Die Gepäckkontrolle läuft ebenso reibungslos wie die Fahrt durch den Linksverkehr zum luxuriösen Mannschaftshotel am Meer.
Doch obwohl alles erstaunlich glatt läuft, ist die Anspannung groß im Dortmunder Reisetross. Das ließ sich schon am Dortmunder Flughafen spüren, das setzte sich am Gepäckband in Liverpool fort – und das gibt auch Trainer Thomas Tuchel zu, als er am Abend im legendären Stadion an der Anfield Road vor die Journalisten tritt. „Ich dachte eigentlich, ich hätte vor den Spielen in Porto und Tottenham riesige Aufregung gespürt, aber das wird hier noch einmal deutlich getoppt“, sagt er. „Und das spüre ich auch bei den Spielern.“
Dass die Anspannung vor dem Rückspiel im Viertelfinale der Europa League am Donnerstagabend um 21.05 Uhr so groß ist, hat natürlich viel mit dem Hinspiel zu tun. Das 1:1 in Dortmund hat die Ausgangslage aus Sicht des BVB verschärft: Nun muss man in Liverpool mindestens einen Treffer erzielen und darf nicht verlieren, um die Chance aufs Weiterkommen zu wahren. Erstmals geht der BVB ohne einen komfortablen Vorsprung ins Rückspiel, erstmals steht er mit dem Rücken zur Wand.
Weigl hat andere Beziehung zu Klopp
90 Minuten können über die Deutung einer ganzen Saison entscheiden. Denn in den vergangenen Monaten wurde zwar eine exzellente Ausgangslage erarbeitet. Die aber könnte nun in kürzester Zeit verspielt werden: am kommenden Mittwoch im DFB-Pokalhalbfinale bei der Berliner Hertha und nun gegen den FC Liverpool. Anfield ist für den BVB das erste Endspiel der Saison.
Erstmals unter Tuchel spürt die Mannschaft eine solche Drucksituation. Schon im Hinspiel wirkte sie ungewohnt gehemmt. Der Trainer glaubt aber, dass sich seine Mannschaft in Liverpool leichter tun werde. „Man kann die Energie nicht leugnen, die im ersten Spiel entstanden ist durch die Rückkehr von Jürgen Klopp nach Dortmund“, sagt Tuchel. „Ich glaube, dass es den Spielern jetzt besser gelingt, sich auf das Spiel einzulassen.“
Julian Weigl hat derlei Probleme nicht, er hat nie unter Klopp gespielt. Aber auch für ihn ist die Bühne ungewohnt groß. In der vergangenen Saison spielte er noch für 1860 München in der Zweiten Liga. Die Nervosität ist dem 20-Jährigen anzumerken, mehrfach verhaspelt er sich verbal gegenüber den Journalisten. Es sind Aussetzer, die er sich auf dem Spielfeld selten erlaubt: Weigl besetzt die Position vor der Abwehr, seine Aufgabe ist es, Druck von der Abwehr zu nehmen und im eigenen Spielaufbau die Bälle zu verteilen.
Tuchel spricht von kleinem Meilenstein
Meist erledigt er das mit beeindruckender Souveränität, sein Stellungsspiel ist exzellent, und mehr als 90 Prozent seiner Pässe finden den richtigen Mann. Am Donnerstag wird es darauf besonders ankommen, denn Liverpool greift den Gegner schon in dessen Hälfte aggressiv an. Weigl muss hier die Lücken finden, muss die Bälle aus der Abwehr bei den Offensivspielern abliefern.
Und er ist überzeugt, dass ihm das auch unter dem deutlich größeren Druck von Liverpool gelingt. Selbst das Hinspiel, in dem längst nicht alles klappte, dient dabei als Mutmacher: „Wir wissen, dass wir es besser können, darin liegt eine Chance für uns“, erklärt Weigl. „Wenn wir unser Spiel aufziehen, unsere Stärken nutzen und einiges aus dem Hinspiel verbessern, können wir hier gewinnen.“
Auch Tuchel bemüht sich um eine positive Deutung: „Das wird im Rückblick auf die Saison vielleicht ein kleiner Meilenstein für uns, wenn wir weiterkommen und mit dieser Herausforderung umgehen können“, sagt er. Dazu aber müsste man erst einmal gewinnen – oder ein Unentschieden mit mindestens zwei Toren erreichen.