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Im Interview: Sportpsychologe Jens Kleinert
„Auch mal ein Bier trinken, das ist ganz wichtig“

Im Interview: Sportypsychologe Jens Kleinert
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Jürgen Klinsmann hat es getan, zahlreiche Fußball-Bundesligisten ebenfalls, im US-Spitzensport ist es längst gang und gäbe. Mittlerweile setzen auch immer mehr deutsche Clubs auf den Erfolg mit „Köpfchen“ und integrieren Sportpsychologen in ihren Trainerstab. RS sprach mit Jens Kleinert, dem Leiter des Psychologischen Instituts der Sporthochschule Köln, über sein Berufsbild, mentales Training und Sebastian Deisler.

Woran arbeiten Sie zurzeit?

Die Schwerpunkte meiner Arbeit liegen momentan unter anderem in Bereichen wie Talentförderung, mentales Training und Angstbewältigung.

Sie sind Leiter des Psychologischen Instituts an der Sporthochschule Köln. Welche Rolle spielt Ihr Zweig beim Erwerb der Fußballlehrerlizenz?

Die psychologische Ausbildung ist dort schon seit Jahren fester Bestandteil und an mehreren Punkten involviert. Die Ausbildung basiert auf insgesamt vier Säulen, eine davon ist die Psychologie.

Zur Person: Prof. Dr. Jens Kleinert ist Leiter des psychologischen Instituts an der Deutschen Sporthochschule Köln. Zuvor studierte er Humanmedizin in Köln, arbeitete von 1991-2002 als Diplomsportlehrer und wissenschaftlicher Assistent am psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule. 2002 begann Kleinert als Hochschuldozent an der DSHS Köln mit den Forschungsschwerpunkten Gesundheits- und Rehabilitationssport, Schmerzverarbeitung, Unfall- und Verletzungsprävention sowie Befindlichkeitsdiagnostik. Nach einer kurzen Zwischenstation an der Uni Würzburg ist der Sportpsychologe seit 2006 als Professor für Sport- und Gesundheitspsychologie an der Deutschen Sporthochschule Köln tätig. Zudem sammelte er langjährige praktische Erfahrungen als Aktiver und Trainer im Schwimmsport, Hallenhandball und beim Segeln, sowie der psychologischen Betreuung von Spitzensportlern.

25 Prozent! Hat sich der Stellenwert also verbessert? Nein, das würde ich nicht sagen, weil das schon lange der Standard ist, in den letzten Jahren hat der Anteil nicht zugenommen. Es bedeutet ja auch nicht, dass alle Teile gleichbedeutend sind. Dinge wie das sportliche und physische Know-how stehen natürlich nach wie vor im Vordergrund.

Welche Inhalte bekommt man während der Ausbildung konkret vermittelt?

Das ist ganz unterschiedlich, fängt zum Beispiel mit Stress- und Angstbewältigung an. Es geht aber auch darum: Wie kann ich meinem Team beim Erlernen schwieriger Situationen helfen? Genauso spielt etwa der Umgang mit Journalisten eine Rolle, also Rhetorik-Training.

Wie viel mehr Leistung kann sich ein Team durch die Betreuung eines Sportpsychologen erhoffen?

Es sind bei vielen sicherlich nur die zwei oder drei Prozent, die nachher den Unterschied machen. Bei einem labilen Athleten sind es dagegen vielleicht 40 Prozent. Wenn ich einen Stürmer habe, der vor dem Tor nur verschießt, muss ich die Gründe sicherlich im Kopf suchen, deshalb arbeitet man vor allem mit diesen Kandidaten. Ich muss kein Passspiel mit Leuten trainieren, bei denen alles klappt, sondern nur mit denen, bei denen die Bälle nicht ankommen. Viele Spieler haben diese mentalen Fähigkeiten ja auch von sich aus schon drauf, besonders mit den anderen gilt es dann eben zu arbeiten.

Nun kommen die meisten Sportler nicht in den Genuss eines psychologischen Trainings. Welche Tipps können Sie Amateuren geben?

Im Amateur-Bereich spielt die Psyche natürlich eine genauso große Rolle. Wichtig ist hier, wie auch im Profi-Sport, dass ich immer ein klar formuliertes Ziel vor Augen habe, wobei ich mich zunächst hinterfragen sollte, ob das Erreichen meiner Vorgaben überhaupt realistisch ist. Zielorientiertheit ist insgesamt ungemein wichtig. Das fängt schon bei einer Standard-Situation wie einem Freistoß oder einem Elfmeter an. Ich muss lernen, alles andere auszublenden und mich nur auf meinen Vorsatz zu konzentrieren. Dazu gehört auch, dass ich die richtigen Bilder abrufe und nicht an Sachen denke, die da überhaupt nichts zu suchen haben, etwa: Was passiert, wenn ich verliere, oder so. Zudem ist es wichtig, Spannungsregulation einzubauen, also zu lernen, wie ich mich motiviere, Spannung aufbaue, oder aber auch wieder wegnehmen kann, um nicht übermotiviert in ein Spiel zu gehen. Diese Techniken kann natürlich ein Kreisliga-Akteur genauso wie ein Bundesliga-Kicker lernen und gebrauchen. Das mentale Training muss ich jedoch genauso wie jede andere Übung behandeln. Erst durch regelmäßige Wiederholung kann ich diese Fähigkeiten erlernen und beibehalten.

