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RevierSport exklusiv: Frank Busemann im Interview
"Früher Tonnen geschleppt"

RevierSport exklusiv: Frank Busemann im Interview
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Im Gedächtnis ist er allen immer noch als strahlender Olympia-Zweiter von Atlanta 1996. Im gleichen Jahr wurde Frank Busemann Deutschlands Sportler des Jahres, damals ein echter Held, ein junger Wilder mit viel Charme. Im olympischen Sydney 2000 folgte ein weiterer siebter Platz, 1997 weltmeisterliches Bronze.

Busemann war ein Leichtathlet der Sonderklasse, nicht nur auf der Tartanbahn, auch abseits des Wettkampfs. Professioneller Sport, gleichzeitig Ausbildung zum Bankkaufmann und begleitendes Wirtschafts-Studium. Börsenberichte sind für den Träger des silbernen Lorbeerblatts der Bundesrepublik Deutschland Entspannung. Zielstrebigkeit, Mut, Leidenschaft - die Gabe, Rückschläge produktiv einzuordnen, das waren seine Stärken als Schwerathlet. Nicht nur für andere Sportler war und ist er ein Vorbild, sondern auch für Unternehmer und Führungskräfte. Dabei war er als Athlet nur in den einzelnen Disziplinen alleine, das Funktionieren im Team hat ihn geprägt. Der Leistungssportler stammt aus dem System Verein, wo auch Grundwerte wie Fairplay oder persönliches Engagement vermittelt wurden.

Vor mittlerweile vier Jahren hat der gebürtige Recklinghäuser seine Zehnkampf-Karriere an den Nagel gehängt und ist seitdem als Botschafter für den Karstadt-Marathon auf Tour, den er bislang zwei Mal beenden konnte. Aber nicht nur als Langstrecken-Läufer ist der 32-Jährige aktiv, auch als Moderator in Sportsendungen, Coach für die Unternehmensberatung Winner's Edge oder Dopingvertrauensmann des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ist er unterwegs. Direkt nach einem der zahlreichen Marathon-Werbeläufe machte Busemann einen Abstecher in die RevierSport-Redaktion, wo er über seine neu entdeckte Leidenschaft, seine alte Liebe Zehnkampf, Karriereplanungen und Doping sprach. Dabei versprühte er Freude am Tun und die Lockerheit, die ihn schon seit Jahren auszeichnet.

Frank Busemann, Sie kommen direkt von einem Termin Ihrer "Ich bin dabei"-Tour im Rahmen des Karstadt Marathons, der am 13. Mai zum vierten Mal stattfinden wird. Was versteckt sich hinter diesen Veranstaltungen?

Organisiert wird das Ganze von den Lauftreffs vor Ort. Jeder, der Interesse am Laufen hat, ist herzlich willkommen. Neben dem Training, das immer ungefähr eine Stunde dauert, stehen lockere Gespräche über Trainingseinheiten, Ernährung oder in letzter Zeit auch Doping auf dem Programm. Sind Sie mit der Resonanz zufrieden?

Auf jeden Fall. In Lüdenscheid kamen selbst bei strömendem Regen 60 Leute. Nicht selten haben einige so viel Spaß an der Sache, dass sie sich anschließend gleich für den Marathon anmelden. Für Zehnkämpfer ist der abschließende 1.500 Meter-Lauf die Hölle! Wie konnten Sie Freude an 42,195 Kilometern finden?

Meine Ex-Kollegen und Freunde haben gesagt, du bist total verrückt, aber von dir haben wir nichts anderes erwartet. Jedenfalls habe ich nach meinem Rücktritt vom Leistungssport 2003 erst einmal vier Monate gar nichts gemacht. Dann bekam ich einen Anruf vom Streckenchef des Marathons, der mir gleich sagte, dass sie einen Botschafter suchen und mich für geeignet halten.

