Es war 22.16 Uhr, als die Bilder von Arjen Robbens Auswechslung durch ganz Deutschland gingen. So auch über die Großbildleinwand im Audimax des BiTS in Iserlohn. Der Bayern-Star war nach seiner Bauchmuskelverletzung eine Viertelstunde zuvor eingewechselt worden, da humpelte er auch schon wieder vom Rasen. Als hätte es noch eines Beweises dafür bedurft, dass „Playing hurt“ („Verletzt spielen“) im Spitzensport längst kein Tabu mehr ist.
Genau diese These hatte Prof. Dr. Thomas Rieger in seinem Vortrag im Rahmen der von der Techniker Krankenkasse präsentierten Veranstaltung „90+4“ am Dienstagabend formuliert. Der Prodekan für Sport und Eventmanagement am BiTS verwies auf Tatsachen, die zum Nachdenken anregen. Warum spielt Dirk Nowitzki auch mit 39 Grad Fieber? Was geht in Atletico-Kicker Diego Costa vor, wenn er seine Muskelverletzung von einer serbischen Ärztin mit Flüssigkeit aus einer Pferde-Plazenta behandeln lässt?
Reparatur statt Heilung
Und schließlich war es ausgerechnet FCB-Trainer Pep Guardiola, der mit dem hochangesehenen Mannschaftsarzt Dr. Müller-Wohlfahrt aneinandergeraten war, weil er Spieler lieber vorgestern als morgen wieder einsetzen will. Nach dem Motto „Reparatur statt Heilung“. Wohin das führen kann, das wurde allen Teilnehmern beim gemeinsamen Genuss des Pokaldramas noch mal vor Augen geführt.
Freizeitsportler sollten sich nicht zu viel von den Leistungssportlern abschauen, darin waren sich die Experten auf dem Podium einig. Schließlich besagt eine wissenschaftliche Studie, dass glatte 30 Prozent der Spitzensportler „in hohem Maße bereit“ wären, für einen Weltmeistertitel eine Verkürzung der Lebenserwartung in Kauf zu nehmen.
So weit wäre Jens Nowotny nie gegangen. Der ehemalige Nationalspieler, der in seiner langen Karriere nicht weniger als vier Kreuzbandrisse erlitt, hat aber erfahren, wie hart das Geschäft ist: „In Leverkusen war ich Kapitän und habe mit Trainer Christoph Daum über jede einzelne Szene eines Spiels gesprochen. Wenn ich jedoch verletzt war, dann hat er mich nicht einmal gegrüßt. ‚Jens, du bist verletzt. Ich kann dich also nicht gebrauchen‘, erklärte er mir mal.“
Jens, du bist verletzt. Ich kann dich also nicht gebrauchen
Anekdote von Jens Nowotny über seinen früheren Trainer Christoph Daum
Der WM-Dritte plauderte zur Freude der rund 100 Anwesenden auch aus seinem stattlich gefüllten Nähkästchen - zum Beispiel zum Thema Ernährung: „Paolo Rink ist mit einer Kiste Cola im Gepäck ins Trainingslager gefahren. Ich glaube, der hat täglich sechs Liter von dem Zeug getrunken“, erzählte Nowotny, der auch mit kuriosen „Nahrungsergänzungsmitteln“ in Kontakt kam. Pulver aus Haifischflossenknorpel beispielsweise. „Hat interessant geschmeckt, das würde ich jedem mal empfehlen. Die Haare wachsen davon allerdings nicht“, lachte der Ex-Profi. Dr. Joachim Schubert, früher unter anderem Mannschaftsarzt des VfL Bochum, ist in Togo, wo er die Nationalmannschaft betreut hat, sogar auf Voodoo-Zauberer getroffen: „Die Zusammenarbeit mit dem Medizinmann hat eigentlich sehr gut geklappt. Emmanuel Adebayor ist vor allem dann zum Zauberer gegangen, wenn er mal ein bisschen frei haben wollte.“ Womit die Diskussionsrunde beim weiten Feld der Sportpsychologie angelangt war.
Entscheidend für das persönliche Wohlbefinden ist etwas anderes. Eine im wahrsten Sinne des Wortes „gesunde“ Eigenmotivation und ein großes Maß an Bewegung im Alltag. Es muss nicht so weit gehen, dass es am Ende tatsächlich „höher, schneller, inavalide“ heißt. „Es gibt auch Leistungssportler, die noch gesund sind. Ich bin das beste Beispiel“, meinte Michael Scharf, früher Fünfkämpfer und heute Wirtschaftskoordinator am Olympiastützpunkt Rheinland, treffend.
Der zweite 90+4-Talk war also der erwartete Erfolg und für alle Teilnehmer ein Gewinn. Bei der dritten Auflage sollte vielleicht auch Pep Guardiola mal vorbeischauen.