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EM-Tagebuch: Günther Pohl berichtet aus Österreich/Schweiz (Freitag, 13. Juni/Samstag, 14. Juni)
Alles eine Kopfsache

EM-Tagebuch: Günther Pohl berichtet aus Österreich/Schweiz (Freitag, 13. Juni/Samstag, 14. Juni)
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Der Rückflug von Klagenfurt nach Lugano war äußerst turbulent. So wie die Maschine in der Luft wackelte, so ähnlich ging es der deutschen Abwehr zuvor gegen Kroatien.

Morgens dann das böse Erwachen. Unsere Zuckertruppe hatte tatsächlich gegen Kroatien verloren. Alle, wirklich alle Situationen war ich in den letzten vier Wochen der Vorbereitung mit meinem Mentaltrainer durchgegangen, auch eine mögliche Klatsche in der Vorrunde.

Doch jetzt, wo es tatsächlich passiert ist, ist mein Psychiater nicht zu erreichen. Und schon habe ich eine SMS auf dem Handy, mit der uns der DFB informiert, dass am Vormittag Jogi Löw höchstpersönlich neben Philipp Lahm uns die Niederlage erklären wird. Ich klinke mich aus, will die Ausreden gar nicht hören. Ich muss einfach den Kopf frei haben. Von meinem Hausarzt begleitet, traue ich mich auf den Lagio Maggiore.

Ein ehemaliger A-Jugendspieler des VfL hat einen Bootsführerschein und mit einem Speed-Boot (270 PS) lassen wir das Kroatien-Spiel einfach hinter uns. Das 1:2, ich hätte es ahnen müssen. Denn Zoran Mamic, einst Spieler beim VfL Bochum im UEFA-Cup und später bei Bayer Leverkusen, hatte das Ergebnis schon 30 Minuten vor Spielbeginn vorhergesagt und noch ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert. Mittlerweile ist der Abwehrspieler, der auch das kroatische Nationaltrikot trug, Sportmanager bei Zagrebs Vorzeigeklub Dynamo. Gerade hat er für insgesamt 60 Millionen Euro Spieler "vertickt" und wird dafür bei seinem Heimatverein nicht gefeuert sondern gefeiert. Auffallend auch sein Bekenntnis zur Nationalmannschaft. Präsentiert er sich doch wie 15.000 seiner Landsleute im kroatischen Look.

Doch zurück auf den Lago Maggiore. Gedanken, dass es Fußballnationen nach zwei Spielen noch schlechter geht als dem deutschen Team, machen sich breit. Den Hebel durchgedrückt, das Rennboot überschlägt sich fast, in Richtung Italien. Dort, wo dem Weltmeister nach zwei Spielen das Ausscheiden droht. Beim Mittagsstop verrät uns Bedienung Susanna: "Italien und Deutschland kommen weiter." Wollen wir ihr das mal glauben.

Samstag, 14. Juni: Seit heute Vormittag bin ich wieder richtig optimistisch. Olli Bierhoff, Christoph Metzelder und Thorsten Frings sei Dank, die uns mit Fußball-Floskeln - "Wir haben Einzelgespräche geführt" und "Wir sind überzeugt von den Ideen, die wir haben" - bei Laune halten. Eigentlich ist alles optimal. Wäre da nicht das Kroatien-Spiel.

Doch das "muss man jetzt einfach abhaken". Zwar weiß Bierhoff, dass 97 Prozent nicht reichen, aber dann versichert er auch, dass es am Montag in Wien nur einen Sieger geben kann - und der heißt Deutschland. Und noch ein Satz aus dem Lehrbuch: "Die Spieler sind gefordert, ihr wahres Gesicht zu zeigen." Wer immer noch Zweifel hat, für den hat Bierhoff sogar in den Geschichtsbüchern der EM gewälzt.

Wir werden erinnert, dass die Europameister Frankreich (2000) und Griechenland (2004) auch ein Vorrundenspiel vergeigt haben. Was nichts anderes bedeutet als: Angst haben wir nicht, und wir dürfen sie auch nicht haben. Wir Deutschen sind halt hochkonzentriert, halten die Spannung hoch und müssen unseren Gegnern nur vermitteln, dass alles eine Kopfsache ist. Und auch die Umweltschützer werden beruhigt. Es gibt in Ascona auch nach dem 1:2 keinen Klimawandel. Und während es Oliver Bierhoff gelungen ist, sämtliche Zweifel aus unseren Köpfen zu vertreiben, bläst Thorsten Frings zur Attacke.

Ihn interessiert nicht, wer spielt, verletzt oder gar gesperrt ist. Schließlich "gibt es ja nichts Schöneres, als den Gastgeber 'raus zu werfen". Ist dies nun Arroganz oder gesundes Selbstbewusstsein. Oder hat sich der Routinier einfach nur im Ton vergriffen? Einerlei. Den Ösis werden wir es schon geben. Da wollte doch tatsächlich einer wissen, was Oliver Bierhoff fast auf den Tag genau vor 30 Jahren am Tag des Spiels in Cordoba gemacht hat. Bierhoff wirkte nachdenklich: "Welches Spiel? Ich kann mich nicht erinnern."

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