Fanden Sie das auch? Meine einzige und logische Reaktion war, ihn für verrückt zu erklären. Ich konnte 15 Minuten durchgehendes Laufen vorweisen, das war es dann aber auch. Für die Veranstalter war das kein Problem, ich sollte nicht unbedingt mitmachen, aber ein Botschafter, der nicht weiß, wovon er redet, das ist doch Unsinn. Ich hatte noch sechs Monate bis zum Startschuss und auf einmal ließ mich der Gedanke nicht mehr los. Ich hatte ein neues Ziel und der alte Wettkampfgedanke kam wieder hoch. Meine Frau meinte nur, erst waren es 9.000 Punkte, jetzt sind es 42 Kilometer. Sie liebt mich zwar für meine Begeisterungsfähigkeit, aber manchmal gehe ich ihr damit auch richtig auf die Nerven. Bei ihr konnten Sie also kein Interesse wecken?

Mittlerweile läuft sie auch eine Stunde, aber nur für sich. Ich dagegen kann nicht ohne Wettkampf. Ich denke jetzt schon nur noch an den 13. Mai.

Also können Sie den oft gebrauchten Spruch "Laufen macht süchtig" unterschreiben?

Je mehr ich trainiere, desto mehr Spaß habe ich. Trotzdem ist es eine Riesenarbeit für mich, kein Meter fällt mir leicht. Wenn alles vorbei ist, fühle ich mich als arme Wurst und bemitleide mich selbst. Ich habe absolut kein Talent für diese Disziplin, aber dafür Freude daran. Nach meinem ersten Zieleinlauf 2004 hab ich nach 3:46 Stunden vor Schmerz und Freude geheult. Ein Jahr später wollte ich die 3:30 knacken und lag auch bei Kilometer 30 noch voll auf Kurs. Die Vorhersage habe ich immer noch in meinem Handy gespeichert, da steht Zielankunft bei 3:28 Stunden.

Am Ende wurden es 3:39 Stunden, dennoch waren Sie froh, es überhaupt geschafft zu haben, korrekt?

Im letzten Drittel kam der absolute Einbruch, ich hatte Krämpfe, konnte nicht mehr tun, außer mich ins Ziel zu schleppen. An der Strecke meinte auch jemand zu mir, Frank, du siehst beschissen aus, das schaffst du nicht mehr. Als ich dann doch in Essen angekommen bin, war ich unglaublich stolz, weil ich alles gegeben hatte. Das war auch als Zehnkämpfer Ihre Maxime, vor allem weil Sie im Vergleich zu den anderen Athleten eher schmächtig waren.

Ich hatte ein Kampfgewicht von 87 Kilo bei einer Größe von 1,92 Meter, also völlig normal. Aber die Verhältnismäßigkeit stimmte einfach nicht. An den Beinen habe ich immer noch richtige Pakete, obwohl ich kein Krafttraining mache. Aber mein Oberkörper wollte einfach nie an Masse zunehmen. Ich habe früher Tonnen geschleppt, aber da kam nie was an. So kamen auch meine unsäglichen Verletzungen zustande, was bei diesem Ungleichgewicht einfach die logische Folge war.

Dadurch wurden weitere Erfolge verhindert, Ihren perfekten Zehnkampf aber lieferten Sie in Atlanta ab. Was wirkt davon noch nach?

Sie könnten mich jetzt in der Stadt absetzen, ich wüsste nicht, wo ich bin. Vor elf Jahren ist das alles wie in einem Rausch an mir vorbei geschwebt. Nach dem ersten Tag nahm mich mein Vater zur Seite und sagte, du bist Zweiter, du kannst eine Medaille holen. Ich hab das gar nicht geglaubt, der muss sich verlesen oder verrechnet haben. Erst nach dem Stabhochsprung am zweiten Tag hab ich realisiert, dass es tatsächlich so war. Dann wurde es für mich richtig schlimm, das lange Warten zwischen den einzelnen Disziplinen, die Angst umzuknicken, es noch zu versauen. Zum Glück ging alles gut, auch heute bin ich immer noch unglaublich beglückt von dem Gedanken.

