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Jochen Abel im Gespräch
Ein Leben in Blau-Weiß!

Jochen Abel im Gespräch.
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Jochen Abel gehört zu den verlorenen Söhnen des Reviers. Dabei war er in den siebziger Jahren einer der bekanntesten Fußballer zwischen Emscher und Ruhr. Erst schoss der Mittelstürmer den Traditionsverein Westfalia Herne in die 2. Bundesliga. Später wechselte er zum VfL Bochum, wo er bis heute mit 60 Treffern in 144 Bundesligaspielen die Rekordtorschützenliste anführt, und anschließend folgten zwei Jahre bei Schalke 04. Dann aber verliert sich seine Spur. Ralf Piorr entdeckte den einstigen Stürmer in Liechtenstein.

Herr Abel, Sie leben in Liechtenstein. Das hört sich nicht nach dem ganzen großen Fußball an?

Das ist richtig, aber ich fühle mich hier sehr wohl. Ich arbeite als Lagerist bei einer großen Firma und lebe sehr glücklich mit meiner Familie.

Umjubelt von den Fans. Abel beim Jubiläum von Westfalia Herne, 2004.

Wie sind Sie überhaupt nach Liechtenstein gekommen?

Das war reiner Zufall. Bei einem Benefiz-Spiel für die Krebshilfe hat mich mal ein Spielervermittler angesprochen, ob ich nicht in der Schweiz oder in Liechtenstein als Spielertrainer arbeiten wollte. Ich habe das geprüft und bin schließlich zum FC Vaduz gegangen, der heute in der schweizerischen B-Liga spielt. Die Ligen Liechtensteins und der Schweiz sind zusammengeschlossen. Ich wollte grundsätzlich nicht mehr in den Profibereich hinein, weil mir das Zusammenleben mit meiner Familie wichtiger ist, als dem Geld hinterherzulaufen. Mein Beruf hier ist nicht an eine bestimmte Trainertätigkeit gekoppelt und so konnte ich mir meine Zukunft aufbauen und den Schritt vom Fußballprofi ins Arbeitsleben schaffen. Das war ja nicht so einfach und mit seinem Verdienst als Profi hatte man damals noch nicht ausgesorgt. Ich bin kein Mensch, der groß geschäftlich etwas machen konnte. Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie und bin halt kein „Geschäftstyp“.

Immer noch der Toptorjäger für den VfL Bochum, 1979.

1974 sind Sie aus dem Profibereich von Fortuna Düsseldorf zu Westfalia Herne, damals ein Amateurklub, gegangen. Warum dieser Abstieg?

Die Firma Goldbach bot mir eine berufliche Existenz als Tankstellen-Revisor an und da ich gerade eine Familie gegründet hatte, wollte ich mich absichern. Außerdem hatte man mich bei Fortuna wie das dritte Rad am Wagen behandelt und in Herne ging es darum, etwas aufzubauen. Man wollte unbedingt in den Profibereich, was uns auch sofort gelungen ist. Aber es war sicher ein hohes Risiko, als junger Spieler von der Bundesliga in den Amateurbereich zu gehen.

„Kannst Du mir ein paar Schuhe leihen?“ – Jochen Abel (li.) im Westfalia-Jubiläumsspiel gegen die Mannschaft aus „Das Wunder von Bern“, 2004.

Sie sind sowohl in Herne als auch später in Bochum schnell zum Publikumsliebling geworden. Hatten Sie im Revier eine Heimat gefunden?

Ja, mir lag der Menschenschlag im Ruhrgebiet. Vielleicht war das auch familiär bedingt, denn mein Vater stammte aus Moers und hatte auch noch unter Tage gearbeitet. Und meine Art, um jeden Zentimeter zu kämpfen, kam bei den Menschen eben gut an. Ich habe Leute nie gemocht, die vom Herzen her nicht alles gegeben haben. Gerade im Revier habe die Leute sehr hart gearbeitet und dann Eintritt für uns bezahlt! Ich hätte mich geschämt, wenn ich nicht alles gegeben hätte. Und das musste erkennbar sein! Gerade auch an Tagen, wo es für einen nicht so gut lief. Ich wollte immer in den Spiegel gucken und sagen können: Ich habe alles gegeben, auch wenn es nicht geklappt hat.

Als Jochen Abel im Juni 2004 zum hundertjährigen Jubiläum von Westfalia Herne „sein altes Revier“ besuchte, winkte er von vornherein ab: Nein, nein, am Jubiläumsspiel könne er nicht teilnehmen, da er einen Herzinfarkt gehabt und der Arzt ihm jede sportliche Betätigung untersagt habe. Nicht einmal einen Elfmeter in der Halbzeitpause. Punkt. Gefeiert wurde er trotzdem. Aber als sich seine alten Kollegen umzogen und er im Anzug in der Kabine stand, merkte man, wie unruhig er wurde. Er konnte regelrecht nicht mehr an sich halten. „Kannst Du mir“, fragte er mit zittriger, aber entschlossener Stimme seinen alten Kollegen Frank Schulz, „ein paar Schuhe leihen?“ Gefragt, getan. Auch Handtücher und Dusch-Gel für später standen flugs parat. Jochen Abel führte als Kapitän seine Mannschaft auf das Spielfeld und machte sein Tor. Die Fans feierten ihn bis in die frühen Morgenstunden. „Ich war total überrascht, dass nach so viel Jahren noch so viele Leute da waren, die mich so enthusiastisch hochleben ließen“, sagte er später und stellte fest: „Ich bin da richtig aufgeblüht und hatte schon mehrmals mit den Tränen zu kämpfen.“ Ein unvergesslicher Tag für alle. Jochen Abel hatte wieder gespielt. Mit hochrotem Kopf und immer am Schimpfen. Wie früher.

