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Chronik einer angekündigten Entlassung
Hannes Bongartz‘ letztes Bundesligaspiel – vor 10 Jahren

Chronik einer angekündigten Entlassung
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Allein die Tatsache, dass der Fußballlehrer Hannes Bongartz vor zehn Jahren bei Borussia Mönchengladbach beurlaubt wurde, ist sicher nicht erwähnenswert. Das zählt zu den Zwangsläufigkeiten des irdischen Daseins, die schon vor langer Zeit der einstige irische Nationaltrainer Eoin Hunt ganz prosaisch formuliert hat: „Soviel steht fest: Menschen sterben und Trainer werden entlassen!“ Doch die Chronik dieser angekündigten Entlassung am Niederrhein hat ihren eigenen Charme.

Es war der 29. November 1997, ein schmuddeliger Samstag vor dem 1. Advent. Hannes Bongartz hatte gerade sein 244. Spiel als Bundesligatrainer verloren, 0:2 gegen den VfL Wolfsburg. Eine eher unglückliche Niederlage vor 21.300 Zuschauern, die einige Sprechchöre gegen ihn in den dunklen, regennassen Himmel schrieen. Offiziell trat Bongartz an diesem Tag zurück, doch nach den Gepflogenheiten der Branche kam er damit nur einem Rausschmiss zuvor. Das 244. Spiel als Trainer einer Bundesligamannschaft sollte bis heute sein letztes bleiben. 244 Spiele, deutlich mehr als ein Dutzend der aktuell verantwortlichen Fußballlehrer in der höchsten Spielklasse, das ist schon eine beachtliche Marke, besonders für einen so freundlichen Menschen wie Bongartz, der nie im Verdacht stand ein autoritärer Schleifer oder gar ein „Quälix“ zu sein.

Der Trainer und sein Star, der zum „Fall“ wurde: Hannes Bongartz und Stefan Effenberg, 1997. (Foto: firo)

„Er ist jemand, den man gerne mag“, sagt Rolf Rüssmann, der ihn lange und gut kennt – aus gemeinsamen Zeiten als Spieler und auch später in der Kommandozentrale bei Borussia Mönchengladbach. Bongartz’ meist gute Laune ist ansteckend, auch in seinem durchaus reifen Alter hat er das Spitzbübische nie verloren. Den 56-Jährigen zeichnet das herzliche Wesen des Ruhrgebietsmenschen aus, obwohl er gar nicht von hier stammt. Doch schon lange hat er in Bottrop Wurzeln geschlagen, wo er mit seiner Frau Andrea Cornelia und zwei Töchtern Jacqueline und Nathalie nahe der Innenstadt wohnt.

Traber & Fußball

Bongartz, die „rheinische Frohnatur“ (Rüssmann), ist in Bonn geboren und beim FV Preußen Duisdorf zum Fußball gekommen. Vorher hatte er schon eine kurze Karriere im Kunstradfahren hinter sich, denn sein Vater war Vorsitzender der Radsportfreunde. Aus Duisdorf kam er über den Bonner SC 1971 zur SG Wattenscheid 09; später spielte er auf Schalke, 103-mal gemeinsam mit Rüssmann, mit dem ihn auch ein Hobby verband. „Donnerstag war immer unser Abend auf der Trabrennbahn“, berichtet der. „Da haben wir an einem Tisch gesessen und Spaß gehabt.“ Länger als Rüssmann übrigens hat sich Bongartz dieser Leidenschaft gewidmet, hat selbst Pferde gezüchtet, bis der Niedergang des Trabrennsports auch ihm die Motivation nahm. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte Bongartz: „Als Pferdebesitzer haben Sie die gleiche Chance wie ein Schneeball im Hochofen!“

„Jemand, den man gerne mag“, so Rolf Rüssmann über Hannes Bongartz. (Foto: firo)

