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WM 2018
„Die Freude ist größer als der Stress“

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WM 2018: „Die Freude ist größer als der Stress“
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Interview mit Joachim Löw vor dem ersten deutschen WM-Spiel am Sonntag gegen Mexiko. Der Bundestrainer spricht über Gelassenheit, Problemfälle - und über Cordon Bleu mit der Kanzlerin.

Joachim Löw (58) befindet sich zweifelsohne in diesen Tagen in Watutinki, jenem Ort in der Nähe von Moskau, der der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland als Hauptquartier dient. Aber eigentlich ist der Bundestrainer so kurz vor dem Anpfiff des ersten Spiels am Sonntag gegen Mexiko (17 Uhr/ZDF) in seiner eigenen Welt. Einer Welt, in der es nur um Fußball geht. Um das große Ziel: Titelverteidigung. Störendes blendet er aus. Auch das gibt dem Mann Ruhe.

Herr Löw, nach Wochen der Vorbereitung wird es nun ernst. Was überwiegt: Anspannung oder Gelassenheit? Ich spüre eine große Vorfreude in mir. Für mich hat die WM noch mal einen höheren Stellenwert als eine EM. Es sind die besten Nationen von unterschiedlichen Kontinenten dabei, mit ganz unterschiedlichen Charakteristiken, die wir in Europa nicht so kennen. Ich freue mich wirklich, auch wenn ich weiß, was von uns erwartet wird. Aber jetzt, wo ich die Mannschaft seit ein paar Wochen zusammen habe, löst das bei mir vor allem eine gewisse Dynamik aus, da komme ich in einen Flow – das macht mir unglaublich Spaß.

Sie haben gesagt, dass Sie vor so einem Turnier nichts mehr nervös macht. Was macht Sie denn – vielleicht auch fernab des Fußballs – noch nervös? (überlegt lange) Es gibt immer Dinge im Leben, die einen unruhig werden lassen. Ein Mensch ohne Angst ist ja kein Mensch. Wenn wir aber über das Sportliche reden, habe ich keine Angst, weil ich schon so viele Erfahrungen gemacht habe, was alles passieren kann: Niederlagen, Verletzungen, äußere Umstände. Damit kann ich ganz gut umgehen. Im Vorfeld ist es sogar ganz gut für mich, wenn nicht alles rund läuft – wie zum Beispiel gegen Österreich. Daraus ziehe ich meine Erkenntnisse, das ist noch mal ein Aufrüttler.

Wie hat Sie der Titelgewinn von 2014 verändert? Ich glaube, dass so ein Erfolg einem noch mehr Gelassenheit gibt. Ich habe vollstes Vertrauen in meine Spieler, in mein Trainerteam, in unsere Qualitäten – auch das lässt mich ruhig sein. Und die Gewissheit, dass wir im Vorfeld alles getan haben, um erfolgreich sein zu können. Die Freude bei so einem Turnier ist größer als der Stress.

Ist das der Vorteil des Bundestrainers gegenüber einem Vereinstrainer? Unter anderem. Ich habe zwischen den Turnieren die Gelegenheit, mich weiterzubilden. Ich sehe ein Spiel in Spanien, in England, beschäftige mich mit Mexiko, mit Kolumbien, mit dem Weltfußball. Das ist ein wahnsinniger Vorteil, um zu lernen. Rund um die Länderspiele hingegen ist die Zeit kurz, und das bereitet mir manchmal große Schwierigkeiten. Da beneide ich ein wenig meine Kollegen in den Klubs, die täglich mit den Spielern arbeiten können.

Sie waren als Trainer erfolgreich beim VfB Stuttgart, waren dann in der Türkei, beim Karlsruher SC und in Österreich, ehe Sie 2004 als Co-Trainer zur Nationalmannschaft stießen. War es eigentlich Ihr Traum, Bundestrainer zu werden? Haben Sie jemals damit gerechnet? Nein, um Gottes Willen. Ich habe nicht mal eine Sekunde daran gedacht. Ich bin ja relativ jung ins kalte Wasser geworfen worden. Ich hatte eine Idee, einen Plan, aber habe nicht immer die richtigen Lösungen gefunden, wenn es irgendwo gehakt hat. Es ging durch ein Wellental, und ich war selber auf der Suche nach meiner Linie, nach einem Gesamtbild. Das hat auch was mit Unerfahrenheit zu tun. Ich muss ehrlich sein: Wäre ich nicht gerade arbeitslos gewesen, hätte Jürgen (Klinsmann, damaliger Bundestrainer, d. Red.) mich ja auch gar nicht angerufen. Und auch als er mir 2006 gesagt hat, dass er nicht weitermacht, dachte ich, dass es für mich ebenfalls in eine andere Richtung weitergeht, dass ich wieder einen Klub übernehme. Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich diese Mannschaft übernehmen würde. Zwölf Jahre später sind Sie die letzte Lichtgestalt des deutschen Fußballs, schweben über den Dingen. So scheint es zumindest. (lacht) Nein, es gibt im deutschen Fußball einige, die sehr, sehr viel erreicht haben. Ich sehe mich nicht so, und ich sehe mich auch nicht in einer Komfortzone. Als Trainer musst du dich ständig neu beweisen, dich neu erfinden.

