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Dieter „Pitter“ Danzberg zum 65. im Interview
„Wenn ich ein Trikot an hatte, war ich wie verwandelt“

Dieter „Pitter“ Danzberg zum 65.
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Morgens gegenüber dem Duisburger Hautbahnhof. Das italienische Restaurant hat noch nicht geöffnet und ein großer Staubsauger versperrt mürrisch den Eingang, aber aus dem hinteren Bereich dringen schon erregte Stimmen: Stammtisch. Dieter Danzberg organisiert diese Treffen schon seit dreißig Jahren. Gegen Mittag geht es in eine Turnhalle und die Bundesligaveteranen kicken, was das Zeug oder besser gesagt: die Knochen halten.

Alte MSV’ler wie Pille Gecks ebenso wie Gäste aus dem ganzen Revier wie Dietmar Schacht und Hannes Linßen. „Pitter“ Danzberg, immer noch eine „Kante von Kerl“, schaut diesmal aber nur zu. Mal wieder eine Verletzung. Gestern feierte er seinen 65. Geburtstag. Genug Anlass für ein Gespräch.

Gibt es zwischen dem Menschen Dieter Danzberg und dem einstigen Fußballer große Unterschiede?

Ja, gewiss. Ich glaube im privaten Bereich bin ich ein umgänglicher Mensch. Aber wenn ich ein Trikot an hatte und auf den Platz ging, war ich wie verwandelt. Ich konnte einfach nicht verlieren und dabei bin ich oft übers Ziel hinausgeschossen. Ich hätte einen Vater haben sollen, der mich beruhigte oder überhaupt jemanden an meiner Seite. Aber meinen Vater habe ich gar nicht kennen gelernt, da er während des Krieges gefallen ist. Er soll ein hervorragender Fußballer gewesen sein. Verwandte haben mir immer gesagt, dass ich etwas von ihm mitbekommen hätte. Mein Onkel hat mich dann mit neun Jahren beim Meidericher SV angemeldet. Ein Glücksfall, denn ich spielte mich durch alle Jugendklassen und kam dann ohne Verzögerungen in den Kader der Oberliga West Mannschaft. Das war wohl damals einmalig: Dass von elf A-Jugendspielern neun bei den Senioren unter Vertag genommen wurden: Hartmut Heidemann, Werner Krämer, Werner Lotz, Heinz Versteeg – um nur einige zu nennen. Das Gerüst der Mannschaft, die dann 1962/63, in der letzten Saison der Oberliga West, sensationell die Qualifikation für die Bundesliga geschafft hat.

Normalerweise war es ja so, dass der kleine Meidericher SV, ein Vorortverein von Duisburg, keine Chance hatte, in die neu gegründete Bundesliga aufgenommen zu werden. Das war utopisch. Aber unser Präsident Dr. Walter Schmidt hatte einen sehr guten Draht zu Franz Kremer, dem Boss des 1.FC Köln und „Vater“ der Bundesliga. Dazu muss gesagt werden, dass Krämer mal am Aachener Tivoli ein Glas Bier über den Kopf geschüttet bekam und daraufhin zu unserem Präsidenten gesagt hat: „Diese Aachener will ich nicht in der Bundesliga sehen. Wenn ihr Dritter werdet, dann kann ich ihnen garantieren, dass Meiderich in die Bundesliga kommt.“ Diese Chance hat uns natürlich motiviert. Im Winter dieser Saison waren unendlich viele Spiele ausgefallen und so mussten wir in der entscheidenden Phase immer Sonntags und Mittwochs spielen. Wir waren alle auf der Hütte Phoenix-Rheinrohr beschäftigt und haben zu dieser Zeit nur noch halbtags gearbeitet. Am drittvorletzten Spieltag mussten wir unser Auswärtsspiel bei Viktoria Köln unbedingt gewinnen. Unser Trainer war Willi Multhaupt, der zu diesem Zeitpunkt aber schon in Bremen unterschrieben hatte, weil die ja sicher in der Bundesliga waren. Er sagte morgens bei der Spielersitzung nur: „Ich verlasse euch. Nehmt euer Schicksal in die eigenen Hände“ und blieb anschließend passiv auf der Trainerbank sitzen. Schließlich lagen wir mit 1:2 hinten, und Günter Preuß, unser damaliger Kapitän, kam zu mir und sagte: „Pitter, geh nach vorne und versuch noch mal, das Spiel herumzureißen.“ 15 Minuten vor Schluss schoss ich das 2:2 und sprang vor Freude ins Tornetz, woraufhin das gesamte Tor zusammenkrachte. Es musste erst wieder zusammengenagelt werden und als es wieder stand, machte ich drei Minuten vor Schluss sogar noch den Siegtreffer zum 3:2.

