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Bochum: Fanprojektleiter Zänger fordert Neuaufstellung der Fanszenen
"Ultras gewaltfrei? Die Realität ist eine andere"

Bochum: Fanprojektleiter Zänger fordert Neuaufstellung der Fanszenen
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Während der 34-jährige Ordner, dem am vergangenen Samstag von zwei Bochumer Fußballfans der Schädel sowie beide Kiefer gebrochen wurden, weiter im künstlichen Koma liegt, haben sich die Bochumer Ultras, zu denen die beiden mutmaßlichen Täter zählen, zu Wort gemeldet.

In einem offenen Brief nahmen sie Stellung zu den Geschehnissen in Bielefeld. Für Bochums Fanprojektleiter Ralf Zänger, der die Gruppe seit vielen Jahren kennt, kann das nur der erste Schritt gewesen sein. Er fordert eine Neuordnung der Bochumer Fanszene und ein klares Bekenntnis der Ultras zur Gewaltfreiheit. Immerhin kam es am Dienstag beim Heimspiel gegen Schalke zu keiner neuen Eruption.

Ralf Zänger, wie bewerten Sie den offenen Brief der Ultras? Das war ein erster Schritt in die richtige Richtung. In Gesprächen habe ich echte Betroffenheit festgestellt. Aber das ist nicht alles. Die Ultras wissen, dass jetzt eine Reaktion von ihnen erwartet wird. Alle Beteiligten müssen jetzt schnellstmöglich an einen Tisch. Wird das passieren? Durch den Vorfall am Samstag ist die Gesprächsbereitschaft in dieser Gruppe gestiegen. Das Fanprojekt und die Fanbetreuung des VfL haben mit den Ultras einen Termin vereinbart. Uns ist es wichtig, sich mit der Gruppe an einem Tisch zu setzen und mit ihnen über die Vergangenheit und die weitere Zukunft zu reden. Was fordern Sie von den Ultras? Unser Anliegen wird es sein, die Spielregeln für einen Stadionbesuch noch einmal verbindlich für alle zu besprechen. In erster Linie ist die Stadionordnung für alle Zuschauer ausschlaggebend. Hier ist es wichtig, dass sich alle an einfachste Grundregeln halten. Wir werden das Geschehene kurz beleuchten und hinterfragen. Aber noch wichtiger ist es, wie es in Zukunft weitergehen soll. Denn trotz des tragischen Vorfalls wird ja der Spielbetrieb nicht eingestellt. Wir setzen darauf, dass sich diejenigen, die sich an die Regeln und Gesetzte halten wollen, als Multiplikatoren auftreten und die Anderen mitnehmen. Fordern Sie einen Selbstreinigungsprozess der Ultras, wie ihn VfL Pressesprecher Christian Gruber formulierte? Die Ultras haben auf jeden Fall keine Zeit mehr. Die Ausgrenzung der Gewalt kann nur über eine funktionierende Selbstkontrolle und Selbstregulierung geschehen. Und es muss künftig auch einen Austausch mit den anderen Fangruppen geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ohne einen Dialog zwischen den Fangruppen funktionieren kann, Ruhe zu bekommen. Das gilt auch für Gespräche mit der Polizei und dem Ordnungsdienst. Ohne Kommunikation befinden sich die Ultras in einer Sackgasse. Ich hoffe, dass haben sie jetzt verstanden. Hat sich eine derart negative Entwicklung, wie sie in den vergangenen Monaten in vielen deutschen Stadien zu beobachten war, angedeutet? Die hat es nicht gegeben, jedoch ist eine Veränderung in der Ultra-Szene zu beobachten, egal an welchem Standort. Entgegen dem Selbstverständnis der Ultras zum gewaltfreien Fußball hat sich dieser Anspruch in der letzten Zeit verändert. Wir hatten hier in Bochum bislang eine eher ruhige Fanszene. Ein Gewaltausbruch in dieser Dimension, davon wurden auch wir überrascht.

Gehört zum Überdenken des eigenen Anspruches auch die Abkehr von Provokationen, wie sie in der vergangenen Woche beim Jugendspiel zwischen Dortmund und Bochum vorkamen? Selbstverständlich ist es wichtig, auch solche Aktionen wie am vergangenen Mittwoch kritisch zu hinterfragen. Wenn sich E- und D-Jugend-Mannschaften beim Training befinden, dürfen diese nicht durch rivalisierende Fangruppen gestört beziehungsweise eingeschüchtert werden.

Welche Erklärungsansätze haben Sie für das Phänomen der Ultras? Bei den Ultras handelt es sich um eine Jugendsubkultur, ähnlich wie die Hooligans in den 90ern. Ihr aller erstes Ziel ist es, ihren Verein immer und überall zu unterstützen .Des Weiteren setzen sie sich für den Erhalt von Stehplätzen und gegen die fortschreitende Kommerzialisierung ein. Wo liegt das Hauptproblem? Anders als die Hooligans haben sich die Ultras immer als gewaltfrei definiert. Wenn ich den Anspruch habe, gewaltfrei zu sein, dann muss man die Forderung aufstellen dürfen, auf Personen Einfluss zu nehmen, die sich nicht daran halten. Trotzdem kommt es zu Auffälligkeiten aus ihren Reihen. Eine Selbstreflexion ihres Handelns und Verhaltens geschieht nicht in angemessenem Maße. Deshalb müssen wir über Verhältnismäßigkeiten reden. Hier gibt es gerade bei Jüngeren einen erheblichen Aufklärungsbedarf. Wie soll das Probleme gelöst werden? Das geht nur mittelfristig über die Arbeit mit jungen Fußballfans. Unser Arbeitsansatz definiert sich über tragfähige Beziehungen zu den Jugendlichen. Hierbei steht die Prävention absolut im Vordergrund. Durch die Beziehung können wir Verhaltensmuster verändern und eine Bewusstseinsveränderung erwirken. Einen anderen Weg gibt es meiner Meinung nach nicht. Es gibt nicht wenige Funktionsträger im Fußball, die lebenslangen Stadionverbote fordern! Bei so schwerer Körperverletzung wie in Bielefeld brauchen wir uns nicht zu unterhalten. Generell ist das Stadionverbot aber nicht das Mittel, um die Leute zu verändern. Du schaffst keine Bewusstseinsänderung. Das einzige, was du schaffst, ist, dass diese Jugendlichen den Kontakt zu ihrem Freundeskreis, egal ob dieser positiv oder negativ wirkt, verlieren. Du grenzt eigentlich nur aus. Um im Stadion und im Umfeld Ruhe zu haben, ist das sicherlich ein probates Mittel für Polizei und Vereine. Aber bei weniger gravierenden Delikten ist es stets eine Güterabwägung. Wir als Fanprojekt fordern deshalb einen sensibleren Umgang mit Stadionverboten, gerade in Bezug auf jüngere und erstmalig auffallende Fußballfans. Ich warne deshalb auch vor einer Dramatisierung und Pauschalisierung.

Hat die Ultra-Bewegung Ihrer Meinung nach in Deutschland noch eine Zukunft? Das hängt stark von ihr selbst ab. Es ist klar, dass die Vereine keine gewalttätigen Personen in ihren Stadien dulden. Wenn die Ultras eine Zukunft im Fußball haben wollen, dann sollten sie diese jetzt gewaltfrei gestalten und wieder ihre ursprünglichen Ziele verfolgen. Fakt ist aber auch, dass Jugendsubkulturen kommen und gehen.

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