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Peter Neururers zehn Stationen zum Glück

Peter Neururers zehn Stationen zum Glück
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Wenn der Trainer der Saison gesucht wird, hat der Mann nicht die schlechtesten Chancen. Peter Neururer ist seit knapp zweieinhalb Jahren in Bochum. 30 Monate einer Erfolgsstory, die mit dem Aufstieg in letzter Minute begann und in der Momentaufnahme des vierten Platzes in der Bundesliga keinesfalls ihren Abschluss gefunden haben muss.

Denn Peter Neururer hat noch viel vor in und mit Bochum. Klar, dass er nach Stationen in Berlin, Saarbrücken oder Hannover nur im Revier sein Glück finden konnte. Hier, wo er bei Schalke 04 Himmel und Hölle eines Coaches erlebte und vor 17 Jahren als Co-Trainer bei RWE den Einstieg in den Trainer-Job fand. Nur wenige Minuten von der Hafenstraße entfernt, in der Zeche Fritz, zu Gast bei RevierSport, nahm sich Peter Neururer viel Zeit, um mit uns über alte Stationen und neue Perspektiven zu sprechen.

RS: Peter Neururer, 1984 begannen Sie als Co-Trainer von Horst Hrubesch Ihre Trainerlaufbahn bei RW Essen. Erinnern Sie sich?

P.N.: Ich hatte riesiges Glück, den Job zu bekommen, da ich formal nicht viele Vorausetzungen für eine Profi-Trainerlaufbahn mitgebracht habe. Da verdanke ich Horst Hrubesch wirklich viel. Das Geld, 3.800 Mark, war mir egal. Hauptsache, ich kam 'rein ins Geschäft.

RS: Aber Ihr rot-weißes Glück war schnell wieder zu Ende.

P.N.: Ich habe viel gelernt, über Verträge, über Verhältnisse zu Co-Trainern und wie schnell es gehen kann, wieder entlassen zu werden. Danach dachte ich, ich kriege nie mehr einen Trainerjob.

RS: Doch Alemannia Aachen sah das offensichtlich anders.

P.N.: Dass ich am Tivoli die Chance bekam, war toll. Wir spielten auch eine sehr gute Saison, wären beinahe aufgestiegen. Aber das Umfeld in Aachen ist traditionell schwierig, all diese Graue Eminenzen wie Michel Pfeiffer und Jupp Martinelli. Ich hätte auf keinen Fall meinen Vertrag verlängert.

RS: Das war auch nicht nötig. Denn Schalke rief...

P.N.: Da wäre ich hin gelaufen. Obwohl die Situation fast aussichtslos war. Schalke stand mit mehr als einem Bein in der Oberliga. Aber es war eben die Herausforderung für mich.

RS: Welche Verhältnisse haben Sie denn auf Schalke vorgefunden?

P.N.: Abenteuerliche. Das fing schon mit den Vertragsverhandlungen in Eichbergs Haus an. Die führte ich zunächst mit Christa Paas. Geld spielte anscheinend keine Rolle. Eichberg lief mir noch hinterher, als schon alles geregelt war, und versprach mir für die Rettung zusätzlich eine Mark netto pro Zuschauer.

RS: Die strömten ja dann wieder.

P.N.: Es war der reinste Wahnsinn. Wir hatten zum Schluss einen Schnitt von 55.000 Zuschauern - im Abstiegskampf der zweiten Liga. Vorher waren es 8.000. Als wir gegen Blau-Weiß Berlin den Klassenverbleib sicherten, feierten 70.000 im Parkstation bis in die Nacht. Dagegen waren der UEFA-Cup-Gewinn oder die beiden aktuellen Pokalsiege nur ein laues Lüftchen.

RS: Was war denn aus Ihrer Sicht ausschlaggebend für die Rettung?

P.N.: Ein Trainingslager in Bad Bertlich unter für Profis eigentlich unannehmbaren Bedingungen. Wir wohnten in einer schlechten Jugendherberge. Die Spieler wollten abreisen. Da habe ich ihnen gesagt: Wir habe nichts besseres verdient. Eigentlich müssten wir auf den Camping-Platz. Zwei Wochen haben wirt malocht, gegen jede Trainingslehre. Die waren so platt, aber mental total fit. Das war die Wende.

