Innerhalb von vier Tagen hat Rot-Weiss Essen zwei Spiele in der Nachspielzeit hergeschenkt. Durch zwei jeweils späte Gegentore gegen Wattenscheid (89. und 90.+5) sowie gegen Uerdingen (90.+1 und 90.+3). Einige Fans machten dafür sofort Trainer Argirios Giannikis verantwortlich. Die Auswechslungen seien falsch gewesen, die Mannschaft sei nicht fit genug für 90 Minuten oder die Truppe nicht motiviert genug, weil der Fußballlehrer am Saisonende zum Drittligisten VfR Aalen wechselt. Mit diesen Erklärungen macht man es sich jedoch zu einfach.
Klar erkennbar wird dadurch nur etwas anderes: Das sprichwörtliche Tischtuch zwischen Trainer und Fans ist mehr als nur zerschnitten. Das wird nicht nur durch primitive Attacken in Giannikis’ Privatleben deutlich oder in dem Versuch vom Dienstagabend, wo einige Fans nach dem Spiel die Geschäftsstelle stürmen wollten. Man merkt es auch an den Gesängen während der 90 Minuten, wo Teile der Anhänger den in der Mannschaft angesehenen Fußballlehrer sogar noch verhöhnen. Was beim Pokalspiel bei der TuRU Düsseldorf („Ohne Agi fahren wir nach Berlin“) begann, wurde gegen Wattenscheid („Agi raus“ und „Wir wollen den Trainer sehen“) und Uerdingen („Heute wird gesoffen bis der Trainer geht“) fortgesetzt. Wohlgemerkt jeweils, als die Mannschaft in Führung lag und nicht, um auf eine zurückliegende Mannschaft draufzuhauen.
Die Hoffnung, dass sich der Ärger um den Giannikis-Abgang mit der Zeit legt, kann wohl ad acta gelegt werden. Denn es passierte, was nicht passieren darf. Trotz teils guter Leistungen gegen Wattenscheid und Uerdingen gab es nur einen Zähler für die Essener, die so weiter im Abstiegskampf stecken. Zu viel für die Fans, die von ihrer Marschroute, den Trainer verantwortlich zu machen, kaum abzubringen sind. Egal wie die Fakten sind, wenn man in die Mannschaft hört. Denn zwischen dieser und dem Trainer stimmt es zu einhundert Prozent. Man hört Stimmen aus der Mannschaft, die besagen, dass Giannikis mit Herz und Leidenschaft dabei ist, jede Trainingseinheit modern und wohl überlegt ist, jede Ansprache voller Überzeugung ist. Fakt ist: Giannikis kommt bei den Spielern sowohl fachlich als auch menschlich sehr gut an. Leider fehlen die Ergebnisse.
Essens Vorsitzender Marcus Uhlig und Sportdirektor Jürgen Lucas sind fast zwei Monate nach der Bekanntgabe, dass Giannikis den Verein verlässt, mehr denn je gefordert, endlich einen Nachfolger zu präsentieren. Auch wenn beide schon oft genug gesagt haben, dass sie sich bei der Suche nach der „besten Lösung für Rot-Weiss Essen“ nicht unter Druck setzen lassen wollen. Der Druck ist durch den Schwebezustand da, es muss ein Zeichen an die Öffentlichkeit her. Wenn wirklich alle glauben, dass es in der Konstellation bis zum Ende der Saison geht, dann muss sich jemand hinstellen und dies offensiv verkaufen. Ansonsten wird es bei jedem Gegentor, bei jedem Fehlpass wieder die Unruhe geben, die in der aktuellen Situation pures Gift ist.