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Geschichtsstunde: Wie Münster mal kurz die Europawahl vergaß
Ein Pulk aus Ballonseide

Geschichtsstunde: Wie Münster mal kurz die Europawahl vergaß
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Es ist Sonntag, der 18. Juni 1989, der Tag der Europawahl. Der „Eiserne Vorhang“, der Ost und West voneinander trennt, befindet sich gerade im Fallen, doch das interessiert die 22.000 Zuschauer im Preußenstadion nicht.

Hier darf bloß nicht das Spiel gegen Duisburg kippen, wo doch der eigene Verteidigungsapparat schon einige Male bröckelte. Noch ein paar Sek.. ach was, Nano-Sekunden, dann muss der Schiedsrichter ab… - warum pfeift der denn nicht? Dieser verdammte Schlusspfiff, er ist zum Greifen nah, und mit ihm zwar kein Europapokal, aber immerhin Münsters Aufstieg in die Zweite Bundesliga.

Wenn man jetzt eine Wahl zur Dauer der Nachspielzeit durchführen würde, die Beteiligung läge bei 100 Prozent. Und die Hausherren machen schon mal deutlich, wofür es die absolute Mehrheit geben würde. Hunderte Fans drängen sich am Spielfeldrand, wartend, bangend, hoffend, betend, vereinigt in der Erwartung auf dieses bisschen Luft, das durch einen Hauch von Plastik gejagt wird. Und dann, endlich, ist es soweit: Schiedsrichter Wolfgang Mierswa hat ein Einsehen, er hebt seine linke Hand, nimmt seine Pfeife in den Mund und hört seinen eigenen Pfiff gar nicht mehr, weil um ihn herum schon ein Pulk aus wildfremden Menschen entstanden ist, der sich in den Armen liegt. Schnäuzer und Minipli, Ballonseide und Vokuhila – was hier zusammenfindet, ist nicht schön, aber im Gefühl des vollkommenen Glücks vereint.

Die Meisterelf Tor: Ralf Mester Dirk Winter

Abwehr: Dirk Bremser Bennie Brinkman Reinhard Geise Thomas Knauer Christoph Stech Justus Stech Frank Vollmer

Mittelfeld: David Bennett Holger Drewes Ulli Gäher Helmut Gorka Christos Orkas Jörg Silberbach

Angriff: Alfons Beckstedde Guido Fleige Jürgen Koop Ludger Pickenäcker

Trainer: Helmut Horsch

Dabei waren die Voraussetzungen zu Saisonbeginn alles andere als rosig: Während sich die Konkurrenz auf Mallorca am Strand räkelte, verbrachten die Preußen den Sommer 1988 mit der Aufstiegsrunde. Gegen Hertha BSC, Berlin, den VfL Wolfsburg, den MSV Duisburg und Eintracht Braunschweig präsentierten sich die Adlerträger allerdings flügellahm und schlossen die Serie als Letzter ab. „Damals hat uns Einiges gefehlt“, blickt Kapitän Ulli Gäher zurück. Der Regisseur selbst quälte sich mit einem Bandscheibenvorfall im Halswirbel durch die Partien und ging am Ende ebenso wie seine Mitspieler auf dem Zahnfleisch.

Das sollte sich zum Auftakt der Saison 1988/89 bemerkbar machen. Der amtierende Meister der Oberliga Westfalen taumelte, Zweitliga-Absteiger Arminia Bielefeld grüßte schnell mit sieben Zählern Vorsprung von der Tabellenspitze. Es bedurfte schon einer ausgedehnten Winterpause, damit die Münsteraner endlich richtig regenerieren konnten. Die neue Frische machte sich schnell bemerkbar – und wie! Der Rückstand wurde Punkt um Punkt abgearbeitet, ehe man am letzten Spieltag an den Ostwestfalen vorbeizog. Ein 0:0 in Verl reichte, weil der DSC mit 1:2 in Rheine unterlag.

Das war die Qualifikation für die neuerliche Aufstiegsrunde, in der sich die Preußen mit Göttingen 05, Duisburg, dem TSV Havelse und den Reinickendorfer Füchsen um zwei Plätze für die Zweite Liga streiten sollten. Ein heißer Tanz, den die Münsteraner mit Sirtaki bewältigen wollten: Pünktlich zu den Entscheidungsspielen wurde Christos Orkas von Fortuna Köln losgeeist. „Christos hat mich entlastet, dieser Transfer hat sich direkt ausgezahlt“, betont Gäher.

Tatsächlich: Aus den ersten sechs Partien wurden 9:3 Punkte geholt, und eigentlich war Rang zwei hinter dem MSV schon fest gebucht. Ein Erfolg bei den Reinickendorfer Füchsen, dann hätte man bereits am vorletzten Spieltag den Aufstieg klar machen können. Der Sekt war schon gekühlt, doch bei den Füchsen präsentierten sich die Preußen wie Hasenfüße. Nach der 1:2-Pleite wetterte Trainer Helmut Horsch: „Das war eine Frechheit.“ Das fand auch der Vorstand, der zwischenzeitig darüber nachdachte, den ohnehin scheidenden Horsch direkt durch seinen Nachfolger Elmar Müller zu ersetzen. Die vorbereitete Flüssig-Versorgung diente nach dem Berlin-Spiel jedenfalls vor allem zur Frustbewältigung. „Die Party war schon geplant, letztlich wurde es aber eine Trauerveranstaltung“, blickt Gäher zurück.

Doch Mut hatten sich die Preußen vor dem abschließenden Match gegen die bereits aufgestiegenen Duisburger offenbar nicht angetrunken. Denn die leise Hoffnung, dass sich die Wedau-Kicker hängen lassen könnten, wurde schnell enttäuscht. Münster war nicht Gijón, und Duisburg war nicht gewillt, den Gegner wie Österreich sieben Jahre zuvor gewähren zu lassen. Denn der hatte zuvor angeblich abgelehnt, gegen Zahlung von 100.000 D-Mark einen sicheren Sieg einzufahren.

So verlegten sich die nervösen Hausherren ganz aufs Kontern, zumal ihnen ein Zähler reichen würde. Die Masche schien aufzugehen, so dass Ludger Pickenäcker den Raum nutzte, um gleich drei Mal an MSV-Schlussmann Heribert Macherey zu scheitern. Letztlich war es egal, am Ende stand ein 0:0 – und die grenzenlose Freude, siehe oben.

„Mit dem Schlusspfiff wich die ganze Last von uns. Viele Leute meinten damals, dass unsere Mannschaft mit den vielen Studenten und Leuten aus besserem Haus gar nicht aufsteigen wollte. Denen haben wir das Gegenteil bewiesen“, lacht Gäher. Der nahm auch in dieser Aufstiegsrunde Entbehrungen in Kauf: Angelehnt an die Play-offs im Eishockey, ließ er sich einen durchaus zweitklassigen Bart wachsen. Klar, dass der Techniker nach Schlusspfiff von seinen Mitspielern rasiert wurde.

Rasiert wurden auch die Preußen: Zwei Jahre nach dem Aufstieg ging es 1991 zurück in den Amateurfußball. Auch für Gäher, den es ausgerechnet nach Bielefeld verschlug: „Man brauchte einen Sündenbock für den Abstieg und ich musste herhalten.“

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