RS: Obwohl in Gelsenkirchen nach der Rettung vor der Oberliga ein wahrer Volksheld, dauerte die Ehe mit Schalke nicht lange.

P.N.: Als Tabellenführer bin ich von heute auf morgen entlassen worden. Sonnenkönig Eichberg wollte sich die Aufstiegs-Krone alleine aufsetzen. Die Fans gingen auf die Barrikaden, der Block fünf blieb bei einem Heimspiel aus Protest leer.

RS: Immerhin schafften sie es, vor Schalke und mit 35 Jahren Trainer in der Bundesliga zu werden. Sie heuerten bei Hertha BSC an.

P.N.: Der größte Fehler meiner Laufbahn. Nach dem ersten Training sagte ich zu meiner Frau: Ich komme sofort zurück. Die Mannschaft hatte keinerlei Chancen, in der Bundesliga zu bleiben. Dazu kamn ein verheerendes Umfeld. Wir fuhren mit dem Linienbus zum Spiel. Es stand auch schon mal ein geparkter Panzer auf dem Trainingsplatz.

RS: Das Präsidium war auch nicht gerade erste Liga?

P.N.: Präsident Roloff war ein netter Mann, manchmal aber auch jenseits von Gut und Böse. Einmal bestellte er mich in der Nacht dringend von Gelsenkirchen nach Berlin. Ich düste mit dem Privatwagen 600 km gen Osten und erfuhr dann, dass unser Torwart die Bälle bitteschon abgschkagen und nicht abwerfen sollte.

RS: Weiter ging Ihre Fahrt zum 1.FC Saarbrücken.

P.N.: Dort habe ich mit einer vollständig neu formierten Mannschaft sogleich den Bundesliga-Aufstieg geschafft. Und im Oberhaus bis neun Spieltage vor Schluss mit dem Abstieg nichts zu tun gehabt. Dann erfuhr die Mannschaft von Sponsoren-Manipulationen, die uns definitiv die lizent kosten würden. Die Spieler unterschrieben sofort woanders Verträge, manche liefen gar nicht mehr auf. Wir holten keinen Punkt mehr, stiegen ab. Ich löste meinen Vertrag auf.

RS: Zu allem Übel kam auch noch Ärger mit dem Fiskus hinzu.

P.N.: Ich wohnte damals in Frankreich, musste plötzlich innerhalb von 14 Tagen 550.000 Mark Steuern nachzahlen. Neun Jahre habe ich dagegen geklagt, bis ich ads Geld wieder bekam. Aber ohne Zinsen.

RS: Dann rief Hannover 96.

P.N.: Hier lief zunächst sportlich alles wie am Schnürchen. Wir schafften den Klassenerhalt. Doch dann wechselte das Präsidum und schmiss mich raus. Ich hatte das alte Präsidum während einer Pressekonferenz gelobt. Das wurde zum Anlass für eine fristlose Kündigug genommen. Ein Witz!

RS: Sie können das beurteilen. Schließlich haben sie neben Sport, Germanistik und Geschichte auch Jura studiert.

P.N.: Bis zum ersten Staatsexamen. Ja, das hat mir wirklich bisweilen geholfen.

RS: Ihre größten Erfolge feierten Sie dann in Köln.

P.N.: Erst schafften wir noch den Klassenerhalt, dann gelangten wir im UI-Cup bis ins Halbfinale, scheiterten mit viel Pech an Montpellier. Der neue Manager Karl-Heinz Rühl brachte mich zu Fall. Ich wusste es schon früher. Vor den Spielen in Hamburg, gegen Bayern und in Berlin sagte ich zu meiner Frau: Du kannst schon mal den Urlaub buchen. Und so kam es auch.

RS: Dass es allerdings gleich so lange Ferien werden würden, das hatten Sie wohl nicht eingeplant.

P.N.: Zuerst glaubt man, nicht jedes Angebot annehmen zu müssen. Es könnte ja Herr Berlusconi anrufen. Aber nach einigen Monaten kam nichts, und bei jedem Telefonklingeln rennst Du dann zum Hörer. Das war schon eine schlimme Zeit.