Auf die Zeit als Spieler auf Schalke jedenfalls folgten vier Jahre beim 1.FC Kaiserslautern, insgesamt schließlich zehn Jahre und 298 Spiele in der Bundesliga und auch vier Länderspiele, darunter das Europameisterschaftsfinale 1976 gegen die Tschechoslowakei. Im verlorenen Elfmeterschießen verwandelte er seinen Strafstoß und war der erste, der Uli Hoeneß in den Arm nahm, nachdem dieser seinen in den Himmel über Belgrad gejagt hatte. „Spargeltarzan“ war damals Bongartz’ Spitzname; der schlaksige Mittelfeldspieler war Taktgeber und Lenker, bis er wegen einer Rückenverletzung den Sport aufgeben musste. Schnell aber fand er 1985 in Kaiserslautern seine erste Trainerstation – als damals jüngster Bundesligcoach. Mit seinen fortschrittlichen Auffassungen vom Spielsystem setzte er sich in der Pfalz durch. Am nachhaltigsten wirkte Bongartz bei der SG Wattenscheid 09, mit der er 1990 in die Bundesliga aufstieg und sich trotz bescheidener finanzieller Mittel vier Jahre lang in der höchsten Klasse hielt. Mäzen Klaus Steilmann pries den Sportlehrer als „Glücksfall für unseren Verein“, zu dem Bongartz später noch zweimal zurückkehrte. Am Bökelberg

Bei Borussia Mönchengladbach jedenfalls übernahm Hannes Bongartz im Dezember 1996 eine heikle Mission. Sein beim Publikum beliebter Vorgänger Bernd Krauss war vom intriganten Präsidenten Karl-Heinz Drygalski gerade aus dem Amt gemobbt worden und der fünfmalige deutsche Meister stand auf dem viertletzten Tabellenplatz, punktgleich mit dem Sechzehnten, Fortuna Düsseldorf. Wenigstens nahm der Star der darbenden Borussia, Stefan Effenberg, den neuen Trainer „freudig zur Kenntnis“, dem vor allem dessen Fußballtaktik diesen Job beschert hatte. „Er war einer der wenigen in den Neunziger Jahren, der es verstanden hat, mit einer Viererkette im Raum spielen zu lassen“, und der damit für Kontinuität im krisengeschüttelten Klub sorgen konnte, erzählt Rolf Rüssmann, der damalige Manager. Daneben hatten es ihm andere Qualitäten seines früheren Mitspielers auf Schalke angetan: „Er machte gutes Training, konnte die Jungs begeistern.“

So sammelte Bongartz in dieser Saison aus 16 Spielen noch 25 Punkte, Mönchengladbach wurde Elfter, zehn Punkte vor Absteiger Düsseldorf. Entsprechend hoch waren die Erwartungen am Niederrhein für die neue Saison, in die die Borussia vor zehn Jahren aber nur mit drei Unentschieden startete. Präsident Drygalski hatte seine Unzufriedenheit in einigen Spitzen gegen Trainer und Manager längst öffentlich gemacht, als vor dem vierten Spieltag im August Bongartz ausgerechnet seinen Besten für ein Spiel gegen den 1. FC Köln aus dem Kader strich, weil er das Training allzu lustlos bestritten hatte. Welch ein Paukenschlag: Stefan Effenberg – der „Tiger“ – auf der Tribüne. „Effe war von der Suspendierung so geschockt, dass er unter Flüchen und Drohungen vom Trainingsgelände gerast ist“, erinnert sich Holger Rathke, der damalige Mediensprecher der Borussia. Effenberg kam dann an dem strahlenden Augustsamstag auch nicht zum Spiel. Er blieb schmollend dem Stadion auf dem Bökelberg fern, ohne dass ihn jedoch jemand vermisst hätte. Gladbach glänzte nämlich ausnahmsweise einmal und gewann das Derby souverän mit 4:1. „Wir sind zusammengerückt“, stellte der schwedische Abwehrchef Patrick Andersson fest und im Presseraum prostete Bongartz mit dem Altbier des Hauptsponsors Peter Neururer zu, dem Trainer des unterlegenen Gegners.

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