Sie beschäftigen sich auch mit den Wechselwirkungen von Verletzungen und Psyche. Ist Verletzungsanfälligkeit therapierbar?

Das hört sich ja erst einmal an wie ein körperliches Leiden und das auch zu Recht. Ich habe schließlich Humanmedizin studiert und weiß natürlich, dass man erstmal alle physischen Ursachen ausschließen muss. Wenn dort aber nichts Grundlegendes vorliegt, ist es dann aber besonders bei zurückhaltenden und unsicheren Athleten unsere Aufgabe, zwischen Körper und Kopf eine Verbindung herzustellen. Wenn ein Sportler körperlich fit ist, reicht das eben nicht aus: Er muss es auch wissen und lernen, sich entsprechend zu fühlen. Ich muss spüren, dass ich fit bin. Wenn ich unsicher bin, gehe ich auch so in die Zweikämpfe und begünstige damit neue Verletzungen.

Ein prominentes Fallbeispiel ist Ex-Fußball-Nationalspieler Sebastian Deisler. Sein frühes Karriereende löste viele Diskussionen rund um das „Burn-out-Syndrom“ aus…

Erstmal vorneweg: Deisler hat in rund drei Jahren 25, 30 Verletzungen erlitten. Stellen Sie sich vor, Sie könnten so lange nicht ihren Beruf ausüben. Dass man da nicht frei im Kopf bleibt, ist ja ganz klar. Das „Burn-out-Syndrom“ generell hängt ganz eng mit der Depression zusammen und die kennen wir nun schon seit über 100 Jahren. Generell kann das jeden treffen, der sehr intensiv mit einer Sache arbeitet: Also Manager, Spitzensportler, aber auch die Hausfrau, die mit der Betreuung der Kinder ständig gefordert ist oder den ambitionierten Freizeitsportler. Irgendwann ist das System bei ständiger Belastung manchmal einfach ausgebrannt.

Eine „Mode-Diagnose“ oder ist der Druck tatsächlich so groß geworden?

Gefühlsmäßig würde ich nicht sagen, dass die Fälle zugenommen haben, auch wenn ich jetzt keine Zahlen vorliegen habe. Früher wurden solche Leute einfach nur links liegen gelassen und gesagt: Der bringt nichts mehr. Heute versucht man eben, den Sportler wieder aufzubauen. Es ist eigentlich eher die Aufmerksamkeit für dieses Phänomen gestiegen. Druck hängt ja auch nicht unbedingt davon ab, ob ich 20.000 oder eine Million Euro verdiene.

Wie kann man solchen „Zusammenbrüchen“ vorbeugen?

Im Spitzensport ist eigentlich nicht der Druck, sondern die Regeneration das größere Problem. Das läuft eigentlich genauso wie im physischen Bereich. Erstmal gibt es eine „Cool-Down“-Phase, da ist es sehr hilfreich, wenn ich ein entsprechendes Umfeld habe, eine Familie, wo ich mich fallen lassen kann. Da darf man dann auch ruhig mal ein Bier trinken, das ist sogar ganz wichtig. Erst danach trainiere ich langsam wieder neue psychische Reserven auf.

Stoßen Sie bei Ihrer Arbeit noch häufig auf Vorurteile?

Es ist weniger geworden. Generell muss man den Leuten vermitteln: Sportpsychologie ist ganz normales Training. Oft werden wir noch immer mit Psychotherapeuten, die sich mit krankhaften Veränderungen der Psyche beschäftigen, verwechselt. Das ist natürlich ein schwerwiegendes Missverständnis, da geht es um ein völlig anderes Gebiet. Zudem mischen sich in letzter Zeit viele Mental-Trainer in die Branche ein, die einfach nicht die richtige Ausbildung haben.

Glauben Sie, dass zukünftig alle Profi-Clubs, etwa in der Fußball-Bundesliga, mit Sportpsychologen arbeiten werden? Über kurz oder lang, ja! Unter der Oberfläche geschieht das schon jetzt viel häufiger als man glaubt. Mittelfristig wird der Sportpsychologe einer von vielen Mitarbeitern im Trainerstab werden, genauso wie der betreuende Arzt oder der Physiotherapeut auch.

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