RS: Aus der Sie Fortuna Düsseldorf dann erlöste.

P.N.: Hier erlebte ich allerdings die Niederungen des Profi-Fußballs mit all seinen Schattenseiten. Nach einem 2:1-Sieg im Derby gegen Köln herrschte in der Kabine kein Jubel sondern Totenstille. Die Spieler waren eher sauer über den Erfolg. Ich habe mir dann die Verträge angesehen und wusste Bescheid. Alle konnten ablösefrei gehen nach dem Abstieg. Da konnest Du dann nichts mehr tun. Da war ich am Ende mit meinem Latein.

RS: Dagegen war Offenbach dann wohl wieder Fußball pur.

P.N.: Die Stimmung dort ist vergleichbar mit der im Revier. Da wird Fußball noch gelebt, die ganze Stadt steht hinter dem OFC. Die Fans sind sensationell, feierten uns trotz des Abstiegs. Sie haben sogar ein eigenes Peter Neururer-Lied fabriziert, ich hab' das aber nie richtig verstanden. Ich wollte sogar in der Regionalliga bleiben, aber mit Manager Gerster zusammen arbeiten zu müssen, das ist schon heftig.

RS: Dann folgte wohl das kurioseste Engagement: Peter Neururer in Ahlen.

P.N.: Zu Präsident Spikker habe ich noch immer ein super Verhältnis. Er wollte mich schon immer nach Ahlen locken, und dann passte es zufällig. Immerhin holte ich dort 74 Zähler während meiner Zeit - ein Rekord.

RS: Aber glücklich geworden ist Peter Neururer in der Fußball-Provinz nicht.

P.N.: Es war nicht meine Welt. Jeden Morgen bin ich dahin gefahren und dachte immer nur: Oh, nein. Dann sollte ich meinen Vertrag gleich um vier Jahre verlängern. Ich bat im Bedenkzeit - und wurde entlassen.

RS: Ahlen-Boss Spikker ist wohl wirklich ein bunter Vogel.

P.N.: Mit viel Fußballverstand, aber manchmal schoss er einfach über das Ziel hinaus. Er wollte sogar Lothar Matthäus nach Ahlen holen. Koste es, was es wolle.

RS: Dann kam es aber endlich zum historischen Kontakt zum VfL Bochum. Heinz Knüwe rief Sie an.

P.N.: Ich war auf dem Weg zum Flughafen, wollte zum Golf nach Mallorca. Das Telefonat habe ich nicht sehr ernst genommen.

RS: Warum das denn?

P.N.: Weil ich schon zwei Mal fast beim VfL war. Einmal habe ich es aus dem Radio erfahren, dass nicht ich sondern Holger Osiek Trainer geworden war. Deswegen dachte ich, das wird wieder nichts.

RS: Sie setzten sich trotzdem mit Werner Altegoer zusammen.

P.N.: Dann ging alles sehr schnell. Das war ein Glücksfall für mich, Werner Altegoer getroffen zu haben. Der Mann ist der VfL schlechthin. Sein Wort gilt. Ohne ihn läuft nichts. Er bleibt immer der Präses.

RS: Ein positiver Patriarch...

P.N.: Unbedingt. Aber in Bochum stimmt es einfach insgesamt. Von oben nach unten. Ein solches Vertrauensverhältnis zwischen Co-Trainern, Ärzten, Mannschaftsbetreuern, Vorstand, eine solche Loyalität, habe ich noch nirgendwo erfahren.

RS: Gab es denn schon Zerreißproben. Zum Beispiel das 1:6 in Oberhausen?

P.N.: Das gar nicht. Im Gegenteil, danach war mir klar, dass wir noch aufsteigen. Ich denke eher an die acht Spiele ohne Sieg im letzten Jahr. Was mir da von allen Seiten an Unterstützung entgegen gebracht wurde, war beeindruckend. Diese Loyalität und das Vertrauen kann ich bis 2007 (so lange läuft der kürzlich verlängerte Vertrag in Bochum, d.Red.) gar nicht zurück zahlen.

