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RUB-Kriminologe Feltes:
"Ein generelles Stadionverbot ist Blödsinn"

Gewalt im Fußball: RUB-Kriminologe Feltes im Interview
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Thomas Feltes ist Kriminologe an der Ruhr-Universität und berät die DFL im wissenschaftlichen Beirat zu gewaltbereiten Fans. Im Interview warnt er vor Hysterie.

Thomas Feltes, Hooligans des BFC Dynamo Berlin greifen nach dem Spiel gegen Kaiserslautern Gästefans an, Dresden-Ultras stürmen den Stadioneingang in Dortmund, der Magdeburger Profi Daniel Bauer wird sogar von den eigenen Anhängern bedroht. Sehen Sie ein Gewaltproblem im deutschen Fußball?

In meinen Augen hat sich an der Gesamtsituation in den letzten Jahren nichts geändert, es kommt auf die Darstellungsweise an. Was mir fehlt ist die Herausstellung des Positiven. Auf ein schwieriges Spiel kommen zehn vollkommen unproblematische Begegnungen, wo alles glatt läuft. Das wird einfach verschwiegen.

Was beobachten Sie in der Debatte?

Ich sehe eine gefährliche Hysterie, die vor allem von Vereinsvertretern, Politik, Polizei und Gewerkschaftsvertretern ausgeht. Man fordert jetzt härtere, repressivere Maßnahmen, obwohl alle Beteiligten wissen müssten, dass diese nicht zum Erfolg, sondern eher zu einer Eskalation führen. Was wir brauchen, ist eine Beruhigung und eine Fortsetzung des konstruktiven Dialogs.

Vom DFB ist immer wieder die Rede von diesem konstruktiven Dialog. Warum wurden dann keine Fanvertreter zum runden Tisch gegen Fußballgewalt eingeladen?

Der runde Tisch ist, was die Teilnehmer angeht, von vornherein so konzipiert gewesen und keine Reaktion auf die aktuellen Ereignisse. Ihre Frage ist schwierig zu beantworten, aber ich bin der Auffassung, dass es vom Prinzip her nicht viel ändern würde, wenn ein oder zwei Fanvertreter eingeladen wären.

Warum?

Die Fan- und Ultraszene ist dermaßen heterogen, dass es in einem solchen Gremium unmöglich ist, die Interessen der Fans zu vertreten. Die Kommunikation muss regional vor Ort geführt werden. Die Verantwortlichen in den jeweiligen Städten müssen sich zusammensetzen und maßgeschneiderte Lösungen erarbeiten. Die Probleme sind individuell anzugehen, wie die Ereignisse der letzten Wochen und Monate auch gezeigt haben.

Wo hatten Sie denn den Eindruck, dass es in der Diskussion um Fangewalt Fehlwahrnehmung gibt?

Man muss ja nur dieses kaum wahrgenommene Ereignis in Hannover sehen, wo 36 Menschen durch einen Polizeieinsatz verletzt wurden. Anstatt dann zu fragen: "Was ist dort von Seiten der Polizei falsch gemacht worden?", wird das unter den Teppich gekehrt oder in einen Topf geworfen mit den Ereignissen in Dortmund.

Was muss in der Diskussion sonst noch bedacht werden?

Es gibt bundesweit nicht nur viele Ultraszenen, sondern auch verschiedene räumliche Bedingungen, wenn Sie Leverkusen oder Schalke mit Dortmund vergleichen.

Die An- und Abreise verläuft jeweils ganz unterschiedlich.

Die Auswärtsfans werden dort teilweise durch Busse wie im Käfig ins Stadion gebracht. Dann gibt es die Anreise zum Stadion wie in Dortmund, wo man die Fanmischung hat und wo es eigentlich bisher immer friedlich ablief. Bis auf das Dresdener Intermezzo. Sonst sind die Fans sehr kooperativ und tun genau das, was die Polizei von ihnen verlangt.

Als Wissenschaftler beobachten Sie das Verhalten über längere Zeiträume. Wie hat sich die Fankultur in den letzten Jahren entwickelt?

Einerseits ist die Intensität der Fan-Begeisterung gestiegen. Das sieht man im Anstieg der Zuschauerzahlen und an Aktivitäten wie Choreos. Andererseits ist das Fußballspiel eben auch für gewaltbereite, junge Menschen attraktiv geworden. Die treffen im Stadion auf die Öffentlichkeit die sie suchen, also in erster Linie Polizei und Medienvertreter. Hier wird Fußball als Event genutzt, um Gewalt auszuüben.

Was halten Sie von Maßnahmen wie einem generellen Alkoholverbot in Stadien oder einem Stadionverbot auf Lebenszeit?

Ein generelles Stadionverbot ist Blödsinn. Wer solche Maßnahmen fordert, soll erst einmal den Beweis antreten, dass die in irgendeiner Form etwas bewirken. Dafür braucht man eine vernünftige Evaluation, in denen man sich Fragen stellt: "Warum sind Polizeieinsätze schief gegangen?" Oder: "Warum sind Dinge aus dem Ruder gelaufen?"

DFB und DFL wollen jetzt Geld ausgeben, und Fanprojekte mit 60.000 Euro pro Standpunkt im Jahr finanzieren.

Wenn dem so ist, dann handelt es sich um etwas, das ich schon lange fordere. Beide müssen darüber hinaus aber auch Geld in die Hand nehmen, um die Situation zu analysieren und zu schauen, warum es in einigen Bereichen sehr gut läuft und in anderen nicht. Dafür muss man eine vernünftige wissenschaftliche Expertise einkaufen um aus der Vergangenheit zu lernen. Oder überhaupt das Stadionverbot untersuchen und zu schauen, ob das tatsächlich zu einem Rückgang der Gewalt geführt hat. Wir haben die wissenschaftlichen Möglichkeiten dazu.

Warum werden diese nicht genutzt?

Ich habe die DFL aufgefordert und hoffe, es passiert etwas in dieser Richtung. Warum das beim DFB nicht gemacht wird müssen Sie dort fragen. Der DFB plant eine Ultrastudie, der ich äußerst skeptisch gegenüber stehe.

Wie wird die Arbeit der DFL auf in naher Zukunft aussehen?

Wir haben im vergangenen Jahr einen guten Dialog auf allen Ebenen bei drei Regionalkonferenzen gehabt. Dort saßen alle relevanten Gruppen zusammen, um Probleme aufzuarbeiten. Wir hoffen natürlich, diese Arbeit im Januar und Februar des kommenden Jahres fortführen zu können. Wichtig ist Ruhe und dass keine operative Hektik ausbricht.

Sie haben anfangs von einer gefährlichen Hysterie gesprochen. Haben Sie ein Horrorszenario für die nahe Zukunft im Kopf?

Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber wenn man weiter alle Fans in einen Topf wirft, kann es zu einer Solidarisierung von nichtgewaltbereiten Fans mit gewaltbereiten Fans kommen. Das kann man heute schon sehen, wenn Banner aufgehängt werden für Fans, die Stadionverbot haben und es heißt: »Ihr seid bei uns.« Es darf in die Fangruppierungen kein Keil mit noch repressiveren Maßnahmen hineingetrieben werden. Das führt nur dazu, dass gewaltbereite Fans an Boden gewinnen.

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