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Bierhoff sieht gefährliche Tendenzen im Fußball

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Interview: Bierhoff sieht gefährliche Tendenzen im Fußball
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Seine Mutter, sagt Oliver Bierhoff (48), würde ihn heute noch aus Essen anrufen und ihm mitteilen, wenn in der Zeitung wieder ein Artikel über ihn erschienen ist.

Das wird bei diesem Interview hier nicht anders sein. Wir sprachen mit Bierhoff, seit 2004 Manager der Nationalmannschaft, über das EM-Jahr, die Bedeutung der geplanten Akademie in Frankfurt/Main – und die Gefahren für den Fußball.

Man mag es kaum glauben, aber Sie sind schon zwölf Jahre da als Manager der Nationalmannschaft. Rational weiß man das natürlich. Aber dann hat man das Gefühl, Sie haben erst gestern angefangen. Oliver Bierhoff: Wenn ich manchmal mittrainiere, sagen manche, ich hätte erst letztes Jahr aufgehört. Ich weiß aber nicht, ob ich das als Kompliment verstehen soll. Ob ich früher schon so langsam aussah. Oder jetzt so schnell.

Hat sich viel geändert in den zwölf Jahren? Bierhoff: Ja, es hat eine riesige Entwicklung stattgefunden. Im sportlichen Bereich sind wir in den letzten zwölf Jahren bei jedem Turnier unter die letzten vier Mannschaften der Welt oder Europas gekommen. Und haben den lange ersehnten WM-Titel geholt. Was aus meiner Sicht aber mindestens genauso relevant ist: 2004 habe ich eine Mannschaft übernommen, bei der man keine Identifikation gespürt hat. Keine mit den Fans und keine mit dem DFB. Es waren die üblichen Klischees zu hören, etwa das über die „faulen Millionäre“. Wenn man heute sieht, welche Bedeutung die Mannschaft für das Land hat, für die Menschen, für unsere Fans, welche Bindung da ist, dann haben wir Einiges erreicht. Die Sympathiewerte, die wir nach jedem Turnier ermitteln, sind enorm gestiegen und konstant hoch, die Mannschaft steht heute für Werte, die uns wichtig sind: Teamgeist, Freude, Respekt, Vielfalt und Erfolg. Einen Höhepunkt haben wir sicherlich mit der WM 2014 im Spiel gegen Brasilien gesetzt. Das Spiel haben wir, wie ja jeder weiß, klar gewonnen. Aber wir waren nicht arrogant, sondern haben gerade in der Stunde des Sieges Empathie und Demut gezeigt. Dieses Verhalten hat viele Menschen im Ausland beeindruckt. Wenn ich jetzt, sowohl in Deutschland als auch in der ganzen Welt, auf den WM-Titel angesprochen werde, hört man immer: „Was für eine sympathische Mannschaft! Was für ein tolles Auftreten! Und ganz am Ende: Ihr ward ja auch die Besten.“ Ich finde diese Reihenfolge bemerkenswert. Der sportliche Auftritt, der entscheidend ist, steht in der Wahrnehmung hintenan. Wir haben eine Konstante in der Führung von Spielern, wir haben sie integriert, auch mal aufgefangen und aufgebaut, wenn sie Schwierigkeiten in den Vereinen hatten.

Wen konkret? Bierhoff: Ich will da jetzt gar keine einzelnen Namen nennen, aber gerade als Nationalspieler steht man unter besonderer öffentlicher Beobachtung. Die Spieler wissen: Die Nationalmannschaft ist eine Familie und ein zweites Zuhause. Und diese besondere Atmosphäre, die wir geschaffen haben, ist das Ergebnis unserer permanenten Arbeit und Kommunikation mit den Spielern. Es gab früher bei vielen Turnieren ja immer mal kleinere oder größere Skandälchen. Jetzt geben wir ein sehr geschlossenes gutes Bild ab.

Das liegt an Ihnen? Bierhoff: Ich versuche, meinen Teil dazu beizutragen. Die Bedeutung und Rolle des Managers in der Nationalmannschaft gab es vor meiner Zeit so ja nicht. Heute freut mich sehr, dass diese Position weder intern noch extern angezweifelt wird.

Sonst hätte man Ihren Vertrag ja auch nicht bis 2020 verlängert. Bierhoff: Ja, da spüre ich natürlich das Vertrauen des DFB mit seinem Präsidenten Reinhard Grindel an der Spitze, der uns bei der Nationalmannschaft stark unterstützt. Wobei ich meine Aufgabe auch darin sehe, Dinge immer wieder auch kritisch zu hinterfragen, auch mal unbequem zu sein und heikle Dinge nicht nur intern anzusprechen. Wie kürzlich, als wir mit der Prämie der Fifa beim Confed Cup nicht einverstanden waren, die nach unserer Kalkulation bei weitem nicht unsere Kosten für die Turnierteilnahme decken würde. Da übernehme ich dann auch gerne die Rolle des Lautsprechers für den DFB. Mir dieses große Projekt „DFB-Akademie“ anzuvertrauen, das ist ja schon auch eine sehr komplexe Aufgabenstellung. Und für mich natürlich auch eine große Bestätigung und Herausforderung, der ich mich gerne stelle.

War das Italien-Spiel der Höhepunkt des Jahres? Bierhoff: Für mich gab es zwei besondere Spiele. Natürlich das Italien-Spiel bei der EM, weil wir Italien damit endlich auch mal bei einem großen Turnier schlagen konnten. Wir haben Charakter gezeigt, waren technisch und spielerisch klar überlegen, aber wir haben auch den Kampf angenommen. Der Charakter, die Einstellung haben gestimmt, das war generell auch bei der EM mein positives Fazit. Am Ende hat ein bisschen was gefehlt, aber ich kann jedem Spieler nur bestätigen, dass jeder einzelne sein Maximum gegeben hat.

Und das zweite Spiel? Bierhoff: War für mich das Spiel gegen die Tschechische Republik in Hamburg: Wo ich nach längerer Zeit mal wieder bei einem Quali-Spiel das Gefühl hatte, jeder einzelne Zuschauer geht euphorisiert nach Hause und sagt: „War das wieder schön!“ Wir haben mit der Euphorie 2006 bis 2014 eigentlich immer einen sehr begeisternden Fußball gespielt. Nach dem WM-Sieg 2014 gab es dann einen Spannungsabfall, dies aber nach meiner Beobachtung bei allen Beteiligten. Dieses Spiel in Hamburg war einfach wieder eine riesige Freude, bei dem die Begeisterung vom Spielfeld auf die Tribüne und darüber hinaus zu spüren war. Da wollte die Mannschaft ein Statement setzen.

Inwiefern ein Statement? Wegen der Enttäuschung aus dem Frankreich-Niederlage? Bierhoff: Nein, eher wofür wir stehen. Mit unseren Leistungen haben wir selbst dafür gesorgt, dass in der Öffentlichkeit immer der höchste Maßstab angelegt wird. Dies entspricht auch unseren eigenen Ansprüchen. Wir verfügen, dank der hervorragenden Arbeit in den Vereinen und der guten Ausbildung, über ein großes fußballerisches Potenzial und eine enorme Qualität Aber wir müssen zwingend die Bereitschaft mitbringen, immer wieder ans Limit zu gehen und unser Potenzial abzurufen, nur so können wir auch erfolgreich bleiben. Das Bewusstsein der hohen Qualität darf nicht in Selbstzufriedenheit übergehen. In Hamburg haben wir gezeigt, dass wir Freude daran haben, unsere Leistung zu bestätigen.

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