Goldmedaillengewinner Dan O'Brian nach dem ersten Wettkampftag in Atlanta fassungslos: ""Who's Busemann?". Sie waren nicht nur Olympia-Zweiter, sondern auf einmal auch "Everybody's Darling".

Für mich völlig unverständlich, denn es gab genug Goldgewinner aus Deutschland. Als ich am Flughafen ankam und die wartende Journalistenschar erblickte, hab ich mich gefragt, wer denn noch in dem Flieger war, bis ich merkte, dass die auf mich warten. Trotzdem scheinen Sie sich nicht verändert zu haben, sind immer noch der gleiche lockere Typ. Wie schwer ist das?

Also, biologisch hab ich mich natürlich verändert, bin auch um einige Erfahrungen reicher. Aber wichtig ist, sich selbst treu zu bleiben. Das ist einfacher, als permanent eine Rolle zu spielen. Dennoch kommt es immer Mal vor, dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt, das kann man nicht verhindern.

Dem Triumph von Atlanta folgte unter anderem ein dritter Rang bei der WM in Athen 1997 und ein siebter Platz bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000...

...über den ich mich im ersten Moment kaputt geärgert habe. Ich habe mich bei meinem Vater entschuldigt, dass er sich das antun musste. Doch der wollte davon nichts wissen und mit dem nötigen Abstand muss ich sagen, dass ich zufrieden sein kann, weil einfach nicht mehr drin war. Solange man nicht aufrecht ins Ziel läuft, sondern sich reinschleppt, ist alles okay.

Ihr Verletzungspech haben Sie schon angesprochen, wie lange dauerte der Prozess, zu begreifen, dass es besser ist, einen Schlussstrich zu ziehen?

Das hat schon ein dreiviertel Jahr gedauert. Ich hatte schließlich vor, heute noch über die Tartanbahn zu springen, habe mich trotz meines Studiums der Wirtschaftswissenschaften nur über den Sport identifiziert. Geholfen hat mir bei der Abnabelung die Arbeit an meiner Autobiographie, die ich eigentlich unter dem Titel "Der Weg zum Gold" geplant hatte. Aber beim Schreiben wurde mir klar, dass es keinen Sinn mehr macht, dass ich zu meinem eigenen Schutz aufhören muss. Am 31. Mai 2003 bin ich dann zum Training gefahren und habe gedacht, was wäre, wenn ich jetzt einfach aufhöre? Mein einziger Gedanke: Freiheit!

Danach haben sich neue Aufgaben für Sie ergeben, unter anderem halten Sie Vorträge über die Parallelen zwischen Wirtschaft und Sport.

Der Transfer ist gegeben. Im Berufsleben bestreitet man jeden Tag einen Mehrkampf, Stärken und Schwächen gehören dazu. Außerdem kann sich jeden Augenblick was ändern, dann wird die Routine durchbrochen und man muss mit neuen, manchmal extremen Situationen klar kommen. Sind Sie der geborene Redner?

Ich habe jedesmal tierisches Lampenfieber, bevor ich auf die Bühne gehe. Vor allem, weil man hinterher im Gegensatz zum Sport keine nackten Ergebnisse vorliegen hat, sondern auf die Reaktionen und Eindrücke der Zuhörer bauen muss. Da ich zwar "Power Point" benutze, aber ansonsten völlig frei rede, entsteht auch immer eine andere Präsentation. So steigt auch die Anspannung vor jedem Termin, aber es gefällt mir und ich bin sehr glücklich mit dem, was ich mache. Sehen Sie auch Ihre Zukunft in diesem Bereich? Ganz ehrlich, was in zehn Jahren ist, weiß ich noch nicht. Wenn man so will, kann man sagen, dass ich locker in den Tag hinein lebe und ständig auf das Klingeln des Telefons angewiesen bin, um neue Aufträge anzunehmen. Halten Sie neben Ihren momentanen Aufgaben noch Kontakt zur Zehnkampf-Szene?

