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Taubensport: Schlaggemeinschaft "Ratz-Bremen-Golletz-Spieß"
"Das wird schnell zum Full-Time-Job"

Taubensport: Schlaggemeinschaft "Ratz-Bremen-Golletz-Spieß"
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Thomas Bremen verspürt ein Kribbeln. Für ihn ist das nichts besonderes, schließlich steigert sich dieses Kribbeln von Woche zu Woche. Doch heute ist es ganz besonders stark. Denn heute scheint die Sonne. Es sind die ersten warmen Strahlen im März und der 31-Jährige kann seine Vorfreude nicht verbergen.

Bremen ist Brieftauben-Züchter und heute ist der Tag gekommen, an dem er seine Zöglinge das erste Mal nach der Winterpause wieder frei lassen will. Trainingsflüge stehen an.

Ich bin überrascht. So wie ich es mir vorgestellt habe, sieht es hier nicht aus. Kein dunkler Dachboden, kein Dreck. Stattdessen stehe ich in einem riesigen Garten, umgeben von großen Schlägen. Sechs an der Zahl und jeder in bemerkenswert sauberen Zustand. Nur das freudige Gurren um mich herum bestätigt meine Erwartungen.

Ob die Tauben wohl eine Ahnung haben, dass sie heute wieder fliegen dürfen? "Die wissen ganz genau, was heute mit ihnen passiert", erklärt Bremen, während er mit seinem Partner Anton Golletz beginnt, die Tauben in Transportkörbe zu packen. Schnell sind 90 Tiere im speziellen Anhänger verstaut, und ich mache mich mit Golletz auf den Weg von Gelsenkirchen Richtung Süd-Osten, während Thomas am Schlag zurückbleibt und auf die Ankunft der Vögel wartet. Nach 25 Kilometern haben wir unser Ziel schon erreicht. Ein Feld, nicht weit von der Autobahn entfernt.

Die Tauben suchen den Weg nach Hause (RS-Foto: Christian Müller).

Die Tauben scharren ungeduldig im Anhänger, doch wir warten noch, damit sie sich beruhigen können. Golletz hat keine gute Vorahnung. Der Himmel ist wolkenlos, dazu tritt Sonnennebel auf. Nicht die besten Voraussetzungen für die Tauben, um sich orientieren zu können. Trotzdem lassen wir sie nach und nach frei. Erst die Weibchen, dann die Vögel.

Und Golletz' Erwartungen bestätigen sich, denn jede einzelne Gruppe fängt zunächst an, große Kreise zu ziehen, bevor sie den Weg nach Hause einschlägt. Auch wir machen uns auf den Weg zurück, natürlich nicht ohne einen detaillierten Lagebericht an Bremen durchzugeben.

Kein geringer Aufwand, denke ich nach meinen ersten Eindrücken. "Wenn man die Brieftauben-Zucht auf einem hohen Niveau betreiben will, wird dies schnell zum Full-Time-Job. Für eine einzelne Person ist diese Arbeit dann fast nicht mehr zu bewältigen, vor allem, wenn man noch stark im Berufsleben eingespannt ist und der Schlag so groß ist wie unser", nickt Golletz.

Diese Überbeanspruchung war auch der Grund dafür, warum er sich schon schweren Herzens dazu entschlossen hatte, sein Hobby komplett an den Nagel zu hängen und seine Sammlung aufzulösen. Als Nachfolger kam ihm dabei schnell der junge Nachbar in den Sinn, welcher mit einem Freund schon erste Versuche in der Brieftaubenzucht gestartet hatte. Doch Bremen wollte zunächst nichts davon wissen, die Tauben zu übernehmen und die Arbeit alleine zu machen. Stattdessen schlug er dem sympathischen Mit-40er vor, sich gemeinsam um die Tauben zu kümmern. Vater Friedhelm Bremen und Opa Manfred Ratz sowie der befreundete Paul Spieß schlossen sich an, die Schlaggemeinschaft "Ratz-Bremen-Golletz-Spieß" war geboren.

Seitdem sind fünf Jahre ins Land gezogen und die fünf Männer können sich über mangelnde Erfolge nicht beklagen. Stolz betont Golletz, dass man mittlerweile zu den führenden Schlägen in Deutschland gehört und sich in der Szene einen guten Namen gemacht hat.

Anton Golletz lässt die Tauben frei (RS-Foto: Christian Müller).

Vor allem Bremen ist seit den ersten Erfolgen bei Preisflügen vom Brieftauben-Virus regelrecht infiziert und ständig auf der Suche nach Verbesserungen für seine Zucht. Ein "Brieftauben-Junkie", wie ihn Golletz liebevoll nennt.

