte der Direktor Nationalmannschaften und Akademie, dunkler Zwirn, blaues Hemd, gestreifte Krawatte, über den erhofften Schulterschluss zwischen DFB und DFL gesprochen, von einer detaillierten WM-Analyse und von Förderstrukturen berichtet. Zehn Tage später sind Krawatte und Anzug verschwunden.

Für Bierhoff, der Vorstandssohn, den Jürgen Klopp mal gefragt hatte, ob er eigentlich im Anzug schlafen gehen würde, ist ausgerechnet der Ortstermin mitten im Pott ein echtes Heimspiel. „Bis 17 habe ich nur auf Asche gespielt“, berichtet der einstige Essener über seine Anfänge bei Herrn Willemsens und Herrn Lehmanns ESG 99/06 und erntet allgemeines Kopfnicken. Bierhoff wuchs in Essen auf, ging in Essen-Mitte auf das Humboldt-Gymnasium und lernte an der Hubertusburg in Essen-Huttrop das Toreschießen. Seine Eltern wohnen noch immer im Pott.

Wenn Bierhoff nun Sätze sagt wie „Wir wollen diese Bolzplatzmentalität“ wird eifrig geklatscht. Ein früherer Schulfreund von Uwe Rahn meldet sich aus dem Hintergrund und schießt ins Mikrofon, ob eigentlich der Ball mittlerweile neu erfunden werden müsse. Ein Herr aus Witten („Das brennt mir jetzt auf der Seele“) fordert: „Wir müssen wieder Spaß haben am Fußball!“ Und ein dritter Mann fragt: „Wer kann heutzutage eigentlich noch richtig fummeln?“

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Bierhoff kann. Der Mann mit dem Image der gelackten Haare, der sich angeblich früher nie das Trikot dreckig gemacht hat und der trotz WM-Debakel so mächtig wie noch nie im deutschen Fußball ist, umdribbelt gekonnt alle Stammtisch-Hindernisse. Ob ihn die harte Bayernkritik rund um die Torhüterdebatte nicht geärgert habe? „Ich bin lange genug dabei, deswegen weiß ich, dass das auch mal dazugehört“, antwortet Bierhoff. Und Mats Hummels? „Endgültig ist im Fußball gar nichts“, sagt Bierhoff, aber: „Fakt ist, dass Jogi mit anderen Spielern plant. Das hat er klar kommuniziert. Und es gibt keine Anzeichen dafür, dass er seine Meinung ändert.“

Fast im Nebensatz gelingt es Bierhoff, auch unpopuläre Dinge unter das Fußballvolk zu bringen. „Wir haben einen weiten Weg vor uns“, sagt der Manager. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir als Mitfavorit zur EM fahren.“ An dieser Stelle muss man natürlich nachhaken. Wie lange wird es also dauern, bis Deutschland wieder zur Weltspitze gehört? „Eine zeitliche Voraussage ist schwer“, umkurvt Bierhoff auch diese Frage, sagt dann aber auch: „Wir sind aber bei weitem nicht in der kritischen Phase, in der wir im Jahr 2000 waren. Wir haben aktuell die Kimmichs, die Gnabrys, die Brandts – und mit Kai Havertz ein echtes Ausnahmetalent.“ Doch an dieser Stelle kommt noch ein „Aber“: „Aber in den Jahrgängen dahinter wird es schon dünner. Die Folgen werden wir noch spüren.“

Neben den ehrlichen Worten werden selbstgemachte Frikadellen serviert, Wurst- und Käsebrote. Eine Zuhörerin möchte wissen, ob die Ehre nicht verloren ginge. Bierhoff schüttelt den Kopf: „Wir haben eine Generation, die verdient schlichtweg mehr Geld. Aber wir haben auch eine Generation, die reflektierter ist. Ich hatte schon mal einen Nationalspieler, der überlegt hat, ob er denn auch ein Sabbatical nehmen und mal ein Jahr etwas ganz Anderes machen kann.“ Erstaunen im Rund. Doch Bierhoff ist noch nicht fertig. „Letztlich ist das Geschäft drumherum immer größer geworden. Die Gemütlichkeit ist dadurch ein bisschen verloren gegangen.“

Im „Mitten im Pott“ kann davon keine Rede sein. Fußballschuhe hängen an der Wand, auf dem Weg zum Klo sind die Großen des Fußballs gerahmt. Ob Freiburgs Christian Streich nicht ein geeigneter Bundestrainer wäre, will noch einer wissen. „Er leistet hervorragende Arbeit, und es ist immer wieder beeindruckend, was aus einem Verein wie Freiburg herausgeholt wird. “, lobt Bierhoff höflich.

Beeindruckend ist auch, was Bierhoff aus einem Abend „Mitten im Pott“ so rausholt. Als die versprochene Stunde längst um ist, gibt es noch Autogramme und die mittlerweile obligatorischen Selfies satt. Dann muss „der Olli“ los. Der Bodyguard drängelt bereits. „Tschüs, Herr Willemsen“, sagt Bierhoff noch, ehe er sich zurück nach Dortmund ins luxuriöse Mannschaftshotel L‘ Arrivé fahren lässt.

„Schön war’s“, sagt ein älterer Herr am Ausgang. „Aber gegen die Argentinier sollten wir schon noch gewinnen.“

Autor: Kai Schiller

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