Ich gucke mir gerne Wettkämpfe, zum Beispiel in Ratingen, an und werde dann auch nicht bekloppt, weil ich nicht mehr dabei bin. Aber ein enger Kontakt besteht nicht mehr. Dabei heißt es doch immer, dass gerade die "Könige der Athleten" ein besonders familiäres Verhältnis pflegen!

So ist das auch durchaus. Im Wettkampf ist das alles sehr freundschaftlich und fair. Das muss auch so sein, wenn man zwei Tage zusammen ist, davon aber nur knapp zehn Minuten netto dem Sport gewidmet sind. Da muss man sich ja unterhalten. Dieses Zugehörigkeitsgefühl fehlt mir schon, ich hatte eine wunderbare Zeit. Das Leben hat mich bislang geküsst. Auch wenn man sich das Glück hart erarbeiten muss.

Kann man sagen, dass Sie ein Anhänger des Leistungsprinzips sind?

Ganz klar. Wenn ein Michael Schumacher 40 Millionen im Jahr verdient hat, finde ich das okay. Er war der beste Rennfahrer, außerdem bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis. Es regt mich aber auf, wenn jemand für etwas entlohnt wird, das er nicht verdient hat. Da landet man schnell beim Thema Doping!

Was im Moment heiß diskutiert wird. Schlimm ist nur, dass keiner herausragenden Leistung mehr geglaubt wird. Was halten Sie zum Beispiel von Jan Ullrichs Außendarstellung?

Die ist erbärmlich.

Sie sind auch als Dopingvertrauensmann des DOSB engagiert, verschafft Ihnen das andere Einblicke als noch zu Ihrer aktiven Zeit?

Als Sportler hatte ich richtige Scheuklappen auf. Heute denke ich, wie blind bist du eigentlich gewesen? Aber das muss man sein, sonst ist man kaum noch motiviert und kann seine eigenen Potenziale nicht abrufen.

Wie beurteilen Sie die Idee des Deutschen Schwimmverbandes vom "gläsernen Athleten", der freiwillig Blutproben abgibt und archiviert, sodass jederzeit Kontrollen möglich sind?

Das ist ein guter erster Schritt, aber wichtig ist, dass alles optimal organisiert wird. Im Vorfeld von Sydney 2000 haben wir auch Blutkontrollen angeboten, die aber aufgrund der Kosten abgelehnt wurden. Wenn nur ein Teil der Prämien für Anti-Dopingmaßnahmen verwendet würde, dann wären wir viel weiter. Wie stehen Sie zu der Ansicht, dass der Staat bei Dopingvergehen eingreifen sollte?

Ich bin dafür. Das Problem scheint nur noch auf diese Weise lösbar. Es wird nie einen dopingfreien Sport geben, aber er muss sauberer werden. Das ist man den ehrlichen Athleten schuldig, aber auch den Eltern, die ihre Kinder in die Vereine schicken und befürchten, dass es ohne medizinische Mittel gar nicht geht. Die Gesellschaft kann dabei eine entscheidende Rolle spielen, wenn sie nicht nur nach den Siegern schaut, sondern auch korrekte siebte oder achte Plätze als Erfolg anerkennt. Jede positive Probe freut mich, so schlimm sich das anhört.

In den USA wurde sich noch vor einiger Zeit nicht gerade intensiv um Dopingkontrollen gekümmert...

...was sich um 180 Grad gedreht hat. Jetzt wurde ein Tim Montgomery sogar gesperrt, obwohl keine Beweise auf dem Tisch liegen. Aber die Indizien sprechen für sich. Dann ist das auch korrekt. Ich weiß, von einigen damaligen Konkurrenten, dass sie zu 99,9 Prozent was genommen hatten. Und wenn ich dann daran denke, dass ich dennoch vor denen landete, macht mich das umso stolzer.

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