Sie haben einen persönlichen Draht zur Bundeskanzlerin. Schreibt Frau Merkel Ihnen während eines Turniers eigentlich auch mal eine SMS? Der Kontakt zur Kanzlerin läuft eigentlich über Oliver Bierhoff (Nationalmannschaftsdirektor, d. Red.). Wenn sie viel Glück wünscht oder Glückwünsche ausrichten lässt, dann über ihn. Wir sind aber öfter mal im kleineren Kreis bei ihr eingeladen, was für mich immer hochinteressant ist, weil sie dann – genau wie ich – auch mal aus dem Nähkästchen plaudern kann, bei einem guten Essen oder einem Glas Wein. Und eines darf ich verraten…

Gern. Ich habe der Kanzlerin mal nebenbei gesagt, dass ich gerne Cordon Bleu mag – mit Pommes oder Bratkartoffeln. Seitdem gibt es immer Cordon Bleu mit Bratkartoffeln, wenn wir im Kanzleramt sind. Und der Koch macht das wirklich überragend.

In den zwölf Jahren als Bundestrainer verfügten Sie stets über hochklassige Spieler: Lahm, Schwein­steiger, Ballack zum Beispiel. Wer war der größte? Jeder war auf seine Weise einmalig. Es gibt Spieler, die haben ein riesiges Talent und arbeiten immer hochkonzentriert, diszipliniert – das sind die Topstars. Das war Lahm, das war Schweinsteiger oder jetzt Toni Kroos, Mats Hummels, Jeromé Boateng, Thomas Müller, Sami Khedira oder Manuel Neuer. Dann gibt es Spieler, die haben weniger Talent, aber arbeiten noch intensiver, damit sie auf dieses Niveau kommen. Das sind für einen Trainer sehr wichtige Spieler, weil auf sie absolut Verlass ist – ohne vielleicht diesen genialen Moment zu haben. Und dann gibt es Spieler, die haben riesiges Talent, aber sind bequem. Das sind die Spieler, die zu Problemfällen werden können.

Sie sind Weltmeister-Trainer. Wie motivieren Sie sich stets neu? Ich muss zugeben, dass ich nach der WM 2014 schon einige Monate hatte, in denen ich meine eigene Begeisterung gesucht habe und mir neue Ziele setzen musste. Ich wusste: Wir sind auf dem absoluten Gipfel angekommen – wie soll es jetzt überhaupt weitergehen? Geht es überhaupt noch besser?

Und dann? Sie haben jüngst erst Ihren Vertrag bis 2022 verlängert. Ich habe in mich reingehorcht und gemerkt, dass ich auch ein Entwickler sein will. Ich sehe junge Spieler wie Kimmich, Goretzka, Werner, Brandt, Sané und entwickle dann Visionen: Wo können oder müssen diese Spieler in vier, fünf Jahren sein? Was kann man dafür tun? Und wie soll unser Fußball aussehen? Das war von Anfang an das Wichtigste für mich bei der Nationalmannschaft.

Wie meinen Sie das? Deutschland war immer relativ erfolgreich bei Turnieren, aber die Art und Weise, wie Deutschland gespielt hat, 2000 oder 2004, die hat mir und auch vielen Fans nicht so gefallen. Das war enttäuschend. Ich habe damals zum Jürgen Klinsmann gesagt: Wir müssen wieder unseren eigenen Fußball spielen. Weil das, was wir können, können kleinere Nationen auch: rennen, kämpfen, grätschen. Das ist einfach zu wenig. Mir war klar, dass wir es mit diesem Stil nie wieder in die Weltspitze schaffen würden. Die deutschen Tugenden müssen auch das spielerische Element beinhalten. In Katar 2022 werden wir wieder eine andere Mannschaft haben – und diese aufzubauen, das ist für mich schon jetzt eine riesige Motivation.

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