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Avatare wie du und ich

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Avatare wie du und ich
Foto: firo
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Irgendwann Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts erklärte mir ein irgendwie unseriös wirkender Mensch, was zukünftig auf einem PC alles möglich wäre.

Er drückte mir eine Diskette in die Hand und meinte, dass man damit zukünftig ganze Filme abspielen könnte. Zu der Zeit reichte die Daten-Kapazität einer solchen Diskette noch nicht, um ein einziges Schwarz-Weiß-Foto abzuspeichern.

20 Jahre später erklärten mir irgendwie unseriös wirkende, kaum 20-jährige Nerds mit Baseball-Kappen die Welt der „Gamer“. In Korea und sonst wo werden deren PC-Spiele gegeneinander auf riesigen Leinwänden in Stadien vor zigtausend Fans übertragen. Es ist nicht mehr so einfach, die Realität von der virtuellen Realität zu unterscheiden. Dass ein täuschend echt wirkender Fußballspieler auf der Leinwand in Wirklichkeit der Avatar eines 16-Jährigen übergewichtigen Koreaners ist.

Und jetzt soll allen Ernstes hier darüber spekuliert werden, wie denn wohl in wiederum 20 Jahren die Sportwelt aussieht? Und wohin sich der Sportjournalist entwickeln könnte, wo doch schon jetzt damit begonnen wird, Roboter die Spielanalysen verfassen zu lassen.

Was sich mir spontan aufdrängt, ist die Vision, dass es in 20 Jahren überhaupt keinen „realen“ Sport mehr gibt, sondern nur noch „Gamer“. Wenn die virtuelle Welt bis dahin dermaßen „echt“ die wahre Welt abbilden kann, ist das auch durchaus sinnvoll. Die elektronische Kunstfertigkeit wird den fehlerhaften Menschen als vom ständigen Scheitern bedrohte Witzfigur entlarven. Warum sollen Kicker aus Fleisch und Blut noch für ihre Spielkunst angehimmelt werden, wenn Avatare das Publikum mit atemberaubender Zauberei am Ball verzücken? Es gibt keine Stadien mehr, keine Staus, keine Prügeleien, kein überfordertes Ordnungspersonal.

Man macht es sich zu Hause vor der Riesenprojektsfläche an der Wand – oder der Wand, die eine Riesenprojektionsfläche ist oder auf Knopfdruck zum Holodeck wird – bequem und genießt Fußball der Extraklasse. Die Zuschauerzahlen pro Spiel werden in Millionen gezählt. Jederzeit kann per Klick der Trainer als Hologramm ins Haus geholt werden. Keine zwei Generationen weiter weiß niemand, dass es früher „echte“ Menschen waren, die sich auf Naturrasen abmühten, so gut sie es vermochten. Glauben wir heute Veteranen, dass früher Handball über einen ganzen Fußballplatz gespielt wurde und eigentlich gar nicht in der Halle?

Nur wenige werden den Zeitzeugen des letzten „echten“ Fußballs noch zuhören. Vielleicht am ehesten noch intelligente Roboter. Und was dann der Sportjournalismus zu tun hat? Ach du lieber Gott! Vielleicht verfassen unsere Nachfolger Homestorys von den Star-Gamern. Wie sie da in irgendwelchen vermüllten Buden in rasender Geschwindigkeit die neuen Reus‘ und Götzes steuern. Wenn sie Bock haben, geben sie zwischen Chips-Tüten und Cola-Flaschen ein Interview. Aber meistens haben sie große Kopfhörer auf und laufen an den Reportern einfach vorbei. Ihre Berater wohnen in gläsernen Türmen und streichen noch schamloser die Honorare ein als ihre Vorfahren. Roboter bringen ihnen kühle Getränke. In Cyberbörsen werden Fanverträge gehandelt, die eng an das Gesmatpaket der Holodeck-Betreiber geknüpft sind. Identifikation gibt es nur noch mit dem absoluten 4D-Erlebnis.

Wer noch daran glaubt, dass es bei den Games mit rechten Dingen zugeht und Wett-Manipulation und ähnliches vom 140 Jahre alten Sepp Blatter verhindert wird, ist „von gestern“. Über den lachen alle wie heute über Thorsten Legat. Wenn der nicht jetzt schon ein Avatar ist. Weiß man es?

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