RS: Obwohl Ihr Anteil am Erfolg bisher schon nicht gering ist.

P.N.: Für den Aufstieg konnte ich gar nichts. Das war ja nicht meine Mannschaft. Erst mit den personellen Veränderungen in der ersten Liga konnte ich meine Handschrift einbringen.

RS: Was auffällt ist Ihr großer Überblick über die Spielerszene in ganz Europa. Haben Sie eigentlich Ihre Datenbank noch?

P.N.: Klar, obwohl ich keine Ahnung vom Computer habe. Aber da sind alle drin. Aber das reicht nicht. Neuzugänge wie Philipp Bönig haben wir 25mal beobachtet, bevor wir ihn verpflichteten. Auch Thomas Zdebels Entwicklung habe ich genau verfolgt. Und Madsen wollte ich schon vor seinem Engagement in Wolfsburg. Das ist alles Kleinarbeit, die zum Erfolg führt.

RS: Was ist für den VfL denn noch möglich?

P.N.: Es besteht natürlich die Gefahr, dass, wenn der vierte Platz nicht zu halten ist und wir auf den Achten abrutschen, schon wieder Unmut im Umfeld aufkommt. Aber klar ist auch, der VfL steht dem Titelgewinn näher als einem neuerlichen Abstieg. Mit guten jungen Spielern wie Bechmann und Misimovic wollen wir unser Niveau halten und ausbauen. Du musst natürlich solche Abgänge wie die von Frank Fahrenhorst, Paul Freier und Sunday Oliseh voll ausgleichen. Sonst kriegt du Probleme, wenn du oben bleiben willst.

RS: Ist das denn bei der Konkurrenz, auch in der Nachbarschaft, überhaupt möglich?

P.N.: Der Vorsprung der Großklubs schmilzt, die Chancengleichheit wird wieder hergestellt. Denn Dortmund und Schalke haben mit geliehenem Geld investiert und bekommen jetzt die Quittung. Wir haben nie mit Geld um uns werfen können, und trotzdem eine mehr als konkurrenzfähige Mannschaft. Was ist denn eigentlich, wenn wir mal investieren würden?

RS: Keinen Neid auf den BVB und Schalke, zum Beispiel, wenn Sie an die Zuschauerzahlen denken?

P.N.: Natürlich haben wir da Nachholbedarf, obwohl 27.000 Zuschauer im Schnitt schon nicht schlecht sind. Aber ich bin noch nicht zufrieden. Erst wenn bei den Spielen 32.000 Bochumer Fans ins zweifelsfrei schönste Stadion Deutschlands kommen. Da arbeiten wir dran. Und wenn wir jetzt unser Umfeld präsentieren, vom Stadioncenter übers Jugendzentrum bis zur wunderschönen VIP-Longue dann sind alle überrascht, was wir erreicht haben.

RS: Stichwort VIP. Gehören Kaviar und Hummer neuerdings zum Fußball?

P.N.: Mir persönlich reicht die Currywurst. Das Event ist das Spiel, sonst nichts. Aber ohne die neuen Strukturen, ohne Angebote für eine bestimmte Klientel, geht es wohl auch in Bochum nicht mehr.

RS: Trotzdem: Bei allem Spaß in Bochum, was macht denn das Schalke-Mitglied Peter Neururer, wenn Rudi Assauer anrufen würde?

P.N.: Das, was ich auch bei der Nachfrage von Barcelona gesagt habe: Ich bin Trainer des VfL Bochum. Und habe einen Vertrag bis 2007. Und mit Rudi Assauer - ich glaube, das ging gar nicht.

RS: Beim VfL haben Sie Ihr großes Glück gefunden. Wiederholt sich hier ähnliches, was wir schon in Bremen mit Otto Rehhagel, der ja auch in Essen begann, erlebt haben?

P.N.: Wenn es so kommt, habe ich nichts dagegen. Bis 2007, und vielleicht noch länger, will ich mit dem VfL noch viel erreichen. Fest steht, nach dem VfL mache ich nur noch einen Trainer-Job.

RS: Und der wäre wo?

P.N.: Im Revier. Wobei Dortmund nicht in Frage kommt.

Peter Neururer, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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