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"Das ist noch nicht freigegeben!"

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Kommentar: "Das ist noch nicht freigegeben!"
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Die Tage, an denen Sportredakteure den heimischen Garten eines Bundestrainers in Interviewpausen zum spontanen Wettlauf nutzen konnten, sind lange vorbei.

Um eine solch ungezwungene Nähe zu den Protagonisten des Fußballs zu bekommen, müssen heute zum Teil enorme formalistische Hürden genommen werden, die einem Hans-Josef Justen und Sepp Herberger dereinst lächerlich erschienen wären.

Akkreditierung und Selektion von Journalisten sowie die Prüfung und Korrektur ihrer Leistung werden immer perfider. Kaum etwas wird heute so gepflegt und geschützt wie die Außenwirkung des Klubs, seiner angestellten Spieler, seines Marken-Logos und aller damit in Verbindung stehender Nachrichten. Weichgespült, sauber gefiltert und leitbildgerecht bereiten ganze Pressestäbe in Verlagsmanier Informationen auf, die von den unabhängigen Medien nur in dieser vorgegebenen Form genutzt werden sollen.

Der DFB und Vereine wie beispielsweise der BVB perfektionieren diese Haltung derart, dass eine subtile Einflussnahme in Form eines verdeckten PR-Szenarios mit einem planschenden Podolski am WM-Pool oder einem dauer-emotionalisierten Klopp garniert werden. Wenn heutzutage Mertesackers oder Klopps aus der Rolle zu fallen drohen, wird dies von den Sittenwächtern der Vereinskonzerne gerne mit der Einfalt des fragestellenden Redakteurs begründet. Wer sich nicht konform zu verhalten weiß, wird trennscharf nach außen abgebildet.

Verkommen Sportmedien zunehmend zu unkritischen Sprachrohren des Profisports?

„Das war so nicht abgesprochen“ oder „Das ist noch nicht freigegeben“ ist dann die verbalisierte Form der aufsteigenden Paranoia. Psychologisch genauer betrachtet, liegen der Handlungslogik Zwänge zugrunde: Neurosen der Prosumenten-Pflege. Wird der Fan nämlich mit Emotionen konfrontiert, die nicht wie geplant positiv mit einer Marke verknüpft werden können, ist die Gefahr groß, dass sich der herangezüchtete „Prosument“ (als bestmöglicher Hybrid aus Fan und Konsument) wieder zurückentwickelt. Die Rückkehr zum Tribünengast, der schlicht nur noch guten Fußball sehen möchte und nach Bier und Wurst denn nach Away-Shirts und Vereins-Toastern fragt, entspricht nicht dem profitorientierten Denken des Klub-Marketeer. Aber was kann und darf da noch folgen? Monetär getriebene Identifikation bis zum vereinstreuen Exodus? Sterbeversicherungen mit dem Slogan „FC XY – ich sterbe für Dich“ könnten die aktuelle Produktvielfalt ja noch erweitern ...

Die Kommerzialisierung des Fußballsports schreitet voran und treibt seine Blüten. Dies zu verurteilen, ist müßig, wenn man als Zeitung, Online-Portal, Radio- oder Fernsehsender mehr oder weniger Teil des Systems ist. Stattdessen ist die Rolle von Sportinformationsdienstleistern einer besonderen Herausforderung unterworfen, wenn sie sich im Spannungsverhältnis von Business-Partnerschaft und unabhängigem Publisher bewegen. Diesen schmalen Grat müssen vor allem Lizenznehmer der TV-Branche mehr denn je ausbalancieren. Aber auch diese Zeitung durfte pitoreske Erfahrungen sammeln und sieht sich Anfeindungen ausgesetzt, wenn die Distanz oder Nähe zu Verein oder Kundschaft nicht austariert wurde. Jammern hilft uns nicht und Fakten bleiben Fakten. Dies gilt im übrigen auch für lokale Bezirksligisten, die wie die Großen behandelt werden wollen und Berichte über Fehlverhalten auf und neben dem Platz mit putzigen Klageandrohungen verhindern wollen.

Mündiger Profi oder seelenloser Avatar?

Auf eine Entmystifizierung des sportlichen Wettstreits hinzuweisen, da er immer mehr der Geldmaschine und dem Renommee untergeordnet wird, ist eine immanente Aufgabe der Sportmedien. Es bleibt vor allem zwingend notwendig, auf die Entwicklungen hinzuweisen, die eine Unabhängigkeit der Berichterstattung gefährden. Dies scheint gegeben, wenn Akteure ihre Zusagen oder Bereitschaften zu Interviews nur noch an inhaltliche Bedingungen ihrer „Konzerne“ knüpfen. Wenn bereits die Pressereferenten von Regionalligisten die Antworten ihrer Spieler nachträglich ins Gegenteil verkehren, müssen sich die als mündig dargestellten Jungprofis nur noch wie seelenlose Avatare vorkommen.

Und genau hier wird die zu wahrende journalistische Unabhängigkeit konkret. Sich theoretisch in dem Bewusstsein zu tragen ganz im Sinne seiner Leser, Zuhörer oder Zuschauer klar und eindeutig zu bleiben, ist leicht gesagt aber ein unbedingter Vorsatz. Würde hingegen ein Marco Reus ganz spontan zum privaten Plausch und einer Spazierfahrt im Rüsselsheimer Automobil einladen, würde man heutzutage auch stutzig. Es wäre mindestens mal eine Überraschung.

Mehr zum Thema: 90+4 - Der RevierSport Talk zum SpoBiS 2015 Marionetten von PR-Strategien - Sportjournalismus am Scheideweg?

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