Alleine fünf Fachzeitschriften finden jeden Monat den Weg in den heimischen Briefkasten. Darüber hinaus gehören regelmäßige Internetlektüre und, bei aller Konkurrenz, der Kontakt zu anderen Züchtern zur Pflicht.

Auch grenzübergreifend ist Bremen ständig offen für neue Inspirationen. Sogar mit dem Ernährungswissenschaftler von Schalke 04 gab es einen Austausch darüber, wie er sein Futter verbessern kann. Nicht zu vergessen ist das eigentliche Training für die Preisflüge von März bis September.

Zwischen 6 und 9 Uhr dürfen die Tiere im heimischen Garten fliegen. Erst die Weibchen, dann die Vögel, gefolgt von den Jungvögeln. Jeweils eine Stunde. Währenddessen wird das Futter gemischt, die Schläge gereinigt und die Nester kontrolliert. Abends wiederholt sich die Prozedur. Alle drei Tage dürfen sich die Tauben zusätzlich über ein Bad freuen. Hinzu kommen die Trainingsflüge für die Reisetauben. Spätestens jetzt habe ich den Sinn einer Schlaggemeinschaft verstanden…

Selbst im Winter gibt es genug zu tun, denn die Paarungszeit steht an. Hierbei sind viel Fingerspitzengefühl und eine gute Strategie gefragt, wenn man im nächsten Jahr erfolgreiche Jungtauben stellen will. Dabei sind die Züchter auch ständig auf der Suche nach guten Zuchttauben. "Wie ein Spielerbeobachter beim Fußball", stellt Bremen mit einem Augenzwinkern fest. Und wozu der ganze Aufwand? "Der größte Lohn sind die Siegerehrungen nach der Saison. Außerdem macht es Spaß zu sehen, ob eine Taube die Erwartungen erfüllt, die man in sie gesetzt hat.", erklärt Bremen.

Siegerehrungen kennt die Schlaggemeinschaft zur Genüge und einen Star haben sie auch: Der Nr. 30, die beste jährige Taube im Regionalverband des letzten Jahres. Bei 13 Preisflügen konnte sie sich zwölf Mal unter 15.000 Tauben platzieren und gewann sogar beim "Versele-Laga Master Award 2008", der inoffiziellen Weltmeisterschaft. Immerhin 1000 Euro Preisgeld konnte die Schlaggemeinschaft dafür einstreichen. Keine geringe Summe, aber Bremen deutet auch an, dass sein Hobby kostspielig ist, wenn man es so professionell betreibt.

Auf 80.000 bis 90.000 schätzt Bremen die Anzahl der verbliebenen aktiven Züchter in Deutschland. Auf den ersten Blick keine geringe Zahl, doch ist dies kein Vergleich zu den romantischen Zeiten, in denen das "Rennpferd des kleinen Mannes" zu den Kumpels auf den Zechen gehörte wie die Kneipe und das Bier. Doch mit dem Zechensterben verschwand auch der Brieftaubensport nach und nach in der Versenkung.

Und Bremen kennt noch andere Gründe: "Die Rahmenbedingungen haben sich einfach geändert. Früher gab es noch keine Computer und Fernsehen. Heute haben die Jugendlichen viel mehr Möglichkeiten ihre Freizeit zu gestalten. Dazu kommt, dass man mit der Zucht von Brieftauben auch Verpflichtungen eingehen muss, wozu nur noch wenige bereit sind. Es ist zwar schade, aber ich kann die jungen Leute auch verstehen."

Selbst wenn der Brieftaubensport heutzutage weniger Zulauf hat, so ist er doch viel professioneller geworden. Nichts geht mehr ohne Elektronik, die genau aufzeichnet, wann welche Taube in den Schlag zurückkehrt. Eine spannende Neuigkeit hat sich neben den Preisflügen in den letzten Jahren mehr und mehr etabliert, die so genannten "Tribünenflüge": Dabei geben die Züchter ausgewählte Jungtauben gegen eine Startgebühr in die Hände von Organisatoren eines Rennens, die diese zentral pflegen und trainieren.

Der Tribünenflug ist ein einmaliger Wettbewerb, über dessen Ausgang sich die Züchter per Internet oder verbunden mit einem Urlaub informieren können. Die Schlaggemeinschaft ist dieses Jahr bei Tribünenflügen in fünf Ländern vertreten, darunter das "One-Million-Dollar-Race" in Südafrika als absolutes Highlight der Saison. Wenn Bremen daran denkt, fängt es schon wieder an zu kribbeln.

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