Sie waren auch von Ihrer Spielweise her eher ein „Kämpfer“?

Talent haben einige meiner Mitspieler sicher mehr gehabt und für mich waren zusätzliche Trainingseinheiten ganz normal. Aber ich hatte den großen Vorteil, dass ich beidfüssig war. Schon von der Kinderzeit her. Früher hat man als Junge in den Hinterhöfen gespielt, den Ball immer wieder mir rechts und links gegen die Mauer. So konnte ich auch später mit beiden Füßen den Abschluss suchen und war dadurch unberechenbarer. Zusätzlich hatte ich einen sehr guten Harken, wie Stan Matthews oder Stan Libuda, und da sind die Abwehrspieler immer drauf reingefallen. Ich war also kein klassischer Strafraumstürmer, sondern habe die meisten meiner Tore außerhalb des Sechzehners erzielt.

Im Winter 1977 wechselten Sie dann zum VfL Bochum in die Bundesliga. Ein verspäteter Schritt?

Der damalige VfL-Trainer Heinz Höher hatte mir zugeredet, dass ich den Sprung in die Bundesliga wagen sollte. Fußball-Profi – das war mein Traumberuf. Ich habe trotzdem lange gezweifelt, es mit meiner Familie besprochen und schließlich „ja“ gesagt. Ich wollte es noch einmal versuchen und habe es auch nicht bereut. Außerdem blieb ich ja in der Region. Das war mir wichtig. Bochum war wie eine große Familie. Es kamen erneut Angebote, aber ich bin nicht weggegangen, weil ich wusste, in dieser Region und mit diesen Leuten fühlte ich mich wohl. Jahre später ging ich dann nach Schalke, also stets im Revier und ein Leben in Blau-Weiß.

Kamen Sie im neuen Bochumer Umfeld sofort zurecht?

Ja. So eine Kameradschaft wie in diesen Jahren kann man sich eigentlich nur erträumen. Es war sensationell. Zeitweise war der VfL sogar die erste Kraft im Revier. Wir hätten sogar in den UEFA-Cup kommen können. Vor allem in der Saison 1980/81. Im Frühjahr gingen wir auf Südamerika-Tournee, haben dort in Mexiko und Costa-Rica bei schönem Wetter und auf trockenem Boden viele Spiele gemacht und kaum trainiert. Nachdem wir zurückgekommen waren, fertigten wir Schalke im Parkstadion mit 6:0 ab! Dann kamen die so genannten leichteren Spiele, und wir haben plötzlich auf tiefem Boden bei regnerischem Wetter sehr hart trainiert. Da sind wir in ein Loch gefallen und haben den UEFA-Cup verpasst. Wir hätten das damals schon für den VfL schaffen können.

Der große Wurf gelang dem VfL also nicht?

Die Schwierigkeit war ja immer, dass die besten Spieler verkauft werden mussten. Plötzlich wurde der Jupp Tenhagen weggegeben. Das waren alles Notverkäufe. Aber eins haben die Bochumer immer richtig gemacht: Sie haben die Korsettstangen der Mannschaft gehalten. Männer wie Lothar Woelk, Ata Lameck, Dieter Bast und Walter Oswald. Die Abwehr- und Mittelfeldspieler. Wer ins Ruhrstadion kam, der hatte schon gehörigen Respekt, denn wir machten ganz schön Dampf und einer ist für den anderen gegangen. Taktisch haben wir schon recht modern gespielt und versuchten, im Mittelfeld die Räume eng zu machen. Wir spielten nur mit einer Spitze und setzten auf plötzliche Vorstöße über die Flügel. Damit haben wir uns im Mittelfeld der Bundesliga festgesetzt.

Privat wirken Sie eher zurückhaltend, während man sie vom Fußballplatz her als Spieler kennt, der ganz aus sich herausgeht. Unterscheidet sich der Mensch Jochen Abel vom Fußballer?

(Lacht.) Das würde ich auch sagen. Das sind die zwei Gesichter. Ich konnte nie verlieren, wenn ich auf den Fußballplatz ging. Aber die geballte Faust oder das Schreien hatte auch stets etwas damit zu tun, dass man schon ziemlich kaputt war, sich selbst und die anderen aber noch motivieren musste. Ich habe immer versucht, alles zu geben. Und wenn man das macht, kann man eigentlich nicht schlecht dabei aussehen. Es gibt Tage, da reicht es eben nicht. Trotzdem habe ich mit den Leuten nach dem Spiel diskutiert oder auch mal ein Bierchen getrunken. Damals ging es noch. Und wenn einer gesagt hat: „Jochen, da haste aber heut nen Scheiß gespielt.“ Dann habe ich geantwortet: „Ja, haste Recht.“

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