Meiderich heute, das ist nicht das Meiderich von 1963. Es gibt nicht mehr die dampfenden Schlackenberge, von denen beißender Geruch durch den Stadtteil und über die Sportplätze zieht. Niemand muss sich mehr im Training Mullbinden mit Leukoplast vor den Mund kleben, um den Dreck aus der Luft zu filtern. So aber war es, als ich zur ersten Bundesliga-Saison 1963 nach Meiderich kam. Es war ein trostloses Ambiente für einen Profiklub, und manchmal schämte ich mich geradezu, wenn Freunde mich besuchten. Zumal wir damals als Absteiger Nr. 1 festzustehen schienen. Doch es kam alles anders. (Rudi Gutendorf aus seinen Erinnerungen „Machen se et jut“, Göttingen 2004)

Die endgültige Qualifikation gelang ihnen dann vier Tage später ausgerechnet gegen Hamborn 07. Eine besondere Genugtuung? Ja, alle glaubten, die Hamborner, für die es um nichts mehr ging, lassen uns gewinnen. Aber von wegen. Das Lokalderby fand an der Westender Straße vor 15.000 Zuschauer statt. Wieder ein Spiel auf des Messers Schneide. Acht Minuten vor Schluss macht Hamborn das 1:1, und da war die Bundesliga wieder weit weg. Die Zuschauer riefen „Pitter! Pitter!“ und ich ging nach vorn. In der 90. Minute wird Eia Krämer von Rolf Schafstall gefoult und Walenciak bringt den Freistoß rein. Der Ball tickt auf und ich haue ihn aus 18 Metern volley in den Winkel. Torwart Horst Podlasly war geschlagen, und am Montag kam das Telegramm vom DFB: „Ihrem Aufnahmeantrag zur Bundesliga ist stattgegeben worden.“ Diese Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt.

Der Meidericher SV, der als Abstiegskandidat Nr.1 gehandelt wurde, spielte sich dann im ersten Bundesligajahr sensationell zur Vizemeisterschaft. Wie war das möglich?

Es war dieser Zusammenhalt untereinander. Neun Spieler der Stammelf kamen aus Meiderich und sind von der A-Jugend bis zur Bundesliga zusammen geblieben. Nur Manfred Manglitz, Helmut Rahn und Heinz Höher wurden von außerhalb geholt. Und da war der junge, bis dahin unbekannte Trainer Rudi Gutendorf, der es verstand, diese Mannschaft zu führen. Nach einem guten Start folgten zwei Niederlagen und dann unser Spiel in Bremen. Wir führten als krasser Außenseiter lange Zeit mit 1:0 und kassierten kurz vor Schluss noch den Ausgleich. Zum ersten Mal hatte Gutendorf seine Defensivtaktik angewandt, indem sich Günter Preuß zu mir in das Abwehrzentrum zurückzog. Rudi ging dann in die Pressekonferenz und sagte: „Nach unseren zwei Niederlagen hatte ich keine andere Chance und ich habe das schweizerische Ziehharmonika-System gespielt.“ Und ein Journalist machte mit seiner spitzen Feder daraus das berühmte: „Riegel-Rudi“.

1965 haben Sie Meiderich verlassen und sind zu einer Mannschaft gewechselt, die damals gerade erst in die Bundesliga aufgestiegen war: Bayern München. Wie kam dieser Wechsel zustande?

Ich suchte eine neue Herausforderung und die Bayern hatten Angst bekommen, dass sie mit dem schmalbrüstigen Stopper, den sie bis dahin hatten, das Wagnis Bundesliga nicht hätten eingehen können. Das war Franz Beckenbauer. Nach zwei Wochen Probetraining bekam ich schließlich den Zuspruch von Trainer Tschik Cajkovski. Ich hatte alle Vorbereitungsspiele mitgemacht und stand in der Stammelf: Beckenbauer spielte den Außenläufer und ich den Stopper. Und dann kam der erste Spieltag mit dem hoch geputschten Derby gegen 1860. Auf Seite der Sechziger spielte Timon Konietzka, der von Dortmund kam. Wir kannten uns vom Westen her. Kurz vor Schluss des Spiels gingen mir die Nerven durch und ich holte mir nach einem Foul an Konietzka die rote Karte ab. Acht Wochen Sperre. Danach spielte Franz Beckenbauer wieder die Stopperposition und machte das bekanntermaßen hervorragend. Ich saß als zwölfter Mann auf der Bank und kam nie wieder in die Mannschaft. Letztlich machte mir aber auch mein Fußgelenk, das damals schon dreimal operiert worden war, immer mehr zu schaffen. Nach jedem Training hatte ich Schmerzen und wollte schließlich auch wieder zurück nach Duisburg. Mit der Verletzung ging meine Karriere dann nicht mehr richtig weiter, obwohl ich mich noch ein paar Jahre quälte. Letztlich ist ihre ganze Biografie mit Meiderich oder mit Duisburg verbunden. In der Stadt gelten sie sogar als „Legende“. Macht Sie das stolz?

Das bin ja nicht nur ich allein. Die ganzen Spieler von damals, Sabath, Manglitz, Nolden, Gecks, van Haaren, Bella und wie sie alle heißen, da kommen teilweise mehr Autogramm-Wünsche als zu aktuellen Spielern. Die Meidericher Jungs von damals sind nicht vergessen.

Heute arbeiten Sie als Fanbeauftragter des MSV und zittern um den Klassenerhalt. Sehen Sie eine Chance?

Ein sofortiger Abstieg wäre jedenfalls für diese Region tödlich. Mannschaft, Trainer, Präsidium und Zuschauer müssen mithelfen, dass dieser MSV die Klasse hält. Mit dem wunderbaren Stadion haben wir endlich eine Perspektive, die nicht verspielt werden darf. Aber es wird sehr schwer.

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